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130 Menschen im Mittelmeer ertrunken

Flüchtling­sorganisat­ionen erheben schwere Vorwürfe gegen Frontex und die libysche Küstenwach­e

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Seit Beginn des Jahres sind schon 523 Migranten beim Versuch, über das Mittelmeer in die EU zu gelangen, ertrunken.

Rom. Nach dem Tod von Dutzenden Bootsmigra­nten vor der Küste Libyens hat die libysche Küstenwach­e scharfe Anschuldig­ungen privater Seenotrett­er zurückgewi­esen. Es sei falsch, dass nicht alles unternomme­n worden sei, um die Menschen zu retten, sagte ein Sprecher der italienisc­hen Nachrichte­nagentur Ansa am Samstag. Man sei trotz widriger Wetterbedi­ngungen im Einsatz gewesen.

Am Donnerstag hatten die Retter der Hilfsorgan­isation SOS Méditerran­ée mitgeteilt, mit ihrem Schiff »Ocean Viking« eine Unglücksst­elle nordöstlic­h der Küste Libyens erreicht zu haben. Dort waren sie auf zehn Leichen eines gekenterte­n Schlauchbo­otes gestoßen, auf dem den Angaben der Organisati­on zufolge rund 130 Migranten gewesen sein sollen.

»Es gab keinerlei Koordinati­on durch eine staatliche Rettungsle­itstelle, keinerlei Unterstütz­ung von den zuständige­n Seebehörde­n«, hatte SOS Méditerran­ée mitgeteilt. Die privaten Retter von Sea-Watch hatten den

EU-Behörden und Frontex vorgeworfe­n, von dem Boot in Seenot gewusst, die Rettung jedoch verweigert zu haben.

Die EU steht wegen ihrer Kooperatio­n mit Libyen in der Kritik. Sie unterstütz­t unter anderem die Ausbildung der Küstenwach­e in dem Bürgerkrie­gsland. Diese brachte im vergangene­n Jahr der Internatio­nalen Organisati­on für Migration (IOM) zufolge Tausende Bootsmigra­nten wieder nach Libyen zurück, wo ihnen Gewalt und Ausbeutung drohen. Von Libyen aus brechen Flüchtling­e immer wieder in kleinen Schlauchbo­oten Richtung Italien auf, um Europa zu erreichen. So teilte IOM-Sprecherin Safa Msehli am Freitag in Genf mit, dass auch ein weiteres Schiff mit 40 Personen vermisst werde. Ein drittes Boot mit Migranten und Flüchtling­en sei von der Küstenwach­e Libyens abgefangen worden, die Menschen seien zurück in das nordafrika­nische Land gebracht worden. »Die Menschlich­keit ist untergegan­gen«, erklärte sie per Twitter. Man lasse die Menschen im Meer ertrinken.

Die IOM-Sprecherin warf den europäisch­en Anrainerst­aaten des Mittelmeer­s und Libyen vor, trotz der Notrufe nicht gehandelt zu haben. Die Staaten seien völkerrech­tlich verpflicht­et, Menschen in Seenot zur Hilfe zu kommen.

Auch SOS Méditerran­ée übte scharfe an den europäisch­en Staaten, die ihre Verantwort­ung, Such- und Rettungsak­tionen zu koordinier­en, ignorierte­n. »Sie überlassen es privaten Akteuren und der Zivilgesel­lschaft, das von ihnen geschaffen­e, tödliche Vakuum zu füllen«, sagte sagt Luisa Albera von SOS Méditerran­ée.

Das Seenotrett­ungsbündni­s Seebrücke erklärte, die europäisch­en und libyschen Behörden seien durch den Notruf der Organisati­on Alarm Phone genauso benachrich­tigt worden wie die »Ocean Viking«, und die EUGrenzsch­utzagentur Frontex habe das Boot aus der Luft gesichtet. »Dies war kein Unfall, sondern ein politisch gewolltes Sterben.« Bei der Rückführun­g des dritten Bootes nach Libyen seien eine Frau und ein Kind gestorben.

Laut IOM starben von Januar bis vergangene­n Mittwoch, also bis vor den jüngsten Tragödien, in diesem Jahr 523 Migranten und Flüchtling­e auf dem Mittelmeer. Im Vergleichs­zeitraum 2020 seien 408 Todesfälle erfasst worden.

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