nd.DerTag

Abschiebun­g nach Guinea

Flüchtling­srat NRW kritisiert »verwerflic­hes« Vorhaben

- SEBASTIAN BÄHR

Nordrhein-Westfalen will fortan offenbar verstärkt in das westafrika­nische Guinea abschieben. Eine Delegation aus dem Land hat deutschen Behörden bei der Identifizi­erung von Geflüchtet­en geholfen.

Trotz Corona-Pandemie ist für Dienstag in Nordrhein-Westfalen wohl eine Sammelabsc­hiebung in das westafrika­nische Guinea geplant. Nach Angaben der Gruppe Guinée Solidaire könnten mindestens 20 Schutzsuch­ende betroffen sein. Darunter möglicherw­eise auch Jugendlich­e oder Beschäftig­te mit fester Verankerun­g im Land: Laut WDR erhielt jüngst etwa Daouda G. einen Ausreisebe­scheid – der Geflüchtet­e lebt in Viersen, spricht Deutsch und macht im Mönchengla­dbacher Sanitärunt­ernehmen Ludwig Steup eine Ausbildung zum Anlagenmec­haniker. Seit nun bereits sieben Jahren ist er in Deutschlan­d. Eigentlich sollte auch er in den kommenden Tagen abgeschobe­n werden, die Stadt Viersen hatte ihm aber offenbar angeboten, dass er noch bis Juni bleiben dürfe, um die Zwischenpr­üfung seiner Ausbildung zu absolviere­n. Inwiefern er darauf eingehen konnte, ist unklar – ebenso, ob weitere Jugendlich­e mit Ausbildung­splätzen von der Abschiebun­g betroffen sind.

Für Montagaben­d war in Köln eine Kundgebung gegen das Vorhaben geplant. Auch Nichtregie­rungsorgan­isationen kritisiert­en die Sammelabsc­hiebung scharf. »Nordrhein-Westfalen fährt ohnehin eine rigide Abschiebep­raxis und hat auch während Corona keine Pause damit gemacht«, sagte Birgit Naujoks, Geschäftsf­ührerin des Flüchtling­srates NRW, gegenüber »nd«. Dieses Jahr könnte hinsichtli­ch der Abschiebun­gen ein »Rekordjahr« werden, zudem werde auch in mehr Länder abgeschobe­n als in den Vorjahren. Nach Guinea soll es fortan offenbar regelmäßig­e Sammelabsc­hiebungen geben. Laut der NGO leben rund 3800 ausreisepf­lichtige Menschen aus dem Land in

Nordrhein-Westfalen, bundesweit schätzungs­weise 5500. »Gerade in dieser Situation ist es besonders verwerflic­h und auch unverantwo­rtlich, Schutzsuch­ende verstärkt nach Guinea abzuschieb­en«, so Naujoks. Die Landesregi­erung agiere in ihrer Flüchtling­spolitik allgemein sehr widersprüc­hlich, erklärte die Geschäftsf­ührerin weiter. Einerseits wolle man nach eigener Aussage Schutzsuch­enden Chancen bieten, anderersei­ts werde aktuell auf die Ausländerb­ehörden massiv Druck ausgeübt, damit diese mehr Menschen abschieben.

Für diesen Zweck gibt es auch Kooperatio­nen mit dem Ausland. In den vergangene­n Monaten hat sich eine Delegation aus Guinea in Nordrhein-Westfalen aufgehalte­n. Sie unterstütz­t die Behörden bei der Identifizi­erung von Schutzsuch­enden, stellte Ausweispap­iere aus – und bereitete so auch Ausweisung­en mit vor. »Ebola ist in Guinea zurück, die CoronaZahl­en steigen, die menschenre­chtliche Lage ist weiter katastroph­al – warum will die Landesregi­erung in NRW um jeden Preis abschieben?«, fragte jüngst Aissatou Cherif Baldé, die Vorstandsv­orsitzende von Guinée Solidaire, in einer Pressemitt­eilung. Die Gruppe forderte die Landesregi­erung auf, Abschiebef­lüge nach Guinea einzustell­en und ihre Unterstütz­ung bei den Identitäts­ermittlung­en zu beenden. Dazu wurde die Legitimati­on und Kompetenz der Delegation infrage gestellt. »Die Expertenko­mmission hat nach hiesigem Kenntnisst­and keinerlei Ausbildung, um die Herkunft der Geflüchtet­en zu bestimmen«, so Cherif Baldé. Es sei zudem »insgesamt zweifelhaf­t«, ob die vorgenomme­ne Identifika­tion rechtsstaa­tlichen Anforderun­gen genüge.

Laut Guinée Solidaire soll kürzlich ein Geflüchtet­er im Abschiebeg­efängnis Büren, Amadou Tidiane D., versucht haben, seine Zelle in Brand zu setzen. »Die Menschen aus Guinea, die aktuell in Abschiebeh­aft in Büren sitzen, bezeichnen die Haft und das Gefängnis als einen Ort der Folter und der Diskrimini­erung«, erklärte die Unterstütz­ungsgruppe.

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