Antifaschismus zukunftsfest
»VVN-BdA 2030«: Auf ihrem Bundeskongress beriet die antifaschistische Organisation über Zukunftsstrategien
Die VVN-BdA beriet, wie der Generationswechsel gelingen kann. In Berlin bekam sie die Gemeinnützigkeit ganz zurück.
Auf ihrem ersten digitalen Kongress diskutierte die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes über den Umgang mit einer erstarkenden Rechten sowie über Mitgliedergewinnung und Möglichkeiten zur Vermittlung historischer Bildung.
Vor 20 Jahren starb der Journalist und Buchenwald-Häftling Emil Carlebach. Der charismatische Kommunist spielte eine wichtige Rolle, als sich die VVN der Bundesrepublik 1971 jungen Antifaschist*innen öffnete und zur Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschist*innen (VVNBdA) wurde. Der Bundeskongress der mittlerweile größten antifaschistischen Organisation in Deutschland fand am Wochenende pandemiebedingt weitgehend digital statt.
Die VVN-BdA müsse sich gegenüber jungen Menschen auch als lernende und nicht belehrende Organisation begreifen, betont der Historiker Mathias Wörsching.
In ihrem politischen Bericht benannten die Vorsitzenden Cornelia Kerth und Axel Holz die Entwicklung der extremen Rechten und »VVN-BdA 2030« als Schwerpunkte der Tagung. Am Sonntag wurde über die neue Qualität der rechten Bedrohung diskutiert. In Impulsreferaten wurde konstatiert, dass die Rechte seit dem letzten Bundeskongress 2017 auf verschiedenen Ebenen erfolgreich war. Mit der AfD habe sich eine in Teilen faschistische Partei im Bundestag und allen Landesparlamenten etabliert. Mit den Anschlägen von Halle und Hanau und dem Mord an den CDU-Politiker Walter Lübcke habe der rechte Terror eine neue Dimension erreicht. Gleichzeitig würden in Bundeswehr und Polizei immer wieder rechte Netzwerke und Chatgruppen enttarnt, was ein Indiz für den »rechten Marsch durch die Staatsapparate« sei.
Die Verluste der AfD bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz im März sind für die VVN-BdA-Aktivist*innen kein Grund zur Entwarnung. Vielmehr wird es als besorgniserregend angesehen, dass die Rechtspartei trotz internen Streits mühelos den Einzug in beide Landesparlamente geschafft hat. Zudem könnte die AfD bei den nächsten Landtagswahlen in ostdeutschen Bundesländern wieder Auftrieb bekommen. Dort habe die NPD, die in Sachsen und Mecklenburg Vorpommern in mehreren Legislaturperioden parlamentarisch vertreten war, jahrelange Vorarbeit geleistet.
Beim Schwerpunkt »VVN-BdA 2030« ging es um die Perspektive der Organisation ohne die Gründer*innengeneration. Am Wochenende nahmen mit Marianne Wilke und Ernst Grube noch zwei Kämpfer*innen gegen das NS-Regime an der Konferenz teil.
Der Historiker Mathias Wörsching, der sich als Enkel eines kommunistischen Widerstandskämpfers und Sohn eines Wehrmachtsdeserteurs seit Jahren mit der Problematik der dritten Generation der Widerstandskämpfer*innen befasst, benannte in einem Impulsreferat in einer Arbeitsgruppe die Probleme, der sich die VVN-BdA stellen muss. Einerseits sei die Distanzierung von Nationalsozialismus in Deutschland mittlerweile Staatsräson – ein großer Unterschied zur Situation im früheren Westdeutschland, wo die VVN-BdA bis in die 1980er Jahre gegen ein Verschweigen der braunen Vergangenheit ankämpfen musste. Wörsching benannte auch die problematischen Aspekte dieser Veränderungen. Heute dominiere eine Art »Aufarbeitungsstolz«. So gehöre es zur neuen deutschen Erzählung, die eigene Geschichte angeblich besonders gründlich aufgearbeitet zu haben, woraus man gar die Legitimation ableitet, notfalls auch wie in Jugoslawien Kriege mit der Begründung zu führen, es müsse ein neues Auschwitz verhindert werden. Als weiteres Problem, mit dem die VVNBdA umzugehen habe, benannte Wörsching, die Tatsache, dass viele junge Leute heute ihr Wissen über den Faschismus eher aus der Popkultur als aus der Beschäftigung mit Geschichtsdebatten übernehmen. Eine Herausforderung bestehe zudem darin, jungen Menschen migrantischer Herkunft die NS-Geschichte zu vermitteln. Zugleich müsse sich die VVN-BdA gegenüber jungen Menschen als lernende und nicht belehrende Organisation begreifen, betonte Wörsching.
In der anschließenden Diskussion berichteten VVN-BdA-Mitglieder aus verschiedenen Städten über durchaus ermutigende Beispiele, wie diese Vermittlung in der Praxis gelingen kann. Mit jungen Vorstandsmitgliedern wie der in Bolivien geborenen Denise Maxima Torres setzt die Organisation ein Zeichen, allen in Deutschland lebenden Menschen Raum zu geben.
Nach der Bundesorganisation ist auch der Landesverband der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten wieder gemeinnützig.
»Erleichtert und erfreut«, zeigte sich die Berliner Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) darüber, dass das Berliner Finanzamt ihr die Gemeinnützigkeit für die Jahre 2017 bis 2019 gewährt hat. Damit sei das »Damoklesschwert« eventueller Nachzahlungen an das Finanzamt fürs Erste gebannt und Spenden an die Berliner Organisation könnten weiterhin steuerlich abgesetzt werden. Markus Tervooren, Geschäftsführer der Berliner VVN-BdA, bedankte sich bei allen Unterstützer*innen, sowie jenen Parlamentarier*innen, die der Berliner VVNBdA im Kampf um die Gemeinnützigkeit geholfen haben. »Mir persönlich ist ein richtiger Stein vom Herzen gefallen, als ich den Freistellungsbescheid in den Händen hielt«, schreibt Tervooren.
Dass dem Berliner Landesverband die Gemeinnützigkeit verwehrt worden war, ist auf eine Auseinandersetzung mit dem bayrischen Verfassungsschutz zurückzuführen. Dieser hatte die Bundesorganisation des VVN-BdA in seinen Berichten als »linksextremistisch beeinflusst« bezeichnet. Das Berliner Finanzamt hatte dem VVN-BdA daraufhin 2019 untersagt, Spenden und Mitgliedsbeiträge steuerlich abzusetzen und die Rückerstattung von Steuergeldern im fünfstelligen Bereich verlangt. Im Zuge dieser Auseinandersetzung war auch der Berliner VVN-BdA der Freistellungsbescheid mit Verweis auf die Bundesorganisation verwehrt worden, und es standen hohe Steuernachzahlungen im Raum.
Die Berliner VVN-BdA ist mit dem neuen Bescheid nun doch als gemeinnützig steuerbefreit. Die Einstufung des Gesamtverbands als »extremistische Organisation« wurde im Verfassungsschutzbericht 2019 nicht mehr vorgenommen, weshalb ihr Ende März die Gemeinnützigkeit vom Finanzamt ab 2019 wieder gewährt wurde. Für die Jahre 2016 bis 2018 steht eine Entscheidung noch aus, aber die Bundesvereinigung zeigt sich optimistisch, dass die Bedenken auf Seiten des Finanzamtes ausgeräumt werden können. Die Landesgeschäftsstelle des antifaschistischen Verbandes in Bayern gilt der Behörde noch immer als extremistisch.