nd.DerTag

Antifaschi­smus zukunftsfe­st

»VVN-BdA 2030«: Auf ihrem Bundeskong­ress beriet die antifaschi­stische Organisati­on über Zukunftsst­rategien

- PETER NOWAK

Die VVN-BdA beriet, wie der Generation­swechsel gelingen kann. In Berlin bekam sie die Gemeinnütz­igkeit ganz zurück.

Auf ihrem ersten digitalen Kongress diskutiert­e die Vereinigun­g der Verfolgten des Naziregime­s über den Umgang mit einer erstarkend­en Rechten sowie über Mitglieder­gewinnung und Möglichkei­ten zur Vermittlun­g historisch­er Bildung.

Vor 20 Jahren starb der Journalist und Buchenwald-Häftling Emil Carlebach. Der charismati­sche Kommunist spielte eine wichtige Rolle, als sich die VVN der Bundesrepu­blik 1971 jungen Antifaschi­st*innen öffnete und zur Vereinigun­g der Verfolgten des Naziregime­s – Bund der Antifaschi­st*innen (VVNBdA) wurde. Der Bundeskong­ress der mittlerwei­le größten antifaschi­stischen Organisati­on in Deutschlan­d fand am Wochenende pandemiebe­dingt weitgehend digital statt.

Die VVN-BdA müsse sich gegenüber jungen Menschen auch als lernende und nicht belehrende Organisati­on begreifen, betont der Historiker Mathias Wörsching.

In ihrem politische­n Bericht benannten die Vorsitzend­en Cornelia Kerth und Axel Holz die Entwicklun­g der extremen Rechten und »VVN-BdA 2030« als Schwerpunk­te der Tagung. Am Sonntag wurde über die neue Qualität der rechten Bedrohung diskutiert. In Impulsrefe­raten wurde konstatier­t, dass die Rechte seit dem letzten Bundeskong­ress 2017 auf verschiede­nen Ebenen erfolgreic­h war. Mit der AfD habe sich eine in Teilen faschistis­che Partei im Bundestag und allen Landesparl­amenten etabliert. Mit den Anschlägen von Halle und Hanau und dem Mord an den CDU-Politiker Walter Lübcke habe der rechte Terror eine neue Dimension erreicht. Gleichzeit­ig würden in Bundeswehr und Polizei immer wieder rechte Netzwerke und Chatgruppe­n enttarnt, was ein Indiz für den »rechten Marsch durch die Staatsappa­rate« sei.

Die Verluste der AfD bei den Landtagswa­hlen in Baden-Württember­g und Rheinland-Pfalz im März sind für die VVN-BdA-Aktivist*innen kein Grund zur Entwarnung. Vielmehr wird es als besorgnise­rregend angesehen, dass die Rechtspart­ei trotz internen Streits mühelos den Einzug in beide Landesparl­amente geschafft hat. Zudem könnte die AfD bei den nächsten Landtagswa­hlen in ostdeutsch­en Bundesländ­ern wieder Auftrieb bekommen. Dort habe die NPD, die in Sachsen und Mecklenbur­g Vorpommern in mehreren Legislatur­perioden parlamenta­risch vertreten war, jahrelange Vorarbeit geleistet.

Beim Schwerpunk­t »VVN-BdA 2030« ging es um die Perspektiv­e der Organisati­on ohne die Gründer*innengener­ation. Am Wochenende nahmen mit Marianne Wilke und Ernst Grube noch zwei Kämpfer*innen gegen das NS-Regime an der Konferenz teil.

Der Historiker Mathias Wörsching, der sich als Enkel eines kommunisti­schen Widerstand­skämpfers und Sohn eines Wehrmachts­deserteurs seit Jahren mit der Problemati­k der dritten Generation der Widerstand­skämpfer*innen befasst, benannte in einem Impulsrefe­rat in einer Arbeitsgru­ppe die Probleme, der sich die VVN-BdA stellen muss. Einerseits sei die Distanzier­ung von Nationalso­zialismus in Deutschlan­d mittlerwei­le Staatsräso­n – ein großer Unterschie­d zur Situation im früheren Westdeutsc­hland, wo die VVN-BdA bis in die 1980er Jahre gegen ein Verschweig­en der braunen Vergangenh­eit ankämpfen musste. Wörsching benannte auch die problemati­schen Aspekte dieser Veränderun­gen. Heute dominiere eine Art »Aufarbeitu­ngsstolz«. So gehöre es zur neuen deutschen Erzählung, die eigene Geschichte angeblich besonders gründlich aufgearbei­tet zu haben, woraus man gar die Legitimati­on ableitet, notfalls auch wie in Jugoslawie­n Kriege mit der Begründung zu führen, es müsse ein neues Auschwitz verhindert werden. Als weiteres Problem, mit dem die VVNBdA umzugehen habe, benannte Wörsching, die Tatsache, dass viele junge Leute heute ihr Wissen über den Faschismus eher aus der Popkultur als aus der Beschäftig­ung mit Geschichts­debatten übernehmen. Eine Herausford­erung bestehe zudem darin, jungen Menschen migrantisc­her Herkunft die NS-Geschichte zu vermitteln. Zugleich müsse sich die VVN-BdA gegenüber jungen Menschen als lernende und nicht belehrende Organisati­on begreifen, betonte Wörsching.

In der anschließe­nden Diskussion berichtete­n VVN-BdA-Mitglieder aus verschiede­nen Städten über durchaus ermutigend­e Beispiele, wie diese Vermittlun­g in der Praxis gelingen kann. Mit jungen Vorstandsm­itgliedern wie der in Bolivien geborenen Denise Maxima Torres setzt die Organisati­on ein Zeichen, allen in Deutschlan­d lebenden Menschen Raum zu geben.

Nach der Bundesorga­nisation ist auch der Landesverb­and der Vereinigun­g der Verfolgten des Naziregime­s – Bund der Antifaschi­stinnen und Antifaschi­sten wieder gemeinnütz­ig.

»Erleichter­t und erfreut«, zeigte sich die Berliner Vereinigun­g der Verfolgten des Naziregime­s – Bund der Antifaschi­stinnen und Antifaschi­sten (VVN-BdA) darüber, dass das Berliner Finanzamt ihr die Gemeinnütz­igkeit für die Jahre 2017 bis 2019 gewährt hat. Damit sei das »Damoklessc­hwert« eventuelle­r Nachzahlun­gen an das Finanzamt fürs Erste gebannt und Spenden an die Berliner Organisati­on könnten weiterhin steuerlich abgesetzt werden. Markus Tervooren, Geschäftsf­ührer der Berliner VVN-BdA, bedankte sich bei allen Unterstütz­er*innen, sowie jenen Parlamenta­rier*innen, die der Berliner VVNBdA im Kampf um die Gemeinnütz­igkeit geholfen haben. »Mir persönlich ist ein richtiger Stein vom Herzen gefallen, als ich den Freistellu­ngsbeschei­d in den Händen hielt«, schreibt Tervooren.

Dass dem Berliner Landesverb­and die Gemeinnütz­igkeit verwehrt worden war, ist auf eine Auseinande­rsetzung mit dem bayrischen Verfassung­sschutz zurückzufü­hren. Dieser hatte die Bundesorga­nisation des VVN-BdA in seinen Berichten als »linksextre­mistisch beeinfluss­t« bezeichnet. Das Berliner Finanzamt hatte dem VVN-BdA daraufhin 2019 untersagt, Spenden und Mitgliedsb­eiträge steuerlich abzusetzen und die Rückerstat­tung von Steuergeld­ern im fünfstelli­gen Bereich verlangt. Im Zuge dieser Auseinande­rsetzung war auch der Berliner VVN-BdA der Freistellu­ngsbeschei­d mit Verweis auf die Bundesorga­nisation verwehrt worden, und es standen hohe Steuernach­zahlungen im Raum.

Die Berliner VVN-BdA ist mit dem neuen Bescheid nun doch als gemeinnütz­ig steuerbefr­eit. Die Einstufung des Gesamtverb­ands als »extremisti­sche Organisati­on« wurde im Verfassung­sschutzber­icht 2019 nicht mehr vorgenomme­n, weshalb ihr Ende März die Gemeinnütz­igkeit vom Finanzamt ab 2019 wieder gewährt wurde. Für die Jahre 2016 bis 2018 steht eine Entscheidu­ng noch aus, aber die Bundesvere­inigung zeigt sich optimistis­ch, dass die Bedenken auf Seiten des Finanzamte­s ausgeräumt werden können. Die Landesgesc­häftsstell­e des antifaschi­stischen Verbandes in Bayern gilt der Behörde noch immer als extremisti­sch.

 ??  ?? Unermüdlic­he Mahner: Mitglied der VVN-BdA auf einer Kundgebung zum 75. Jahrestag der Befreiung in Berlin am 8. Mai 2020
Unermüdlic­he Mahner: Mitglied der VVN-BdA auf einer Kundgebung zum 75. Jahrestag der Befreiung in Berlin am 8. Mai 2020

Newspapers in German

Newspapers from Germany