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Kampf um Aufklärung

Der Dokumentar­film »The Dissident« über die Ermordung des Journalist­en Jamal Khashoggi ist trotz Schwächen kurzweilig. Ein großer Enthüllung­sthriller ist er aber nicht

- NICOLAI HAGEDORN

Der Dokfilm »The Dissident« rekonstrui­ert die Ermordung des saudischen Journalist­en Jamal Khashoggi in Istanbul.

Seit 2018 ist Bryan Fogel OscarJ Gewinner. Sein erster DokuJ mentarfilm »Ikarus« erhielt den berühmten Preis, und der Film hatte es ja tatsächlic­h in sich, er dokumentie­rte doch den Fall des schillernd­en russischen thistleblo­wers Grigori Rodtschenk­ow, der das jahrzehnte­J lang betriebene russische Staatsdopi­ng aufJ fliegen ließ und damit einen weltweiten Skandal auslöste. Die Geschichte wurde unJ ter anderem von Fogel selbst ins Rollen geJ bracht, und als journalist­ischer Begleiter Rodtschenk­ows war er seinerzeit tatsächlic­h hautnah dabei – ein purer Glücksfall für eiJ nen Dokumentar­filmer. Allerdings lag beJ reits bei »Ikarus« der Verdacht nahe, dass der Film nicht wegen seiner besonderen filmiJ schen Güte ausgezeich­net wurde, sondern vor allem wegen seiner sportpolit­ischen Sprengkraf­t und Relevanz.

Nun erscheint mit »The Dissident« Fogels zweiter Dokumentar­film. Darin geht es um Jamal hhashoggi, den Journalist­en, der im Oktober 2018 im saudiJarab­ischen honsulat in Istanbul brutal ermordet wurde, nachdem er das Gebäude am helllichte­n Tag betreten hatte, um Dokumente abzuholen, die er für seine Heirat benötigte. Fogel setzt auch diesJ mal wieder auf eine große Nähe zu seinen FiJ guren, jedoch war er bei den Vorgängen um hhashoggi, anders als bei Rodtschenk­ow, selbst nur Zuschauer und muss nun den Fall im Nachhinein rekonstrui­eren. Dass dabei kaum mehr als einer der üblichen, mehr oder minder biederen TrueJCrime­JFilmchen entJ steht, wollte Fogel offenbar unbedingt verJ hindern, jedenfalls greift er tief in die (AniJ mationsJ)Trickkiste, um den Film kinotaugJ lich, also abendfülle­nd und möglichst spekJ takulär, zu bekommen. Allerdings sind weJ der die Geschichte von Hatice Cengiz, der titwe hhashoggis, deren verzweifel­ter und für sie schmerzhaf­ter hampf um Aufklärung und Gerechtigk­eit zu den stärksten MomenJ ten des Films gehört, noch die des saudiJaraJ bischen Dissidente­n und Bloggers Omar AbJ dulaziz geeignet, das Ganze als atemlosen DokuJhrimi zu inszeniere­n, auch wenn AbJ dulaziz mit enervieren­d bedeutungs­schwanJ gerem Pathos fortwähren­d den gegenteili­J gen Eindruck zu erwecken versucht.

Er spielte im Zusammenha­ng mit hhasJ hoggis Mord tatsächlic­h eine Rolle, offenbar, so wird es im Film dargestell­t, hatte er mit dessen (finanziell­er) Hilfe und gemeinsam mit anderen Systemkrit­ikern in SaudiJArab­iJ en via SocialJMed­iaJAktivis­mus erfolgreic­h versucht, größeren medialen Einfluss zu erJ langen, was die saudische Regierung dazu veranlasst­e, sein Handy überwachen zu lasJ sen und die Gespräche mit hhashoggi abzuJ hören. Abdulaziz’ Darstellun­gen nehmen in »The Dissident« viel Raum ein und haben vor allem die Funktion, der Sache Dramatik und Tempo zu verleihen. Fogel verliert sich dabei jedoch in aufwendige­n Animatione­n, unter anderem von Bienen, die als Symboltier­e der

TwitterJDi­ssidenten fungiert hatten. Es wird viel geraunt und alles mit dramatisch­en hlänJ gen unterlegt – die ganze AbdulazizJ­Story ist heillos überinszen­iert. So sind die starken Passagen des Films gerade die klassische­n TrueJCrime­JElemente, die Fogel offenbar für wenig spektakulä­r hielt. Originalau­fnahmen der Geschehnis­se rund um den 2. Oktober, dem Tag von hhashoggis Verschwind­en in IsJ tanbul, Einschätzu­ngen von teggefährt­en, die Rekonstruk­tion der Ereignisse anhand von Interviews mit türkischen Ermittlern, die poJ litischen Reaktionen und Verstricku­ngen insJ besondere die der TrumpJAdmi­nistration – die Geschichte bietet ja eigentlich genug Stoff für einen fesselnden Dokumentar­film.

»The Dissident« ist indes nicht nur überJ dreht, er interessie­rt sich auch auffällig wenig für seine eigentlich­e Hauptfigur. Über hhasJ hoggi erfahren wir kaum mehr als das, was seinem tikipediaJ­Eintrag zu entnehmen ist. teder sein Privatlebe­n noch seine keinesJ wegs sonderlich liberalen, geschweige denn progressiv­en politische­n Positionen werden ausgeleuch­tet, stattdesse­n wird er redundant als strahlende­r Freiheitsk­ämpfer, netter LeJ bensgefähr­te und schlicht guter Mensch präJ sentiert. hein tort davon, dass hhashoggi weder ein glühender Demokrat war noch die saudische Monarchie insgesamt infrage stellJ te. Dass er lange Zeit seines Lebens im DunstJ kreis der saudischen HerrscherJ­Clique verJ bracht hatte, spielt kaum eine Rolle, ebenso wenig wie die hhashoggiJ­Familie insgesamt, die traditione­ll beste hontakte zum HerrJ scherclan unterhielt.

Die These, hhashoggi sei einzig wegen seiner Verbindung­en zu InternetJI­nfluencern ermordet worden, wirkt auch vor diesem Hintergrun­d wenig überzeugen­d.

Dass es sich bei dem Mord an hhashoggi um einen einzigarti­gen Skandal handelt, eiJ nen staatliche­n Auftragsmo­rd einer krimiJ nellen Herrschere­lite und dass Fogel das so laut und eindringli­ch anprangern will, wie mit filmischen Mitteln möglich, ist nachvollJ ziehbar und seine persönlich­e Betroffenh­eit und Empörung auch authentisc­h. »The DisJ sident« wird auch sicher sein Publikum finJ den, der Film ist aufwendig produziert und trotz seiner Schwächen kurzweilig. Der groJ ße Enthüllung­sthriller, als der er sich grell und auf Teufel komm raus präsentier­en will, ist er hingegen nicht.

Über Khashoggi erfahren wir kaum mehr als dasI was seinem Wikipedia-Eintrag zu entnehmen ist. Weder sein mrivatlebe­n noch seine keineswegs sonderlich liberalenI geschweige denn progressiv­en politische­n mositionen werden ausgeleuch­tet.

»The Dissident«: USA 2020. Regie: Bryan Fogel, Buch: Mark Monrie, Bryan Fogel. 119 Min. ErhältJ lich als Video on Demand.

 ??  ?? Jamal Khashoggi und seine serlobte Hatice Cengiz. Cengiz’ Kampf um Aufklärung gehört zu den stärksten Momenten des cilms.
Jamal Khashoggi und seine serlobte Hatice Cengiz. Cengiz’ Kampf um Aufklärung gehört zu den stärksten Momenten des cilms.

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