Dangsterposse gegen den caschismus
Deutsch-russische Annäherung im Theater: Bertolt Brechts »Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui« in Moskau
In Zeiten anhaltender EntfremdunJ gen zwischen Russland und Deutschland können schon bescheiJ dene, künstlerische Zeichen etwas Hoffnung auf Besserung durch AnJ näherung geben. Zwei sehr unterJ schiedliche Beispiele: Der Moskauer RegisJ seur hirill Serebrennikow inszenierte im vergangenen Jahr am Berliner Deutschen Theater »Decamerone« nach Giovanni BocJ caccio, eine hoproduktion mit dem GogolJ Center Moskau, das Serebrennikow leitet. Corona verhinderte eine größere AufmerkJ samkeit in Deutschland. hürzlich lief die Ausstellung »Die Eisenzeit. Europa ohne Grenzen. Das erste Jahrtausend vor ChrisJ tus« in der St. Petersburger Eremitage. DieJ ses wissenschaftliche Großprojekt gestalteJ ten die Stiftung Preußischer hulturbesitz und die Eremitage gemeinsam, der jüngste Schritt in der Zusammenarbeit zwischen großen Museen in Russland und DeutschJ land. Die Ausstellung ist in Deutschland nicht wahrgenommen worden.
Umgekehrt kann bedeutsam werden, dass ein deutscher hünstler in Moskau arbeitet: Der deutsche Regisseur Siegfried hühn inJ szenierte kürzlich Brechts Parabelstück »Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui« am beJ rühmten Moskauer TagankaJTheater, wo es vor Publikum gezeigt werden kann. Das DraJ ma gilt als weitsichtiges Gleichnis über FaJ schismus, hapitalismus und MachtmissJ brauch. Anschaulich und grotesk zeigte Brecht in seiner Gangsterposse (1941) HitJ lers Aufstieg als Ergebnis von Mechanismen zwischen hriminalität und Machtstreben. Brechts Theater arbeitete mit grellen EffekJ ten und Verzerrungen, mit dem ganzen InstJ rumentarium seines epischen Theaters.
hühn verwendet die Übersetzung von Efim Etkind, der viele Stücke Brechts ins Russische übertragen hat. Er variiert einige Texte zuJ gunsten der hriminalisierung. Ebenso großJ zügig und locker borgt er sich Musikfetzen aus VerdiJ und MascagniJOpern. hühn nimmt auch Anleihen von anderswo auf: bei den FilJ men Federico Fellinis, bei Fritz Langs StummJ film »Metropolis«, bei der legendären »Arturo Ui«JInszenierung des Berliner Ensembles (1959, Manfred tekwerth/Peter Palitzsch). Das lockert die ansonsten grelle, laute Show auf, bei der auch viel geschrien wird.
Ein pausenlosesI temporeiches oauf und ounterI eine hechelnde dymnastikI meist mit grellem keonlicht ausgeleuchtet (selten mit carben). So kommt eine lauteI angreifende Aufführung zustandeI die mit viel Applaus bedacht wurde und wird.
hühn setzt auf hlischees und Masken: viel schwarze hostüme und noch mehr schwarze Schminke – dick umrandete Augenhöhlen beispielsweise, die das Grimassieren beförJ dern und das GroteskJGespenstische der FiJ guren steigern. Dazu passt das Bühnenbild (Boris Blank): ganz aus Metall, zusammenJ geschraubt wie aus dem Stabilbaukasten, zwei Spielpodeste weit oben links und rechts, in der Mitte eine riesige Treppe, die an ein MolochJMaul erinnert und auch entspreJ chend bespielt wird. Ein pausenloses, temJ poreiches Rauf und Runter, eine hechelnde Gymnastik, meist mit grellem Neonlicht ausJ geleuchtet (selten mit Farben). So kommt eiJ ne laute, angreifende Aufführung zustande, die mit viel Applaus bedacht wurde und wird.
Zu Brechts berühmtem und oft zitiertem Stückschluss »Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch« verbiegt Hauptdarsteller Alexej FinajewJNikolotow seine UiJFigur zum Hakenkreuz (wie es Martin tuttke in Heiner Müllers »Arturo Ui«JInszenierung von 1995 am Berliner Ensemble gezeigt hatte), ein überwältigendes Symbol.
Der Impuls für die Regiearbeit hühns in Moskau hat auf andere teise mit dem VerJ hältnis zwischen Russen und Deutschen zu tun: Der junge hühn studierte 1959 bis 1964 an der berühmten Moskauer Filmhochschule tGIh und freundete sich dort mit dem Schauspielstudenten Nikolaj Gubenko an. Mit einer Aufführung von »Arturo Ui«, ihrem geJ meinsamen Diplom, gastierten sie erfolgreich in der ganzen Sowjetunion. Gubenko entwiJ ckelte sich zu einem bedeutenden CharakterJ darsteller des sowjetischen hinos, sein Film »Mit gebrochenen Schwingen« (1977) machJ te ihn auch in Deutschland bekannt. hühn drehte bei der Defa rund ein Dutzend SpielJ filme. Ein halbes Leben später lud Gubenko seinen Freund zu einer neuen »Arturo Ui«JArJ beit ein, eben am TagankaJTheater. tährend der Arbeit gab Gubenko zu erkennen, dass in seinem Film »Mit gebrochenen Schwingen« auch Schicksale seiner Familie, besonders seiner Mutter, eingeflossen seien, Erlebnisse während der Okkupation durch die deutsche tehrmacht. Das wundert nicht, denn jede zweite russische Familie hat Opfer im hrieg zu beklagen. Der Zusammenhang zwischen GuJ benkos Familienschicksalen und Brechts »ArJ turo Ui« ist vertrackt, aber nachvollziehbar.
Jeder weiß, wohin die »Arturo Ui«JStory historisch geführt hat. Aber wohin führt sie russische Zuschauer heute? Und schließlich: Ein Gastspiel der Aufführung in Deutschland wäre kein schlechter Beitrag zur VerbesseJ rung der internationalen Beziehungen.