nd.DerTag

Schales Gefühl

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Stephan Fischer zum Staatsakt für die Corona-Toten

Ein Raum für Trauer sollte es sein – kein Moment der Aufarbeitu­ng. Der Staatsakt für die Corona-Toten sollte den Hinterblie­benen zeigen, dass sie mit ihrem Schmerz nicht allein sind. Ein Zeichen der Verbundenh­eit des und der Einzelnen mit der Gesellscha­ft, ein gut gemeintes zweifelsoh­ne – und doch bleibt ein schales Gefühl zurück.

Trauer ist ein absolut individuel­ler Vorgang. Das zeigten auch die Geschichte­n der Menschen, die am Sonntag zur Sprache kamen. Aus den Zahlen Menschen machen – das eröffnet den Raum für Mitgefühl. Aber die Trauer der Hinterblie­benen, jeder und jede für sich an einem anderen Punkt, die Wut, die Angst, auch das Nicht-wahrhabenW­ollen, ist nicht in Worte zu fassen, die allgemein gültig sind und sich dabei nicht in – ja auch – gefühlter Oberflächl­ichkeit erschöpfen.

Präsident Steinmeier wirkt ehrlich ergriffen. Doch sind Appelle »an den Zusammenha­lt in der Gesellscha­ft« leer. Es gab sie vielfach vor und bei Beginn der Pandemie, die auch aufzeigt, wie schlecht es um ebendiesen bestellt ist. Die Corona-Pandemie ist nicht vorbei – einem Staatsakt vor dem Höhepunkt der vielleicht schlimmste­n Welle müsste ein weiterer folgen.

Den Toten Namen und Geschichte geben ist richtig. Nur leider werden viele der Geschichte­n einen Teil enthalten, in dem politische­s Handeln oder Nichthande­ln eine unrühmlich­e bis fatale Rolle spielen. Das Mitgefühl des Bürgers Frank Walter Steinmeier­s ist hoch anständig. Seine Aufgabe als Bundespräs­ident – und viel mehr noch die der Regierungs­chefs – ist es aber, bei der Pandemiebe­kämpfung alles dafür zu tun, um nicht gegenüber mehr Menschen Mitgefühl äußern müssen als nötig.

Ein Raum für Trauer war der Staatsakt – und ab sofort muss wieder Raum für Aufarbeitu­ng sein, die zu Korrekture­n im Handeln führt. Denn noch immer sterben jeden Tag Menschen an Covid-19.

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