Die Anbetung der harten Hand
Die US-Historikerin Anne Applebaum sorgt sich um die serlockung des Autoritären
tie Vizepräsidentin haJ mala Harris Jahrgang '64, besitzt Anne Applebaum die StaatsJ bürgerschaft der USA und Polens. UnterbroJ chen von wiederkehrenden Aufenthalten in London und ihrer Geburtsstadt tashington lebt die jüdische Journalistin und HistorikeJ rin seit gut dreißig Jahren in unserem NachJ barland. Sie ist mit dem konservativen polJ nischen ExJAußenminister Radek Sikorski verheiratet, und auch sie versteht sich als bürgerlichJliberal. Die Standortbeschreibung hilft, sowohl sie selbst als auch die PerspekJ tive ihres neuen Buches »Die Verlockung des Autoritären: tarum antidemokratische Herrschaft so populär geworden ist« zu verJ stehen. Das Buch ist mithin keine linke hritik am Phänomen des Autoritären und AutokraJ tischen. Es handelt sich um die bürgerliche Sicht auf eine Erscheinung, die in den verJ gangenen Jahren weltweit immer stärker geworden ist und die nicht zuletzt im – loJ cker ausgedrückt – Anhimmeln der harten Hand Ausdruck findet: Nicht so viel demoJ kratisch reden, einfach machen und nicht lang fackeln ...
Das Buch zerfällt in einen stärkeren Teil, in dem die Verfasserin das Phänomen grundJ sätzlich ausleuchtet. Und in eine Fülle epiJ sodischer Beispiele, die zunächst für LesbarJ keit, in ihrer Vielzahl später leider für VerJ zettelung und offenbleibende bzw. unbefrieJ digende Antworten sorgen. In den BeispieJ len beschreibt sie eine nicht für möglich geJ haltene gegenseitige Entfremdung von Freunden und Bekannten. So beginnt AppleJ baum mit einer Silvesterparty 1999, zu der sie und ihr Mann, damals VizeaußenminisJ ter, Freunde in ihr polnisches Landhaus einJ geladen hatten. Journalisten aus London und Moskau, Jungdiplomaten aus tarschau, Freunde aus New York und viele Polen nahJ men teil. Bei Unterschieden in Herkunft und Beruf habe es sich um honservative und LiJ berale gehandelt, die an Demokratie und Rechtsstaat, an Gewaltenteilung, die Nato und den damals anstehenden EUJBeitritt PoJ lens geglaubt hätten.
Heute, schreibt sie, sei von dieser EinigJ keit nichts mehr übrig. Heute würde sie beim Anblick einiger der Partygäste eher die StraJ ßenseite wechseln, als ein Gespräch mit ihJ nen zu suchen. Dito umgekehrt. tas sie verJ anlasste, damit das Buch zu beginnen, war ihre Erkenntnis: »Die Entfremdung ist poliJ tischer, nicht persönlicher Natur.« Die einsJ tigen honservativen Polens, aber auch UnJ garns, Spaniens, Frankreichs, Italiens und zum Teil Britanniens und der USA seien heuJ te in zwei Lager gespalten. tährend sich Applebaum, ihr Mann und andere für einen proJeuropäischen, marktwirtschaftlichen honservativismus oder einen teg links der Mitte aussprächen, machten sich z.B. polniJ sche ExJFreunde nun für die regierende naJ tionalistische PiSJPartei stark, die radikalen GesinnungsJ und Politikwandel hinter sich hat, frauenfeindlich, paranoid und offen auJ toritär handelt. tie in Viktor Orbáns Ungarn oder Donald Trumps Amerika macht die PiS islamische Zuwanderer zur Zielscheibe, verJ unglimpft Homosexuelle (»regenbogenfarJ bene Pest«), und einige der damaligen SilJ vestergäste mauserten sich zu VerschwöJ rungstheoretikern, Antisemiten oder InterJ nettrolls, die etwa Applebaum als »jüdische Drahtzieherin einer internationalen PresseJ kampagne gegen Polen« denunzieren.
Sie fragt, wie es dazu kommen konnte und stellt fest, dass diejenigen, die sich radikaliJ sierten – nicht bloß in Polen – oft nicht zu den wirtschaftlichen Verlierern gehörten und ihre Jobs auch nicht an Immigranten einbüßten. Der techsel, schreibt Applebaum mit VerJ weis auf die Verhaltensforscherin haren Stenner, erkläre sich zum einen damit, »dass rund ein Drittel der Bevölkerung jedes belieJ bigen Landes eine autoritäre Veranlagung habe«: Diese sehne sich »nach Homogenität und Ordnung und kann latent vorhanden sein, ohne sich äußern zu müssen, genau wie ihr Gegenteil, die freiheitliche Veranlagung, die Vielfalt und Unterschiede bevorzugt«. Stenners Autoritarismusdefinition habe Menschen im Blick, »die keine homplexität aushalten: Diese Veranlagung ist weder ›links‹ noch ›rechts‹, sondern grundsätzlich antiJ pluralistisch. Sie misstraut Menschen mit anJ deren Vorstellungen und ist allergisch gegen offen ausgetragene MeinungsverschiedenJ heiten.« Doch die Schwäche von Menschen für harte Autokraten ist nach Applebaums Analyse keine ausreichende Erklärung für deJ ren Erfolg. Um herrschen zu können, müssJ ten Autokraten möglichst große Teile der ÖfJ fentlichkeit erreichen. Dafür mobilisierten sie unter den heutigen Bedingungen der InterJ netJRevolution Autoren, Intellektuelle und Blogger, Meinungsmacher, FernsehproduJ zenten und Juristen, um der Öffentlichkeit ein von den Autokraten gewünschtes Bild zu verJ kaufen. Die Handlanger zettelten Unruhen an, verbreiteten Verschwörungstheorien und begründeten die Notwendigkeit des UmJ bruchs bis zum Verfassungsbruch. Einmal mehr bezieht sich Applebaum auf die austraJ lische tissenschaftlerin Stenner, die davor warnt, autoritäre Veranlagung vorschnell mit Verbohrtheit gleichzusetzen. Sie beschreibe sie »lieber als Schlichtheit«. Viele Menschen fühlten sich zu autoritärem Denken verführt, weil sie keine Diskussionen mögen, sie wünschten sich Einigkeit. »Bei einer plötzliJ chen honfrontation mit Vielfalt, sei es von Meinungen oder Erfahrungen, verlieren sie die Fassung. Sie suchen Lösungen in einer neuen politischen Sprache, die mehr GewissJ heit und Sicherheit verspricht.«
tenn dies stimmt, liegt hier eine wichtige Erklärung für den Erfolg von Autokraten wie Trump, Le Pen oder Orbán. Und eine neue Bestätigung für die alte Beobachtung des französischen Philosophen Michel de MonJ taigne. Er beklagte bereits im 16. JahrhunJ dert: »Nichts wird so fest geglaubt wie das, was wir am wenigsten wissen.«
»kichts wird so fest geglaubt wie dasI was wir am wenigsten wissen.«
Michel de Montaigne
Anne Applebaum: Die Verlockung des Autoritären: tarum antidemokratische Herrschaft so populär geworden ist. A. d. Amerik. v. Jürgen Neubauer. Siedler, 208 S., geb., 22 €.