Punktsieg für Grün
Parteichefin Annalena Baerbock wird Kanzlerkandidatin, die Unionsparteien streiten weiter über die K-Frage
Berlin. Sehr aufgeräumt traten Annalena Baerbock und Robert Habeck am Montagvormittag vor die Presse und teilten mit, was von vielen erwartet worden war: Die 40Jährige Co-Vorsitzende soll die Grünen in den Bundestagswahlkampf führen. Sie könnte damit durchaus die erste von der einst linksalternativen Ökopartei gestellte Bundeskanzlerin werden, allen Unkenrufen gerade von rechts zum Trotz. Dies wäre jedoch nur dann möglich, wenn die Grünen ein Dreierbündnis mit SPD und Linkspartei – oder der FDP eingehen würden. Entscheiden sie sich für eine Koalition mit der Union, wären sie nach bisherigen Umfragewerten die Juniorpartnerin.
Allerdings wird es gerade den in den Umfragen schwächelnden Unionsparteien wenig nützen, wenn etwa mit CSU-Chef Markus Söder einer der beiden um die Kanzlerkandidatur kämpfenden Politiker den Grünen bescheinigt, etwas rückständig zu sein. Söder erklärte am Montag in München, die Grünen hätten im Entwurf für ihr Bundestagswahlprogramm »leider an einigen Stellen den Sprung in die Neuzeit nicht so gemacht, wie ich ihn erhofft hatte«. Zugleich war er klug genug, Baerbock zu gratulieren und eine schwarz-grüne Koalition nach der Wahl im September nicht auszuschließen. »SchwarzGrün wäre dann möglicherweise die nächste GroKo«, sagte er. Derzeit sind die Grünen in Umfragen zweitstärkste Kraft, wobei der Vorsprung der Union zuletzt schrumpfte.
Was Söder am Programm der Grünen stört, sind die relativ weitgehenden sozialpolitischen Ankündigungen. Andererseits lassen sich die Grünen und insbesondere ihre Doppelspitze seit langem jede Option offen, eine Präferenz für ein Mitte-links-Bündnis unter Einbeziehung der Linken haben sie bislang jedenfalls nicht erkennen lassen. Auch bei ihrer
Vorstellung als Spitzenkandidatin waren die Aussagen Baerbocks zur politischen Ausrichtung der Grünen eher unscharf: »Wir wollen Politik für die Breite der Gesellschaft machen«, erklärte sie. Sie betonte, die Partei wolle bessere Bedingungen für Pflegekräfte erreichen, sie stehe aber auch für mehr Investitionen für die Polizei. Aus Linkspartei, SPD und FDP kamen freundliche Gratulationen an Baerbock, abfällige Bemerkungen gab es erwartungsgemäß nur aus der AfD. FDPGeneralsekretär Volker Wissing forderte von Baerbock eine Abgrenzung von der Linken.
Erstmals gehen die Grünen mit einer Kanzlerkandidatin in den Wahlkampf. Viele in der Partei meinen, der aktuelle Höhenflug der Grünen basiere maßgeblich auf der Arbeit von Annalena Baerbock .
Robert Habeck hat seiner Ko-Vorsitzenden Annalena Baerbock den Vortritt bei der Kanzlerkandidatur der Grünen gelassen. Sie will die nächste Bundesregierung anführen, schließt aber auch ein Zusammengehen mit der Union nicht aus.
Es ist eine symbolträchtige Szene, die sich am Montagvormittag in der »Malzfabrik« in Berlin-Tempelhof abspielt. Hierhin hat die Grünen-Spitze die Vertreter der Hauptstadtpresse eingeladen, um ihnen die Entscheidung des Bundesvorstands über die Spitzenkandidatur mitzuteilen. Der Parteivorsitzende der Grünen, Robert Habeck, geht nach seinem Eingangsstatement ein paar Schritte zurück. »Liebe Annalena Baerbock, die Bühne gehört dir«, sagt Habeck. Er hat seiner Ko-Vorsitzenden die Kanzlerkandidatur überlassen. Beide wollten sie, aber nur einer kann zum Zuge kommen. Baerbock und Habeck haben viele Gespräche geführt und sind kollegial mit dem Thema umgegangen. »Wir bilden seit dreieinhalb Jahren eine Doppelspitze. Unser Stil baut auf Kooperation auf und wir treten uns nicht gegenseitig die Beine weg«, sagt Habeck.
Ein Grund für die Entscheidung zugunsten von Baerbock dürfte sein, dass die Bundestagsabgeordnete in der Partei beliebter ist als der frühere Minister aus SchleswigHolstein. Hinzu kommt, dass nach den Regeln der Grünen immer mindestens eine Frau antreten muss, wenn Spitzenkandidatenduos gebildet werden. Nun kann wegen der guten Chancen der Grünen, die in Umfragen über 20 Prozent und auf dem zweiten Platz hinter der Union liegen, der Wahlkampf nur auf eine Spitzenperson zugeschnitten werden. Ein Ministeramt hat
Baerbock im Unterschied zu Habeck zwar noch nie bekleidet und somit weniger politische Erfahrung vorzuweisen, aber sie hat bereits einige Erfolge gefeiert. Die vielen guten Ergebnisse bei den Landtagswahlen sind auch auf die Arbeit der Grünen-Bundesspitze zurückzuführen.
Nun steht Baerbock nach dem Abgang von Habeck alleine auf der Bühne und hält ihre erste Rede als Spitzenkandidatin. Wer Wahlen gewinnen will, muss weit über die eigene Stammklientel hinaus Menschen ansprechen. Das weiß auch die Parteichefin der Grünen. »Wir wollen Politik für die Breite der Gesellschaft machen«, kündigt sie an. Deswegen redet Baerbock nicht nur davon, dass bei der Digitalisierung im Bildungsbereich Fortschritte erzielt und bessere Arbeitsbedingungen für Pflegekräfte erreicht werden müssten, sondern sie betont auch, dass die Polizei mehr Investitionen brauche.
Im Zentrum des Bundestagswahlkampfs der Grünen wird der Klimaschutz stehen. »Klimaschutz ist die Aufgabe unserer Zeit, die Aufgabe meiner Generation«, sagt Baerbock. Die Politik der nächsten Bundesregierung müsse den Klimaschutz für alle Bereiche zum Maßstab machen, um das Pariser Klimaabkommen zu erfüllen, fordert sie. Das Ziel dieses Abkommens ist, die durchschnittliche Erwärmung der Erdtemperatur auf 1,5 Grad vor dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Nach der Rede von Baerbock wird ein Imagefilm eingeblendet. Die Zuschauer sehen große Mengen von Plastikmüll im Meer, bedrohte Eisbären und neu gebaute Windräder.
Fraglich ist, mit wem die Grünen ihre Ziele nach der Wahl im Herbst umsetzen können. Baerbock hat bei der Koalitionsfrage keine Präferenzen, will aber die nächste Regierung
anführen. »In diesem Jahr ist alles drin und alles möglich. Und dafür geben wir unser Bestes. Demokratie lebt vom Wechsel und ich trete an für die Erneuerung«, erklärt sie. Nach den aktuellen Umfragen könnten die Grünen der kleinere Partner in einer Koalition mit der Union werden. Aber auch für ein Bündnis unter Führung der Grünen mit SPD und FDP oder eine grün-rot-rote Koalition mit SPD und Linkspartei könnte es bei der Wahl rechnerisch reichen. »Wir definieren uns nicht entlang anderer«, betont Baerbock. »Damit gestaltet man nicht. Damit läuft man nur anderen hinterher.«
Die Situation in der Union und die Streitigkeiten zwischen CDU-Chef Armin Laschet und dem CSU-Vorsitzenden Markus Söder um die Kanzlerkandidatur beobachtet Baerbock mit Sorge. In anderen europäischen Ländern habe sich gezeigt, was es für die Stabilität Europas bedeute, »wenn zentrale demokratische Parteien auseinanderbröckeln«, erklärt die Grünen-Vorsitzende. Sie sieht die liberalen Demokratien in der EU durch autoritäre Kräfte innerhalb und außerhalb Europas gefährdet. Auch deswegen wünscht Baerbock den konservativen Politikern Laschet und Söder, »dass sie zu einer gemeinsamen Entscheidung kommen«.
Die Kandidatur von Baerbock muss noch auf einem Bundesparteitag im Juni abgesegnet werden. Das gilt als reine Formsache. Der
Rückzug von Habeck bedeutet nicht, dass er aus dem Rennen wäre, wenn nach der Bundestagswahl wichtige Ministerposten vergeben werden. Er soll im Wahlkampf mit Baerbock das Spitzenduo bilden, die Frau spielt dabei eine herausgehobene Rolle. Baerbock und Habeck ist es gelungen, das Machtzentrum der Grünen von der Bundestagsfraktion auf den Vorstand zu verschieben. Welche Rolle die Fraktionsvorsitzenden Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter im Wahlkampf einnehmen werden, ist noch offen. Göring-Eckardt war zwei Mal als Spitzenkandidatin für die Grünen angetreten und hatte dabei keine überzeugenden Ergebnisse eingefahren. Ihre Partei stellt im Bundestag gegenwärtig die kleinste Fraktion. Auch deswegen hatte Göring-Eckardt schon vor einiger Zeit angekündigt, nicht erneut ihre Partei im Wahlkampf anführen zu wollen.
Anton Hofreiter gilt als Vertreter des linken Flügels. Baerbock, Habeck und GöringEckardt sind hingegen Realos. Allerdings werden in der Partei im Unterschied zu vergangenen Jahren kaum noch Flügelauseinandersetzungen ausgetragen. Um wichtige Posten wurde hingegen immer wieder gerungen. Hofreiter hatte bei seinem Versuch, vor vier Jahren Teil des Spitzenkandidatenduos zu werden, in einer Urabstimmung deutlich gegen den damaligen Parteivorsitzenden Cem Özdemir verloren. Vor eineinhalb Jahren kam es erneut zum Duell zwischen den beiden Politikern. Özdemir scheiterte bei seinem Versuch, Hofreiter bei der Neuwahl der Fraktionsspitze zu stürzen. Ähnliche Machtspiele wird es in der Partei wohl erst nach der Bundestagswahl wieder geben. Bis dahin haben die beiden Vorsitzenden den Grünen Ruhe verordnet, um den gemeinsamen Erfolg nicht zu gefährden.
»Wir bilden seit dreieinhalb Jahren eine Doppelspitze. Unser Stil baut auf Kooperation auf, wir treten uns nicht gegenseitig die Beine weg.« Robert Habeck Parteichef der Grünen