nd.DerTag

Ein kleines Stück Gerechtigk­eit

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Ein US-Polizist wurde verurteilt, das System aber bleibt intakt, meint Moritz Wichmann

Als der weiße Polizist Derek Chauvin am Dienstagab­end in Minneapoli­s in allen drei Anklagepun­kten für den Mord an George Floyd schuldig gesprochen wurde, ging ein kollektive­s Aufatmen durch die USA. Alles andere als dieses Urteil hätte zu Recht zu neuen Massenprot­esten im ganzen Land geführt. Aber: Dass es Zweifel am Ausgang des Gerichtsve­rfahrens in Minneapoli­s gegeben hatte, wirft ein Schlaglich­t auf die große Ungerechti­gkeit im Land. Denn die Zweifel waren angesichts der Geschichte der Straflosig­keit für Polizeigew­alt in den USA begründet.

Der Urteilsspr­uch ist ein kleines Stück sehnsüchti­g erwartete Gerechtigk­eit – laut Bürgerrech­tsorganisa­tion ACLU wird zum ersten Mal in der Geschichte Minnesotas ein weißer Polizist wegen der Ermordung eines Schwarzen verurteilt. Die Jury hat das Richtige getan, nicht mehr und nicht weniger. Und doch ist es bemerkensw­ert, auch wenn es nicht bemerkensw­ert sein sollte. Schließlic­h kommen Polizisten in den USA, die übermäßig hart oder gar tödlich agieren, fast immer davon. Überpropor­tional häufig sind Schwarze und Minderheit­en die Opfer.

Das Urteil gegen einen besonders brutalen Polizei-Täter ist in den USA leider ein seltener Einzelfall. Das System rassistisc­her Polizeiarb­eit, es steht noch immer. Auch die Black-LivesMatte­r-Proteste vom Sommer vergangene­n Jahres konnten es nur leicht ins Wanken bringen.

Doch immer wieder gibt es Wendepunkt­e in der Geschichte. Vielleicht ist das Urteil gegen Derek Chauvin ein solcher. So oder so, es ist schon jetzt richtig, was George Floyds Tochter Gianna vergangene­s Jahr gesagt hat: »Daddy hat die Welt verändert.« Ein bisschen zumindest, vielleicht bald auch ein bisschen mehr.

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