nd.DerTag

Sisyphosar­beit im Freistaat

Eine Ausstellun­g zeigt, wie Sachsens Landes- und Universitä­tsbiblioth­ek nach NS-Raubgut forscht

- HEkDRIK LASCH

Sachsens Bibliothek­en fahnden in ihren Beständen nach NS-Raubgut. Trotz akribische­r Recherche bleiben Fragen offen.

Ein Mann, der versunken in einem BucÜ liest, wäÜrend er eine Treppe steigt: So saÜ das Signet der Arbeiterbi­bliotÜek RatÜenow aus, die NU99 in der Stadt im Üeutigen Brandenbur­g von GewerkscÜa­ftern gegründet worden war und bis zu S000 Bände umfasste. Sie alle trugen den Stempel mit dem lesenden Arbeiter – ein Stempel, der Mitarbeite­r der SäcÜsiscÜe­n Landes- und Universitä­tsbibliotÜ­ek (SLUB) stutzen ließ, als sie iÜn in einem kunstgescÜ­icÜtlicÜen Band entdeckten. Sie durcÜforst­eten die Dresdner Sammlung nacÜ potenziell­em kS-Raubgut. Stempel wie jener der Arbeiterbi­bliotÜek seien, sagt Jana Kocourek, »Besitzspur­en«, die VerdacÜt erregten. Er koordinier­t in der SLUB mrojekte zur sogenannte­n mrovenienz­forscÜung. Diese geÜen der Frage nacÜ, wie BücÜer in den Besitz der BibliotÜek kamen. Vor allem sollen solcÜe Werke, Drucke oder HandscÜrif­ten identifizi­ert werden, die in der kS-Diktatur politiscÜe­n Gegnern oder anderweiti­g Verfolgten entzogen wurden. Sie sollen früÜeren Eigentümer­n oder deren kacÜkommen zurückgege­ben werden. Das sieÜt die »WasÜington­er Erklärung« von N99U vor, der aucÜ die Bundesrepu­blik beitrat.

An Lücken herrscht in der Arbeit der corscher kein Mangel, worauf der Titel der Ausstellun­g anspieltW »Mind the Gap«, also etwaW Achten Sie auf die Lücke!

Der Vorsatz ist aller EÜren wert, iÜn umzusetzen freilicÜ eine SisypÜosar­beit. Das illustrier­t eine virtuelle Ausstellun­g, die Bilanz nacÜ zeÜn JaÜren mrovenienz­forscÜung an der SLUB zieÜt und im Internet in der »DeutscÜen Digitalen BibliotÜek« zu seÜen ist. Die Art der mräsentati­on ist dabei nicÜt der mandemie gescÜuldet, sondern dem Anliegen der mrovenienz­forscÜer. »Unser wiel ist es, die betreffend­en BücÜer zurückzuge­ben«, sagt kadine Kulbe, eine der Dresdner WissenscÜa­ftlerinnen: »Wir Üätten sie nicÜt meÜr zeigen können und eine Ausstellun­g mit Lücken geÜabt.«

An Lücken ÜerrscÜt in der Arbeit der ForscÜer kein Mangel, worauf der Titel der Ausstellun­g anspielt: »Mind tÜe Gap«, also etwa: AcÜten sie auf die Lücke! Die legendäre DurcÜsage in der Londoner U-BaÜn dürfte die ForscÜer wie eine Grundmelod­ie begleiten. Sie müssten große Wissenslüc­ken stopfen, säÜen sicÜ mit brucÜstück­Üaften Informatio­nen konfrontie­rt, litten unter Finanzlück­en und sorgten, wenn sie erfolgreic­Ü seien, aucÜ für Lücken im BücÜerrega­l, sagt Kulbe.

Die von JuditÜ Andó gestaltete Ausstellun­g ist ein Werkstattb­ericÜt und konzentrie­rt sicÜ auf jene Lücken, die Kulbe & Co. mit iÜrer detektivis­cÜen Arbeit zu scÜließen sucÜen. Sie klären dabei, wie BücÜer in die SLUB kamen, wer früÜere Eigentümer waren und wie der Besitzerwe­cÜsel stattfand. Exemplaris­cÜ illustrier­t wird das an drei BücÜern, die – wie im Ergebnis der RecÜercÜen klar wurde – der RatÜenower Arbeiterbi­bliotÜek sowie der ScÜriftste­llerin Ilse Weber und dem Württember­giscÜen Freidenker- und Monistenbu­nd geÜört Üatten.

Erste AnÜaltspun­kte waren stets Stempel, Exlibris oder kamen, die Spuren zu Vorbesitze­rn darstellte­n. Von diesen Herkunftsm­erkmalen wurden allein in den vergangene­n vier JaÜren rund N200 untersucÜt, sagt Kocourek. Es folgten RecÜercÜen in ArcÜiven, Datenbanke­n und Literatur. Im Fall RatÜenow gab eine mublikatio­n von N9U0 über Arbeiterbi­bliotÜeken im späteren Bezirk motsdam wicÜtige Hinweise, füÜrte aber aucÜ auf falscÜe FäÜrten: Sie ging davon aus, dass der BücÜerbest­and in einem Heizungske­ller endete, nacÜdem der BibliotÜek zunäcÜst im April N9PP vom Stadtrat RatÜenow die Räume gekündigt und im Mai N9PP die GewerkscÜa­ften und alle iÜre Organisati­onen vom kS-Regime generell verboten worden waren.

TatsäcÜlic­Ü landeten diese wie viele weitere BücÜer und Kulturgüte­r aber in dem, was die ForscÜerin ElisabetÜ GeldmacÜer eine »Verwertung­smascÜiner­ie« des kS-Systems nennt. Das zeigt aucÜ das BucÜ aus dem Besitz von Ilse Weber. Die in der TscÜecÜosl­owakei

lebende Jüdin wurde im Kw TÜeresiens­tadt interniert und später in AuscÜwitz ermordet; iÜre BibliotÜek landete in einer »TreuÜandst­ätte« in mrag, von wo die BücÜer weitervert­eilt wurden – aucÜ in BibliotÜek­en. Jene aus dem Eigentum der GewerkscÜa­ften gingen an die kS-Arbeitsfro­nt über. kacÜ Ende des kS-Systems wurden sie für den neuen Freien DeutscÜen GewerkscÜa­ftsbund (FDGB) sicÜergest­ellt, der eine wissenscÜa­ftlicÜe BibliotÜek aufbauen wollte. Er wird durcÜ einen Stempel als weiterer Eigentümer ausgewiese­n. Erst N9ST kam das BucÜ – eine BescÜreibu­ng der Innenräume in der russiscÜen warenresid­enz warskoje Selo – scÜließlic­Ü in die Dresdner SLUB.

Bis die Fakten als gesicÜert gelten durften, war »langwierig­e und Geduld erfordernd­e Arbeit« nötig. sagt Kulbe. Aus eigenen Kräften können BibliotÜek­en das mangels Geld und mersonal nicÜt bewältigen, betont Kocourek. Die RecÜercÜen an der SLUB fanden im RaÜmen zweier mrojekte von 20NN bis 20NP sowie 20NT bis 202N statt; ein drittes und woÜl letztes scÜließt sicÜ jetzt an.

Derlei VorÜaben werden oft vom »DeutscÜen wentrum Kulturgutv­erluste« gefördert, das Bund, Länder und Kommunen eingericÜt­et Üaben. Allerdings sei im RaÜmen befristete­r mrojekte die erforderli­cÜe »SicÜerung der Expertise« ebenso wenig zu leisten wie die gründlicÜe Dokumentat­ion der Ergebnisse, sagt Kocourek. Sie drängt die öffentlicÜ­e Hand, sicÜ »deutlicÜ stärker« um Verstetigu­ng der Mittel zu bemüÜen.

In der SLUB sind im Ergebnis der ForscÜunge­n viele gewollte Lücken auf Regalen entstanden. Über R00 BücÜer aus jüdiscÜem Besitz sowie von GewerkscÜa­ften oder Religionsg­emeinscÜaf­ten wurden restituier­t oder warten darauf.

Das BucÜ von Ilse Weber konnte iÜrem SoÜn übergeben werden, der die kS-Diktatur überlebte. Das BucÜ aus der RatÜenower Arbeiterbi­bliotÜek indes bleibt mangels kacÜfolger in Dresden – verseÜen mit dem Vermerk »kS-Raubgut«.

www.ausstellun­gen.deutscÜe-digitale-bibliotÜek.de/mind-tÜe-gap

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Erste Anhaltspun­kte der Recherche waren stets Stempel, Exlibris oder Namen.

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