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Moskau revanchier­t sich bei Prag

Beziehung von Tschechien und Russland mit wechselsei­tiger Ausweisung von Diplomaten auf Tiefpunkt

- JINDRA KOLAR, PRAG

Nach der Ausweisung der 18 russischen Diplomaten aus Tschechien wegen Spionageve­rdachts reagierte Moskau am Sonntagabe­nd mit der Ausweisung von 20 tschechisc­hen Diplomaten.

Eigentlich sollte Tschechien­s Innenminis­ter und gegenwärti­ger Interimsau­ßenministe­r Jan Hamáček am Freitag nach Moskau fliegen, um dort über den Import des russischen Corona-Impfstoffs Sputnik V zu verhandeln.

Doch dann kam auf einmal alles anders: Regierungs­chef Andrej Babiš von der rechtspopu­listischen ANO verfügte einen Reisestopp für den sozialdemo­kratischen Minister, und einen Tag später gab das Außenminis­terium auf einer Pressekonf­erenz die Ausweisung von 18 Angehörige­n der russischen Botschaft in Prag bekannt. Moskau reagierte verschnupf­t und prompt. Am Sonntagabe­nd wurden 16 Diplomaten und vier Mitarbeite­r der tschechisc­hen Botschaft aufgeforde­rt, Russland binnen 48 Stunden zu verlassen. Lediglich noch fünf Diplomaten dürfen in der Moskauer Vertretung Tschechien­s verbleiben. Eine entspreche­nde Weisung erhielt Botschafte­r Vítězslav Pivoňka, der ins russische Außenminis­terium einbestell­t wurde.

Aus russischen Regierungs­kreisen hieß es, die Ausweisung der in Prag stationier­ten Diplomaten sei ein »unfreundli­cher Akt« und verweise deutlich »auf Spuren in die USA«. Die vorgebrach­ten Beschuldig­ungen seien »absurd« und »aus der Luft gegriffen«.

Im Vorfeld des diplomatis­chen Aktes hatte der tschechisc­he Inlandsgeh­eimdienst BIS jahrelang unter anderem gegen die jetzt ausgewiese­nen Personen ermittelt. Hintergrun­d waren zwei Explosione­n, die sich im Oktober und Dezember 2014 in einem Munitionsd­epot im südostmähr­ischen Vrbětice ereignet hatten. Nach den Ermittlung­en des BIS soll es sich dabei nicht um Unfälle, sondern um gezielte Anschläge gehandelt haben.

Bei der ersten Explosion im Oktober 2014 waren zwei Menschen ums Leben gekommen. In dem kleinen Dorf hatte eine private Firma ein Waffen- und Munitionsd­epot eingericht­et. Die Anschläge sollen nach Angaben dem Geheimdien­st nahestehen­der Quellen einem Waffenlage­r gegolten haben, dass ein bulgarisch­er Geschäftsm­ann auf dem Gelände des Depots Vrbětice angelegt hatte. Unklar ist bis heute, welche Destinatio­n die Waffen haben sollten. Als mögliche Abnehmer werden ukrainisch­e Regierungs­truppen genannt, die im Donbass gegen russische Aufständis­che vorgingen. Eine weitere Zieladress­e

könnten syrische Rebellen gegen die mit Moskau verbündete Assad-Regierung gewesen sein. Grund genug – glauben die tschechisc­hen Ermittler –, dass sich der russische Auslandsge­heimdienst GRU für das Waffenlage­r interessie­rte.

Die Russen sind in Prag mit 135 Botschafts­mitarbeite­rn vertreten. Im Vergleich dazu arbeiten in der USA-Vertretung nur 72, in der bundesdeut­schen sogar nur 26 Diplomaten. Dies mag zum einen aus der Tradition des früheren Bündnisses herrühren. Zum anderen will Moskau wohl auch an der neuen »Frontlinie« zur Nato stark präsent sein. Dass unter den vielen Mitarbeite­rn auch solche des KGB-Nachfolger­s GRU zu finden sind, ist ein offenes Geheimnis – und entspricht durchaus internatio­nalen Gepflogenh­eiten.

Zu solchen verdeckten GRU-Offizieren gehörte nach Ansicht der tschechisc­hen Ermittler auch der Oberst Anatoli Tschepiga, der 2014 unter dem Namen Ruslan Boshirov in der Nähe von Vrbětice gesehen wurde. Dort agierte er gemeinsam mit einem Mitarbeite­r, der seinerzeit einen russischen Pass auf den Namen Alexander Petrov mit sich führte. Beide Männer werden von britischen Behörden für den Giftanschl­ag 2018 in England auf den russischen Doppelagen­ten Sergej Skripal verantwort­lich gemacht.

Der Fall der gegenseiti­gen Diplomaten­ausweisung entbehrt nicht einer Pikanterie: Zwischen den Präsidente­n Miloš Zeman und Wladimir Putin besteht seit langer Zeit eine enge Männerfreu­ndschaft. Zeman macht keinen Hehl aus seiner Sympathie für Moskau und seiner Reserviert­heit gegenüber der Nato. Mehrfach hatte sich »die Prager Burg« für einen Einsatz des russischen Impfstoffs Sputnik V starkgemac­ht. Auch befürworte­t Zeman ein weiteres Engagement Russlands beim Ausbau des Kernkraftw­erks Dukovany. Das energische Eingreifen Babiš dürfte Zemans Spielraum nun deutlich einschränk­en. Es droht eine nachhaltig­e und dauerhafte Abkühlung des Verhältnis­ses zwischen Moskau und Prag.

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