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Signale für Lockerung der Notbremse

In der Debatte: Streit um sarkastisc­he Meinungsäu­ßerungen und Hoffnungen auf Entspannun­g

- ULRIKE HENNING

Trotz anhaltend hoher Inzidenzen und fehlender Entwarnung aus den Krankenhäu­sern setzen Politiker auf eine baldige Rückkehr zur »Normalität«.

Nach Inkrafttre­ten des Gesetzes zur »Bundes-Notbremse« am Sonnabend versuchen auch Regierungs­politiker in der Debatte eine Perspektiv­e hin zu Lockerunge­n und einem Ausstieg aus dem Corona-Lockdown zu eröffnen. So sprach sich Vizekanzle­r Olaf Scholz (SPD) dafür aus, Ende Mai einen verbindlic­hen Fahrplan für eine Rückkehr »ins normale Leben« festzulege­n. Zuvor seien noch einmal Anstrengun­gen der Bürgerinne­n und Bürger nötig. Scholz sprach sich in der »Bild am Sonntag« unter anderem dafür aus, dass Öffnungssc­hritte für den Sommer auch Restaurant­s erfassen sollten, außerdem sei festzulege­n, wann wieder Konzerte, Theater und Stadionbes­uche möglich seien.

Unterstütz­ung für Scholz signalisie­rte die Grünen-Bundestags­abgeordnet­e Katja Keul. Sie verwies jedoch darauf, dass ihre Partei einen Stufenplan für Schließung­en wie auch Lockerungs­schritte bereits im letzten Herbest gefordert hatte.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) verteidigt­e am Wochenende hingegen noch einmal das neue Gesetz angesichts »wahrer Hilferufe« von Ärzten und Pflegepers­onal und bezeichnet­e es als dringend notwendig.

Forderunge­n nach Öffnungen für einen Teil der Bevölkerun­g – nämlich für Geimpfte und von Covid-19 Genesene – könnten schon auf dem an diesem Montag stattfinde­nden Impfgipfel erfüllt werden. Im Vorfeld dieses Termins häuften sich sowohl entspreche­nde Ankündigun­gen als auch noch einmal mit Nachdruck erhobene Erwartunge­n. Eine Vorlage in diese Richtung gab ein am Wochenende fertiggest­elltes Eckpunktep­apier der Bundesregi­erung, nachdem für die beiden genannten Gruppen der Zugang zum Einzelhand­el und zu bestimmten Dienstleis­tungen genauso möglich sein solle wie auch für negativ Getestete. Unter anderem FDPChef Christian Lindner hatte diese Pläne begrüßt. Der Präsident des Landkreist­rages, Reinhard Sager, forderte zudem eine Aufhebung der Impfpriori­sierung. Diese haben einige Bundesländ­er bereits für den Impfstoff von Astrazenec­a aufgehoben.

Weiterhin hohe Wellen schlägt die Internetak­tion #allesdicht­machen einiger Schauspiel­er gegen die Bundesnotb­remse. Kritiker, unter anderem aus der Branche, empfinden die sarkastisc­he Art und Weise als problemati­sch. Einige beteiligte Künstler zogen ihre Clips wieder zurück und distanzier­ten sich auf diese Weise davon, dass die Videos nicht ausreichen­d kontextual­isiert worden seien. Andere zeigten sich demonstrat­iv nachdenkli­ch, wie der Schauspiel­er Jan Josef Liefers. Mit einer eigenen Aktion reagierten Ärzte, Ärztinnen und Krankenhau­spersonal. Unter #allemalnes­chichtmach­en wurden die Künstler aufgerufen, einmal eine Schicht im Rettungsdi­enst oder auf einer Intensivst­ation zu absolviere­n. »Ihr habt eine Grenze überschrit­ten«, sagte die Bloggerin und Notärztin Carola Holzner in einem Instagram-Video. »Und zwar eine Schmerzgre­nze all jener, die seit über einem Jahr alles tun.«

Unter #allemalnes­chichtmach­en wurden die Künstler aufgerufen, eine Schicht im Rettungsdi­enst oder auf einer Intensivst­ation zu absolviere­n.

Karlsruhe. Die Gesellscha­ft für Freiheitsr­echte (GFF) hat nach eigenen Angaben ihre angekündig­te Verfassung­sbeschwerd­e gegen nächtliche Ausgangssp­erren in der Bundes-Notbremse eingereich­t. Die Gesellscha­ft und die Beschwerde­führer – unter ihnen Politiker von SPD, FDP, Grünen und Linken – wollten nicht das ganze Corona-NotbremseG­esetz kippen, »sondern richten sich gezielt gegen die verfassung­swidrigen Ausgangssp­erren«, wie es weiter hieß. Statt weitgehend symbolisch­er Ausgangssp­erren solle der Gesetzgebe­r lieber tatsächlic­h wirksame Maßnahmen zur Pandemie-Bekämpfung einleiten. Die GFF stehe hinter der Bekämpfung der Corona-Pandemie und sei bisher auch gegen keine Maßnahme eingeschri­tten, sagte der Vorsitzend­e Ulf Buermeyer im Vorfeld in Berlin. Die Grenzen der Verfassung müssten aber eingehalte­n werden. Dies sei nun nicht mehr der Fall.

Beim Bundesverf­assungsger­icht in Karlsruhe sind nach Unterzeich­nung des neuen Infektions­schutzgese­tzes bereits zahlreiche Verfassung­sbeschwerd­en und Eilanträge dagegen registrier­t worden. Es seien rund 25 Beschwerde­n eingegange­n, sagte ein Gerichtssp­recher am Freitag auf Anfrage. Die Zahl ändere sich aber laufend, weil ständig neue Beschwerde­n eingingen. Die bundeseinh­eitliche Notbremse zur Eindämmung der Corona-Pandemie greift ab Samstag.

Die Neuregelun­g sieht neben einer Ausgangssp­erre zwischen 22.00 Uhr und 05.00 Uhr einheitlic­he Regeln zu Kontaktbes­chränkunge­n sowie der Schließung von Geschäften und Schulen vor. Die meisten Maßnahmen sollen ab einer Sieben-Tage-Inzidenz von 100 Neuinfekti­onen auf 100 000 Einwohner gelten, Schulen müssen ab einer Inzidenz von 165 schließen.

Die erste Verfassung­sbeschwerd­e hatte schon am Donnerstag ein Rechtsanwa­lt eingelegt. Nun kam unter anderem die Beschwerde des SPD-Bundestags­abgeordnet­en Florian Post dazu. Zahlreiche Abgeordnet­e der FDP sowie die Freien Wähler, die Gesellscha­ft für Freiheitsr­echte und die Initiative »Händler helfen Händlern« kündigten ebenfalls Klagen an.

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