Die Mieter haben die Wahl
Regierungsparteien in Berlin wählen Spitzenkandidaten – Wohnpolitik zentral
Berlin. Die Regierungsparteien in Berlin, SPD, Linke und Grüne, haben sich am Wochenende auf ihren Parteitagen für die Abgeordnetenhauswahl im September aufgestellt und ihre Spitzenkandidat*innen gewählt. Das beste Ergebnis fuhr dabei Grünen-Kandidatin Bettina Jarasch ein, die mit 98 Prozent auf Platz 1 gewählt wurde. Jarasch legte den Schwerpunkt auf die Verkehrswende wie auch auf das Thema Mieten. »Wir geben die Stadt den Menschen zurück, Stück für Stück«, kündigte sie mit Blick auf den angespannten Wohnungsmarkt der Hauptstadt an. Rund 11 000 Mitglieder haben die Berliner Grünen derzeit – fast doppelt so viele wie bei den Wahlen vor fünf Jahren. Seinerzeit gingen die Grünen als Juniorpartner in die Koalition, mittlerweile sind sie laut Umfragen stärkste Kraft. Die rot-rotgrüne Regierung in Berlin käme auf eine stabile Mehrheit und könnte weiter regieren.
Das ist auch das Ziel der Berliner Linken, die mit Kultursenator Klaus Lederer mit dem beliebtesten Politiker der Hauptstadt aufwarten kann. Lederer wurde auf dem Parteitag am Samstag mit 87,6 Prozent zum Spitzenkandidaten gekürt. Ebenfalls verabschiedet wurde das Linke-Wahlprogramm mit dem Titel »Rot. Radikal. Realistisch«. Lederer will im Wahlkampf vor allem mit dem Thema Mietenpolitik punkten. »Wir werden die Wahlen am 26. September zu einer Abstimmung über die Bereitschaft machen, sich dem Mietenwahnsinn zu stellen«, sagte er. Die Linke will nach dem Aus für den Berliner Mietendeckel vor dem Bundesverfassungsgericht Druck machen, dass der Bund entweder selbst aktiv wird oder Ländern und Kommunen die Möglichkeit gibt, eigenständig zu handeln.
Die SPD wählte Franziska Giffey mit 85,7 Prozent zur Spitzenkandidatin. Die Bundesfamilienministerin setzt auf eine Mischung aus Wirtschaftsfreundlichkeit und Law-andOrder-Politik. So gab sie das Ziel aus, bis 2030 200 000 neue Wohnungen bauen zu wollen und stellte ein Wirtschaftsförderprogramm für die Zeit nach der Coronakrise in Aussicht. »Enteignungen halte ich ganz klar für kein Instrument«, sagte Giffey mit Blick auf das Berliner Volksbegehren zur Enteignung großer Wohnungskonzerne, über das im September ebenfalls abgestimmt werden könnte und das nach dem Mietendeckel-Aus an Zustimmung gewinnt.
Jetzt geht es Schlag auf Schlag. Am Wochenende hievten SPD, Linke und Grüne ihre Spitzenkandidatinnen und -kandidaten aufs Schild. Das ist das Startsignal für den Wahlkampf, der in Berlin in diesem Jahr ein Superwahlkampf wird: In jedem Fall finden am 26. September dieses Jahres drei Abstimmungen statt – neu gewählt werden die Bezirksverordnetenversammlungen, das Abgeordnetenhaus und der Bundestag. Angesichts des Schubs nach dem Scheitern des Mietendeckels wird auch ein Volksentscheid von Deutsche Wohnen & Co enteignen immer wahrscheinlicher.
Der Wahlkampf wird wie immer einige Dramen zu bieten haben: Wer am Ende ins Rote Rathaus einziehen wird, ist zurzeit völlig offen. Die SPD setzt offenbar auf eine Mischung aus Wirtschaftsfreundlichkeit und Law-andOrder-Politik, garniert mit vielen Herzchen. Auch eine rote Kleingartenlaube soll bei Aktionen eine Rolle spielen, für ihre künftige Performance bekam die SPD-Spitzenkandidatin Franziska Giffey auf dem Parteitag eine rote Gießkanne überreicht.
Volle Kanne Wahlkampf, das heißt auch, dass von Rot-Rot-Grün jetzt nur noch wenig zu erwarten ist. Am vergangenen Freitag wurde nur noch kurz Bilanz gezogen. Ab sofort ist das mit dem Gönnen-Können endgültig Geschichte. Grüne und Linke würden »R2G«, wie es heißt, zwar gerne fortsetzen, aber ob die SPD mit Giffey dafür zur Verfügung stünde, ist nach diesem Wochenende und den dazu getätigten Aussagen unsicherer denn je. Für die Linke bietet das die Chance, sich weiter als die Mieterpartei zu etablieren. Die Grünen profilieren sich mit dem Thema Klimaschutz. Auch die Zeit nach der Pandemie haben alle bereits auf dem Schirm. Da drohen Berlin bittere Zeiten und neue Kürzungsorgien. Wiederaufbauprogramme – schön und gut – aber wer die Zeche für die Krise zahlt, das wird noch auszukämpfen sein.