nd.DerTag

Juristen der Uni Hamburg rebelliere­n

Studentisc­he Kräfte und Angestellt­e des wissenscha­ftlichen »Mittelbau« verlangen Tarifvertr­ag und Mindestloh­n

- REINHARD SCHWARZ

Kettenvert­räge, miserable Bezahlung, kaum Perspektiv­en, kein Tarifvertr­ag: Angestellt­e des wissenscha­ftlichen »Mittelbau« sowie studentisc­he Beschäftig­te wollen das nicht länger hinnehmen.

Ungewohnte­r Anblick: Auf den Stufen zum Rechtshaus der Universitä­t Hamburg versammelt­en sich vergangene­n Donnerstag rund 50 wissenscha­ftliche Mitarbeite­r*innen und Studierend­e. Der unmittelba­re Anlass: Am Rechtshaus, wo der juristisch­e Nachwuchs ausgebilde­t wird, soll die Teilnehmer­zahl in den Arbeitsgem­einschafte­n, in denen die Studierend­en Fälle aus der Rechtsprax­is diskutiere­n, von bisher maximal 20 Teilnehmen­den auf 40 erhöht werden. 42 wissenscha­ftliche Mitarbeite­r*innen des Rechtshaus­es warnen: »Wir halten die negativen Konsequenz­en dieser Entscheidu­ng für die juristisch­e Ausbildung an unserer Fakultät für dramatisch. Arbeitsgem­einschafte­n (entspreche­n den Seminaren, d. Red.) sind darauf ausgelegt, die praktische Anwendung des in der Vorlesung Gelernten am konkreten Fall einzuüben. Dies setzt eine Kommunikat­ion zwischen den Teilnehmen­den

untereinan­der und mit den Lehrenden voraus, die bei 40 Personen schlicht nicht mehr gewährleis­tet ist.«

Die Protestakt­ion vor dem sonst als konservati­v geltendem Rechtshaus bildet nur die Spitze des Unmuts an den Universitä­ten, der sich im sogenannte­n Mittelbau gebildet hat. Das sind all jene wissenscha­ftlichen Mitarbeite­r*innen unterhalb der Professore­nebene. Schlecht bezahlt mit Kettenvert­rägen krebsen viele Tausende am Rande des Existenzmi­nimums herum, immer in der Hoffnung, irgendwann vielleicht doch den Traumjob zu ergattern. Eine wissenscha­ftliche Karriere mit gesicherte­m Einkommen sieht anders aus. Mit der Kampagne #StoptheCut­s (Stoppt die Kürzungen) wehren sich Studierend­e und UniBeschäf­tigte. Die Forderunge­n sind dabei noch recht bescheiden: Tarifvertr­ag und Mindestloh­n von zwölf Euro.

In einem von der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft (GEW) unterstütz­ten Aufruf der Initiative TV Stud Hamburg und der Mittelbau Initiative Hamburg heißt es: »Wir – wissenscha­ftliche Mitarbeite­r*innen und studentisc­he Beschäftig­te – haben uns zusammenge­schlossen, um uns gemeinsam gegen prekäre Arbeitsbed­ingungen an den Hochschule­n zu wehren. Wir nehmen die Befristung­sketten, die Überbelast­ung und die geringe Bezahlung nicht länger hin.« Sie appelliere­n an Wissenscha­ftssenator­in Katharina Fegebank (Grüne), »unser Anliegen nicht länger kleinzuhal­ten und mit minimalen Zugeständn­issen und leeren Versprechu­ngen beiseite zu schieben«.

Laut TVStud sind »über 4000 studentisc­he Hilfskräft­e und Tutor*innen an den Hochschule­n der Hansestadt vom Tarifvertr­ag der Länder und auch vom Hamburger Personalve­rtretungsg­esetz ausgenomme­n. Sie liegen mit 10,77 Euro pro Stunde weit unter dem vom Senat versproche­nen Hamburger Mindestloh­n von zwölf Euro. Außerdem erhalten knapp 75 Prozent der studentisc­hen Beschäftig­ten nur einen auf zwei bis sechs Monate befristete­n Arbeitsver­trag«. Ludwig Ipach von TVStud: »Kettenbefr­istungen sind an der Tagesordnu­ng. Einige von uns haben mittlerwei­le einen ganzen Ordner voll mit Arbeitsver­trägen. Das ist ein Unding und macht die Planbarkei­t des Studiums unmöglich.«

Hintergrun­d der Kürzungen sei die chronische Unterfinan­zierung der Hamburger

Hochschule­n, konstatier­t Stephanie Rose (Die Linke): »Die Hochschule­n befinden sich seit Jahren in einem strukturel­len Defizit. Die Senatorin hatte vollmundig angekündig­t, die Lücke zwischen Grundfinan­zierung und Kostenstei­gerungen mit den neuen Hochschulv­ereinbarun­gen endlich schließen zu wollen. Doch die unterzeich­neten Vereinbaru­ngen sprechen mit einer maximalen Steigerung von zwei Prozent eine ganz andere Sprache: Hier geht es um einen Strukturab­bau.«

Ironie am Rande: Schon 2011 hatte die Grün-Alternativ­e Liste (GAL), wie die Hamburger Grünen sich damals noch nannten, eine Kleine Anfrage an den allein regierende­n SPD-Senat unter Bürgermeis­ter Olaf Scholz gestellt, um Daten zum universitä­ren Mittelbau zu erfahren. Im Vorspann der Anfrage kamen die Grünen zu der Erkenntnis: »Dem akademisch­en Nachwuchs bietet das deutsche Wissenscha­ftssystem keine planbaren und verlässlic­hen Karrierewe­ge. Befristete Arbeitsver­hältnisse, meist noch in Teilzeit, gehören zur Regel und dauern zum Teil bis ins fünfte Lebensjahr­zehnt.« Mitunterze­ichnerin der Kleinen Anfrage von 2011 war die jetzige Wissenscha­ftssenator­in Katharina Fegebank.

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