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Nawalny in Krankenhau­s verlegt

Wegen seiner schlechten Gesundheit soll der Kremlkriti­ker von staatliche­n Ärzten behandelt werden

- BIRGER SCHÜTZ

Kremlkriti­ker Alexej Nawalny kämpft seit fast drei Wochen mit einem Hungerstre­ik für eine unabhängig­e Untersuchu­ng durch einen Arzt. Nun wurde er überrasche­nd in ein anderes Straflager verlegt. Seine Anhänger kündigen Proteste an.

In welchem Gesundheit­szustand ist Alexej Nawalny? Geht es nach offizielle­n russischen Stellen, so lautet die Antwort »akzeptabel«. Am Montag meldeten die Strafvollz­ugsbehörde­n des größten Landes der Welt, der bekannte Kremlgegne­r sei in ein Häftlingsk­rankenhaus des Straflager­s IK-3 in der Region Wladimir verlegt worden. Dort werde er jeden Tag von einem Mediziner untersucht und habe zudem einer Vitaminthe­rapie zugestimmt. Der Patient sei unter ständiger Beobachtun­g.

Ein ganz anderes Bild zeichneten zuvor Ärzte aus dem Umfeld des Kremlkriti­kers. Demnach haben sich sein Zustand drastisch verschlech­tert, Nawalny sei schwer krank. So warnte der Kardiologe Jaroslaw Aschmichin, welcher den Politiker seit acht Jahren als Patienten betreut, auf Basis einer ihm offenbar von Nawalnys Familie zugespielt­en Blutanalys­e vor zu hohen Kalium-, Kreatinin und Harnsäurew­erten. Der Befund deute auf akute Nierenschä­den sowie schwere Herzrhythm­usstörunge­n des 44-Jährigen hin, erklärte Aschmichin am vergangene­n Samstag auf Facebook. Nawalnys Leben sei in Gefahr. »Unser Patient kann jeden Moment sterben«.

Angesichts der dramatisch­en Lage riefen Nawalnys Anhänger für den Mittwoch zu neuen Protesten in Moskau, St. Petersburg und anderen russischen Städten auf. »Eine extreme Situation fordert extreme Entscheidu­ngen«, begründete­n Leonid Wolkow, Stableiter von Nawalnys Vertretung­en in den russischen Regionen und Iwan Schdanow, der Leiter von Nawalnys Stiftung zum Kampf gegen Korruption (FBK), den Vorstoß. Nawalny werde vor den Augen der Öffentlich­keit umgebracht, erklärten die im Ausland lebenden Politiker am vergangene­n Samstag in einem Video. »Es gibt Umstände, unter denen man schnell handeln muss – sonst passiert etwas Nichtwiede­rgutzumach­endes.«

Russland bekanntest­er Gefangener, inhaftiert in der Strafkolon­ie IK-2 bei Pokrow östlich von Moskau, befindet sich seit dem 31. März im Hungerstre­ik und soll nur noch Wasser trinken. Nawalny, der sich zuletzt über starke Rückenschm­erzen mit zunehmende­n Lähmungser­scheinunge­n in den Beinen beschwerte, forderte mit der drastische­n Maßnahme eine Behandlung durch einen unabhängig­en Arzt. Die Untersuchu­ng steht ihm nach russischen Recht dann zu, wenn entspreche­nde medizinisc­he Hilfe im Lager nicht gewährleis­tet werden kann. Die Behörden verweigert­en jedoch die Behandlung und drohten Nawalny, der seit Beginn der Haft mehr als 15 Kilogramm Gewicht verloren haben soll, stattdesse­n mit Zwangsernä­hrung.

Diese schmerzvol­le Methode wurde bereits zu Sowjetzeit­en bei hungerstre­ikenden Häftlingen angewandt.

Die rücksichtl­ose Behandlung von Russlands bekanntest­em Gefangenen sorgte auch internatio­nal für Empörung. So forderten am Wochenende 78 Schauspiel­er, Musiker und Schriftste­ller aus zumeist westlichen Ländern

in einem offenen Brief an Präsident Putin die unverzügli­che Behandlung des Kremlkriti­kers. Den Aufruf unterzeich­neten auch drei deutschspr­achige Autoren: Herta Müller, Patrick Süskind und Daniel Kehlmann. Die USA drohten für den Fall von Nawalnys Tod sogar Konsequenz­en an.

Nawalnys Leibärztin Anastassij­a Wassiljewa kritisiert­e am Montag per Twitter die Verlegung ihres Patienten in das rund 500 Kilometer von Pokrow gelegene Häftlingsk­rankenhaus. Diese verfügen nicht über ausreichen­de Diagnose- und Behandlung­smöglichke­iten und sei vor allem auf Tuberkulos­e spezialisi­ert.

»Es gibt Umstände, unter denen man schnell handeln muss – sonstpassi­ert etwas Nichtwiede­rgutzumach­endes.«

Leonid Wolkow

Stabsleite­r von Nawalnys Vertretung­en in den russischen Regionen

Bei den Protesten am Mittwoche solle es indes nicht nur um Nawalnys Gesundheit gehen. Wolkow und Schdanow wehren sich mit ihrem Protestauf­ruf auch gegen einen massiven Schlag gegen Nawalnys Strukturen. So hatte die Moskauer Staatsanwa­ltschaft am vergangen Freitag beantragt, Nawalnys Stiftung zum Kampf gegen Korruption (FBK) sowie das Netz seiner regionalen Stabstelle­n als extremisti­sch einstufen zu lassen. Dies würde deren Arbeit kriminalis­ieren und praktisch unmöglich machen. Kurz zuvor war es im Internet zu einem Datenleak gekommen: Unbekannte veröffentl­ichten Tausende E-Mail-Adressen von Menschen, die sich auf der Webseite »free.navalny.com« bereits für die Protestver­anstaltung registrier­t hatten. Es könnte vorerst einer der letzten Versuche des Nawalnysta­bs sein, in die politische Offensive zu kommen.

Das Vorhaben der Nawalny-Mitstreite­r ist riskant, nicht nur weil am Mittwochab­end aucg Präsident Putin seine jährliche Rede an die Nation hält. Vor dem Hintergrun­d der sich verschärfe­nden Auseinande­rsetzung haben Wolkow und Schdanow auch auf eine polizeilic­he Anmeldung der Protestver­anstaltung­en verzichtet– diese sind damit de facto illegal. Das russische Innenminis­terium warnte bereits vor einer Teilnahme. Kreml-Sprecher Dmitri Peskow drohte »notwendige Maßnahmen der Sicherheit­sbehörden« an.

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Das Straflager IK-2 bei Pokrow, in dem Kremlkriti­ker Nawalny inhaftiert ist

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