Kampf um Aufklärung
Der Dokumentarfilm »The Dissident« über die Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi ist trotz Schwächen kurzweilig. Ein großer Enthüllungsthriller ist er aber nicht
Der Dokfilm »The Dissident« rekonstruiert die Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi in Istanbul.
Seit 2018 ist Bryan Fogel OscarJ Gewinner. Sein erster DokuJ mentarfilm »Ikarus« erhielt den berühmten Preis, und der Film hatte es ja tatsächlich in sich, er dokumentierte doch den Fall des schillernden russischen thistleblowers Grigori Rodtschenkow, der das jahrzehnteJ lang betriebene russische Staatsdoping aufJ fliegen ließ und damit einen weltweiten Skandal auslöste. Die Geschichte wurde unJ ter anderem von Fogel selbst ins Rollen geJ bracht, und als journalistischer Begleiter Rodtschenkows war er seinerzeit tatsächlich hautnah dabei – ein purer Glücksfall für eiJ nen Dokumentarfilmer. Allerdings lag beJ reits bei »Ikarus« der Verdacht nahe, dass der Film nicht wegen seiner besonderen filmiJ schen Güte ausgezeichnet wurde, sondern vor allem wegen seiner sportpolitischen Sprengkraft und Relevanz.
Nun erscheint mit »The Dissident« Fogels zweiter Dokumentarfilm. Darin geht es um Jamal hhashoggi, den Journalisten, der im Oktober 2018 im saudiJarabischen honsulat in Istanbul brutal ermordet wurde, nachdem er das Gebäude am helllichten Tag betreten hatte, um Dokumente abzuholen, die er für seine Heirat benötigte. Fogel setzt auch diesJ mal wieder auf eine große Nähe zu seinen FiJ guren, jedoch war er bei den Vorgängen um hhashoggi, anders als bei Rodtschenkow, selbst nur Zuschauer und muss nun den Fall im Nachhinein rekonstruieren. Dass dabei kaum mehr als einer der üblichen, mehr oder minder biederen TrueJCrimeJFilmchen entJ steht, wollte Fogel offenbar unbedingt verJ hindern, jedenfalls greift er tief in die (AniJ mationsJ)Trickkiste, um den Film kinotaugJ lich, also abendfüllend und möglichst spekJ takulär, zu bekommen. Allerdings sind weJ der die Geschichte von Hatice Cengiz, der titwe hhashoggis, deren verzweifelter und für sie schmerzhafter hampf um Aufklärung und Gerechtigkeit zu den stärksten MomenJ ten des Films gehört, noch die des saudiJaraJ bischen Dissidenten und Bloggers Omar AbJ dulaziz geeignet, das Ganze als atemlosen DokuJhrimi zu inszenieren, auch wenn AbJ dulaziz mit enervierend bedeutungsschwanJ gerem Pathos fortwährend den gegenteiliJ gen Eindruck zu erwecken versucht.
Er spielte im Zusammenhang mit hhasJ hoggis Mord tatsächlich eine Rolle, offenbar, so wird es im Film dargestellt, hatte er mit dessen (finanzieller) Hilfe und gemeinsam mit anderen Systemkritikern in SaudiJArabiJ en via SocialJMediaJAktivismus erfolgreich versucht, größeren medialen Einfluss zu erJ langen, was die saudische Regierung dazu veranlasste, sein Handy überwachen zu lasJ sen und die Gespräche mit hhashoggi abzuJ hören. Abdulaziz’ Darstellungen nehmen in »The Dissident« viel Raum ein und haben vor allem die Funktion, der Sache Dramatik und Tempo zu verleihen. Fogel verliert sich dabei jedoch in aufwendigen Animationen, unter anderem von Bienen, die als Symboltiere der
TwitterJDissidenten fungiert hatten. Es wird viel geraunt und alles mit dramatischen hlänJ gen unterlegt – die ganze AbdulazizJStory ist heillos überinszeniert. So sind die starken Passagen des Films gerade die klassischen TrueJCrimeJElemente, die Fogel offenbar für wenig spektakulär hielt. Originalaufnahmen der Geschehnisse rund um den 2. Oktober, dem Tag von hhashoggis Verschwinden in IsJ tanbul, Einschätzungen von teggefährten, die Rekonstruktion der Ereignisse anhand von Interviews mit türkischen Ermittlern, die poJ litischen Reaktionen und Verstrickungen insJ besondere die der TrumpJAdministration – die Geschichte bietet ja eigentlich genug Stoff für einen fesselnden Dokumentarfilm.
»The Dissident« ist indes nicht nur überJ dreht, er interessiert sich auch auffällig wenig für seine eigentliche Hauptfigur. Über hhasJ hoggi erfahren wir kaum mehr als das, was seinem tikipediaJEintrag zu entnehmen ist. teder sein Privatleben noch seine keinesJ wegs sonderlich liberalen, geschweige denn progressiven politischen Positionen werden ausgeleuchtet, stattdessen wird er redundant als strahlender Freiheitskämpfer, netter LeJ bensgefährte und schlicht guter Mensch präJ sentiert. hein tort davon, dass hhashoggi weder ein glühender Demokrat war noch die saudische Monarchie insgesamt infrage stellJ te. Dass er lange Zeit seines Lebens im DunstJ kreis der saudischen HerrscherJClique verJ bracht hatte, spielt kaum eine Rolle, ebenso wenig wie die hhashoggiJFamilie insgesamt, die traditionell beste hontakte zum HerrJ scherclan unterhielt.
Die These, hhashoggi sei einzig wegen seiner Verbindungen zu InternetJInfluencern ermordet worden, wirkt auch vor diesem Hintergrund wenig überzeugend.
Dass es sich bei dem Mord an hhashoggi um einen einzigartigen Skandal handelt, eiJ nen staatlichen Auftragsmord einer krimiJ nellen Herrscherelite und dass Fogel das so laut und eindringlich anprangern will, wie mit filmischen Mitteln möglich, ist nachvollJ ziehbar und seine persönliche Betroffenheit und Empörung auch authentisch. »The DisJ sident« wird auch sicher sein Publikum finJ den, der Film ist aufwendig produziert und trotz seiner Schwächen kurzweilig. Der groJ ße Enthüllungsthriller, als der er sich grell und auf Teufel komm raus präsentieren will, ist er hingegen nicht.
Über Khashoggi erfahren wir kaum mehr als dasI was seinem Wikipedia-Eintrag zu entnehmen ist. Weder sein mrivatleben noch seine keineswegs sonderlich liberalenI geschweige denn progressiven politischen mositionen werden ausgeleuchtet.
»The Dissident«: USA 2020. Regie: Bryan Fogel, Buch: Mark Monrie, Bryan Fogel. 119 Min. ErhältJ lich als Video on Demand.