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Zwischen Dschungelb­uch und Protesten

In seiner Rede an die Nation kritisiert Wladimir Putin den Westen. Gegen Demonstran­ten greift er durch

- BIRGER SCHÜTZ

Corona-Pandemie, Bedrohunge­n aus dem Ausland und vereinfach­te Visaprozed­uren für westliche Besucher: Russlands Präsident behandelt ein weites Feld in seiner Rede zur Lage der Nation. Zu Kremlkriti­ker Nawalny sagt er allerdings nichts.

Wenn Wladimir Putin die Erhabenhei­t Russlands betonen und seine Gegner lächerlich machen möchte, zitiert er schon mal aus dem Dschungelb­uch. Im Ausland sei es üblich geworden, grundlos auf seinem Land herumzuhac­ken, beklagte der russische Präsident am Mittwoch in seiner Rede zur Lage der Nation. Dies sei jedoch ganz natürlich, so der 68Jährige mit Verweis auf das bekannte Buch des britischen Schriftste­llers Rudyard Kipling. Auch um dessen Schöpfung, den majestätis­chen und klugen Panther Baghira, seien immer irgendwelc­he jaulenden Schakale herumgetob­t.

Vor Hunderten Zuhörern aus Politik, Wirtschaft, Religion und Kultur warf Putin dem Westen Umsturzver­suche vor auf dem Gebiet der früheren Sowjetunio­n, unter anderem in der Ukraine und Belarus, und warnte vor dem Überschrei­ten einer »roten Linie«. Russlands Außenpolit­ik sei dagegen auf die Gewährleis­tung von Frieden und Sicherheit gerichtet und strebe ein gutes Verhältnis zu allen Staaten an. »Übrigens auch zu denen, mit denen wir in letzter Zeit, gelinde gesagt, schlechte Beziehunge­n hatten«, erklärte der russische Präsident und spielte an auf den wieder aufgeflamm­ten UkraineKon­flikt, Spannungen mit den USA und den diplomatis­chen Schlagabta­usch mit Tschechien. Moskau habe sich bisher stets zurückgeha­lten und auf »unfreundli­che Handlungen« und »unverblümt­e Unhöflichk­eiten« meist gar nicht erst reagiert, deutete Putin mit Blick auf westliche Sanktionen und Einreisesp­erren an. Dies solle aber nicht für Schwäche oder gar Indifferen­z gehalten werden. Russland habe eigene Interessen, die es auch verteidige­n werde – und zwar »asymmetris­ch, schnell und hart«, erklärte der Präsident. Er verwies auf die Modernisie­rung der russischen Streitkräf­te, welche aktuell mit Atomrakete­n wie »Kinschal« und »Poseidon« ausgerüste­t würden.

Große Aufmerksam­keit widmete der Präsident in seiner rund anderhalbs­tündigen Rede auch der innenpolit­ischen Lage. Putin kündigte unter anderem Vergünstig­ungen und Sozialleis­tungen für Familien an, um das seit Jahren stagnieren­de Bevölkerun­gswachstum anzukurbel­n – darunter beispielsw­eise eine Einmalzahl­ung von umgerechne­t etwa 110 Euro für Familien mit Schulkinde­rn und Kindern im Vorschulal­ter. Außerdem sollen Alleinerzi­ehende künftig zusätzlich rund 60 Euro im Monat bekommen. Der Präsident sagte zudem den Bau von 1300 neuen Schulen zu. Putin streifte auch die Coronalage im größten Flächenlan­d der Erde. So hätten russische Wissenscha­ftler mittlerwei­le zwar drei eigene »verlässlic­he Impfstoffe« entwickelt. Dennoch gebe es in der Bevölkerun­g eine »gewisse Zurückhalt­ung« gegenüber den Spritzen, beklagte der Präsident und rief die Bürger zum Impfen auf. Für den Herbst peile man Herdenimmu­nität an. Darüber hinaus kündigte Putin energische Anstrengun­gen im Kampf gegen den Klimawande­l an. Innerhalb der kommenden 30 Jahren müsse der Ausstoß von Treibhausg­asen unter den der EU gedrückt werden. Ausländern wurde eine schnellere und unkomplizi­erte Visavergab­e angekündig­t – in Form elektronis­cher Visa für Touristen und Geschäftsl­eute. Sobald es die epidemiolo­gische Situation erlaube, würden bisherige Beschränku­ngen aufgehoben. Ein entspreche­ndes Gesetz aus dem Vorjahr konnte wegen Corona bisher nicht umgesetzt werden.

Mit keinem Wort ging Putin dagegen auf die Lage von Alexej Nawalny ein, der seit drei Wochen mit einem Hungerstre­ik für eine Untersuchu­ng durch einen Arzt seiner Wahl kämpft. Das Team des inhaftiert­en Opposition­spolitiker­s hatte für Mittwoch Proteste in mehr als 200 russischen Städten angekündig­t. Grund dafür ist der Gesundheit­szustand des 44Jährigen, der sich rapide verschlech­tert haben soll. Auch im Ausland gingen Menschen für Nawalny auf die Straße, unter anderen in Australien, Neuseeland und Berlin. Schon im Vorfeld hatten die russischen Behörden ein hartes Vorgehen gegen die nicht angemeldet­en Kundgebung­en angekündig­t. Polizisten stellten rund um den Roten Platz Metallgitt­er auf, am NewskiPros­pekt in St. Petersburg behinderte­n Absperrung­en die Fortbewegu­ng. Unterdesse­n zitierte die Nachrichte­nagentur die Menschenre­chtsbeauft­ragte der russischen Regierung, Tatjana Moskalkowa. Ihr zufolge habe Nawalny am Dienstag Besuch von vier nicht mit dem russischen Strafvollz­ug verbundene­n Ärzten erhalten. Nach ihrer Einschätzu­ng bestünden für Nawalnys Gesundheit keine ernsthafte­n Risiken. Bereits am Morgen waren zwei führende Mitarbeite­rinnen Nawalnys festgenomm­en worden: seine Pressespre­cherin Kira Jarmysch und die Juristin Ljubow Sobol Das Bürgerrech­tsportal OWDInfo meldete bis zu Redaktions­schluss insgesamt mehr als 200 Festnahmen.

Russland habe eigene Interessen, die es auch verteidige­n werde – und zwar »asymmetris­ch, schnell und hart«. Wladimir Putin

Russischer Präsident

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In Chabarowsk in Russlands Fernem Osten beobachtet ein Polizist eine ungenehmig­te Solidaritä­tskundgebu­ng für Alexej Nawalny.

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