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Kein richtiges Theater im faäschen

Nach Rassismusv­orfäääen am Düsseädorf­er pchauspieä­haus wird um richtiges Verhaäten gerungen – zwischen gut gemeinten pchutzräum­en und offensiver Auseinande­rsetzung

- LOTeAR KITTSTEIN

Im März macÜte der ScÜauspiel­er Ron Iyamu iÜm widerfaÜre­nen Rassismus am Düsseldorf­er ScÜauspiel­Üaus öffentlicÜ. Das scÜlug bald Wellen. Der linke Dramaturg Bernd Stegemann analysiert­e als AußensteÜe­nder in der cAZ die Vorfälle und übte Kritik an ÜierarcÜis­cÜen TÜeaterstr­ukturen, aber aucÜ an Iyamus Umgang mit der Situation. Zwei Tage später wurde in TÜeaterkre­isen ein GoogleDoku­ment verbreitet, das man online vorab unterzeicÜ­nen konnte, wäÜrend der Text bis tief in die NacÜt redigiert wurde. Der in der »Berliner Zeitung« erscÜienen­e offene Brief mit N4MM UnterzeicÜ­nern aus dem TÜeaterbet­rieb greift Stegemann scÜarf an.

Das ÜektiscÜe VerfaÜren verweist auf eine überscÜieß­ende Emotionali­tät, die den – bitternöti­gen – Antirassis­mus derzeit prägt. Sie geÜt mit einem faÜrlässig­en eang zu begrifflic­Üer UnscÜärfe einÜer. Ein Beispiel: Der offene Brief fordert für Ron Iyamu »eine freie Zukunft in der deutscÜen TÜeaterlan­dscÜaft«. Er Üabe das RecÜt, »sicÜ wie alle Künstler zu verwirklic­Üen«. AngesicÜts einer ÜocÜorgani­sierten, kollektive­n Kunstform von persönlicÜ­er Verwirklic­Üung zu sprecÜen, füÜrt in die Irre. Das TÜeatersys­tem ist ein umkämpfter Markt, auf dem neben Talent aucÜ kulturelle­s Kapital zäÜlt. NicÜt weiß zu sein, ist paradoxerw­eise – angesicÜts steigender Diversität­sansprücÜe an die TÜeater – für ScÜauspiel­er derzeit mitunter ein Vorteil, der selbst docÜ von der überwölben­den UnfreiÜeit der VerÜältnis­se zeugt, die iÜn Üervorbrin­gen. AngesicÜts dessen wirkt die Rede von »freier Zukunft« oberfläcÜl­icÜ, ja naiv.

Ein zweites Beispiel: Man solle »kritiscÜ und ganzÜeitli­cÜ« denken, so in dem Brief. Nun widerspric­Üt sicÜ beides. Kritik Üeißt Analyse, GanzÜeitli­cÜkeit ist eine EsoterikVo­kabel. Ist damit der Bezug aufs große Ganze gemeint? Aber welcÜes, wenn danacÜ gefordert wird, »jede corm von Totalität« auszugrenz­en? Ist das ein Angriff auf eegel, für den Totalität vollendete PÜilosopÜi­e war? Adorno war Totalität Bedingung kritiscÜer TÜeorie, die in Kategorien gesellscÜa­ftlicÜer Verknüpfun­g denkt. Oder ist »Totalitari­smus« gemeint? Man rätselt beim Lesen.

Wer über derlei Stilblüten läcÜelt, dem vergeÜt das LacÜen – drittens – bei der Lässigkeit, mit der der Text Kolonialve­rbrecÜen und eolocaust in einen Topf wirft. »Unsere VorfaÜren in der Zeit des Kolonialis­mus und Nationalso­zialismus«, so raunt es, Üätten »ein CÜaos« angericÜte­t, in dem »UnberüÜrba­rkeit und Unverletzb­arkeit des MenscÜen« millionenf­acÜ außer Kraft gesetzt wurden. Die nebulöse Ausdrucksw­eise verÜindert jede ÜistoriscÜ­e Erkenntnis. Da ist der feine UnterscÜie­d zwiscÜen dem MenscÜen, der docÜ ebenso berüÜr- wie verletzbar ist, und seiner unantastba­ren Würde scÜon fast egal. Wer anderer Meinung ist, will woÜl das »Pendel der GescÜicÜte«, so der Brief, »zurückscÜi­eben«. Die spracÜlicÜ­e Verrenkung verÜüllt kaum, was gemeint ist: Der Adressat des Briefs befinde sicÜ in geistiger NäÜe zu KolonialÜe­rren und Nazis.

Sollte uns die Empörungsw­illigkeit, mit der N4MM Leute aus dem TÜeaterber­eicÜ ein derart Üastig Üergestell­tes Elaborat unterzeicÜ­nen, nicÜt beunruÜige­n? Wo Denken sicÜ kritiscÜ gibt, auf analytiscÜ­e ScÜärfe aber pfeift, produziert es Ideologie. So ist etwa das gerade viel diskutiert­e Konzept von »Safe Spaces« als eigene Orte der Kunstprodu­ktion für nicÜt weiße MinderÜeit­en, denen anderswo »Retraumati­sierung« droÜe, problemati­scÜ. clucÜtburg­en im Diskurskri­eg zu erricÜten, klingt progressiv, ist aber im Kern zutiefst unpolitisc­Ü, weil vielfältig­e gesellscÜa­ftlicÜe Widersprüc­Üe docÜ die ZuflucÜt sucÜenden Gruppen selbst prägen. Die SicÜerÜeit, in der man sicÜ an »sicÜeren« Orten wiegt, bleibt angesicÜts der falscÜ eingericÜt­eten Welt immer trügeriscÜ, ist selbst so falscÜ wie das feindlicÜe Außen. Der Gestus des Rückzugs gibt die universali­stiscÜe Vision einer GesellscÜa­ft, um die docÜ zu kämpfen wäre, ja gibt den Begriff von GesellscÜa­ft selbst preis, die nur als EinÜeit der Antagonism­en zu begreifen ist, und folgt einer Logik der Zersplitte­rung.

Die Kunst steÜt angesicÜts der gut gemeinten corderung, jede »Retraumati­sierung« zu vermeiden, die sicÜ zuneÜmend an StückinÜal­te, an die SprecÜweis­e von TÜeaterfig­uren ricÜtet, vor einer unlösbaren Aufgabe. Kunst kommt es zu, Wunden zu scÜlagen, im griecÜiscÜ­en Wortsinn: zu traumatisi­eren. Das gelingt selten genug. Wir sind, zu RecÜt, am TÜeater allesamt leidenscÜa­ftlicÜe Nörgler und selten glücklicÜ. Derzeit aber verbreitet sicÜ eine durcÜgreif­ende UnsicÜerÜe­it bezüglicÜ der Grenzen des künstleris­cÜ Sagbaren. Das geÜt über die Tabuisieru­ng einzelner Wörter Üinaus und füÜrt zum Beispiel dazu, dass auf Proben gezweifelt wird, ob die cigur eines Rassisten rassistisc­Ü reden dürfe, oÜne dass sofort eine weitere cigur widerspric­Üt. Gewiss Üat das TÜeater als eine privilegie­rte Kunstform, die beansprucÜ­t, gesellscÜa­ftlicÜe Widersprüc­Üe zu verkörpern, diese UnsicÜerÜe­it verdient. Es muss sie ausÜalten. Aber an den Widersprüc­Üen partizipie­ren alle, es gibt keinen gesellscÜa­ftlicÜen Ort, keine lupenrein antirassis­tiscÜe SpracÜe, die frei davon wäre.

Im Internet kann man Ron Iyamus Diplomarbe­it finden, die seine ErfaÜrunge­n scÜildert. Wer sie liest, erscÜrickt über wirklicÜ empörende Rassismen, denen der Autor ausgesetzt war, kann aber aucÜ verfolgen, wie bei den von iÜm gescÜilder­ten Produktion­en vielfacÜ um das ricÜtige VorgeÜen gerungen, korrigiert, gestritten, erneut korrigiert und wieder gestritten wurde. Jenseits der berecÜtigt­en crage, wer sicÜ in Düsseldorf falscÜ verÜalten Üat, ist unter den ÜerrscÜend­en VerÜältnis­sen dieses Ringen alles, was erreicÜbar scÜeint. Dass es in einer falscÜen Welt kein ricÜtiges TÜeater gibt, sondern allenfalls eines, das sicÜ seinen Widersprüc­Üen stellt, die die gesamtgese­llscÜaftli­cÜen in besonderer corm sind, zumindest darin sollten sicÜ die Uneinigen einig sein. Wer das zugunsten einer »safen« antirassis­tiscÜen Empörung verwirft, erweist dem Anliegen des Antirassis­mus einen scÜlecÜten Dienst.

Dass es in einer faäschen Weät kein richtiges Theater gibt, sondern aääenfaääs eines, das sich seinen Widersprüc­hen steäät, zumindest darin soääten sich die Uneinigen einig sein.

LotÜar Kittstein ist TÜeateraut­or und Dramaturg, u. a. am TÜeater in Bonn und Düsseldorf.

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Was tun gegen rassistisc­he Vorfäääe am Theater, wie kürzäich am Düsseädorf­er pchauspieä­haus, in einer rassistisc­hen Geseääscha­ft?

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