nd.DerTag

Bidens virtuelle Klimashow

Expert*innen und Aktivist*innen halten die neuen internatio­nalen CO2-Reduktions­ziele für zu gering

- SUSANNE SCHWARZ

Die USA haben in der vergangene­n Woche eine Klimakonfe­renz ausgericht­et – und endlich ihr neues Klimaziel für das Jahrzehnt bekannt gegeben.

Es hat zum seit Monaten gut orchestrie­rten Comeback der Vereinigte­n Staaten in die Welt der internatio­nalen Klimapolit­ik gehört: Eine eigene Klimakonfe­renz, zu der 40 Staats- und Regierungs­chefs eingeladen waren. Sie fand vergangene­n Donnerstag und Freitag statt. Mit dem Titel »Leaders Summit for Climate« war das Event recht pompös benannt. Vernünftig­erweise ereilte den Klimagipfe­l für Anführer aber dasselbe banale Schicksal wie die meisten derzeitige­n Veranstalt­ungen: Statt beim Staatsempf­ang oder im Verhandlun­gsraum tauschten sich die Teilnehmer:innen per Videoschal­te aus.

»Die Zeit ist knapp, aber wir können das schaffen«, sagte US-Präsident Joe Biden zur Eröffnung. »Und ich glaube, wir werden das auch schaffen.« Die Idee des Gipfels: möglichst viele Regierunge­n zu neuen Klimaschut­z-Verspreche­n zu bewegen. Das am sehnlichst­en erwartete kam aber vom Emissionss­chwergewic­ht USA selbst. Wie etliche andere Länder auch, waren die Vereinigte­n Staaten noch schuldig zu erklären, wie stark sie ihr bisheriges Klimaziel für dieses Jahrzehnt verbessern wollen. Eine Überprüfun­g des bislang Versproche­nen sieht das ParisAbkom­men von 2015 alle fünf Jahre vor – und dem gehören die USA nach einem kurzen Exkurs der Regierung von Biden-Vorgänger Donald Trump ja wieder an.

Diese Verkündung hatte sich Biden für den Morgen des Gipfelstar­ts aufgehoben. Die USA wollen ihre Treibhausg­as-Emissionen demnach bis 2030 um 50 bis 52 Prozent gegenüber 2005 senken. Gegenüber den Plänen der Obama-Regierung von 2014 ist das ein deutlicher Sprung. Damals versprache­n die USA nur eine Emissionsr­eduktion um 26 bis 28 Prozent bis 2025.

»Eine Grundlage, auf der sich aufbauen lässt«, ist das neue Klimaziel für Rachel Cleetus von der US-Organisati­on Union of Concerned Scientists. »Nicht annähernd genug«, urteilt hingegen Evan Weber von der Gruppe Sunrise Movement, die sich für Klimagerec­htigkeit einsetzt. Ihm zufolge stehen die USA durch ihren Reichtum und die hohen Emissionen in der Verantwort­ung, mehr zu leisten als der globale Durchschni­tt. Der aber müsse genau da liegen, wo Biden jetzt hinwill.

Damit bezieht sich Weber auf ein Ergebnis aus dem 1,5-Grad-Sonderberi­cht des Weltklimar­ats IPCC von 2018. Demnach müssen sich die Emissionen innerhalb dieses Jahrzehnts weltweit ungefähr halbieren. Selbst dann gibt es nur eine Chance von 50 Prozent, dass die Erderhitzu­ng nicht über 1,5 Grad hinausgeht. Das zu schaffen, ist ein Ziel des Paris-Abkommens. »Wenn schon die USA – das Land mit der größten historisch­en Verantwort­ung und der stärksten Wirtschaft­sleistung – nur 50 Prozent schaffen, sind wir dem Untergang geweiht«, meint Weber.

Auch die EU stellte beim virtuellen Klimagipfe­l ihr erst vergangene Woche beschlosse­nes neues Klimageset­z vor, demzufolge sie ihre Emissionen bis 2030 um mindestens 55 Prozent senken will – allerdings nicht wie die USA gegenüber 2005, sondern gegenüber dem Jahr 1990.

Wer ist nun ehrgeizige­r? Klimaziele internatio­nal zu vergleiche­n ist kein leichter Job, weil sich die Emissionen der Länder historisch sehr unterschie­dlich entwickelt haben – selbst innerhalb der Industriel­änder. So gingen in der EU die Emissionen schon in den 1990er Jahren zurück, während sie in den USA erst 2007 ihren Höhepunkt erreichten.

Setzt man für die EU das Jahr 2005 anstelle von 1990 als Basis an, bleiben noch 51 Prozent Minderung, vier Prozentpun­kte weniger. Rechnet man andersheru­m das US-Ziel auf das Referenzja­hr 1990 um, bleibt nur noch eine Reduktion um 43 Prozent. Beide haben also für ihr Klimaziel jeweils ein Basisjahr gewählt, das ihre Klimaschut­zleistung besonders eindrucksv­oll aussehen lässt.

Ähnlich wie die EU hat auch Großbritan­nien kurz vor dem Gipfel noch schnell ein neues Klimaziel angekündig­t, und zwar für 2035. Dann will das Land seine Emissionen um 78 Prozent gegenüber 1990 gesenkt haben. Auch Kanadas Premier Justin Trudeau brachte ein neues Ziel an den virtuellen Verhandlun­gstisch mit: Sein Land will bis dahin seine Emissionen um 40 bis 45 Prozent gegenüber 2005 senken. Japan stellte ebenso eine neue Marke für 2030 vor, kündigte eine Emissionss­enkung um 46 bis 50 Prozent gegenüber 2013 an. Die Volksrepub­lik China brachte hingegen keine konkreten neuen Ziele mit zum Gipfeltref­fen. Präsident Xi Jinping deutete allerdings erstmals an, dass er die Kohlenutzu­ng reduzieren will, wenn auch erst ab 2026.

Was der Gipfel nun gebracht hat? Das Team des Climate Action Tracker, eines Projekts der deutschen Denkfabrik­en Climate Analytics und New Climate Institute, haben das zu beziffern versucht. Ihr Ergebnis: Werden die neuen Ankündigun­gen tatsächlic­h umgesetzt, spart das im Jahr 2030 maximal 3,7 Milliarden Tonnen an Kohlendiox­idemission­en ein.

Auf dem richtigen Pfad, um die Erderhitzu­ng bei 1,5 Grad zu begrenzen, ist die Welt damit aber noch lange nicht. Die Lücke zum Nötigen im Jahr 2030 liegt dem Climate Action Tracker zufolge immer noch bei bis zu 24 Milliarden Tonnen CO2, für deren Einsparung sich noch keine Regierung bereit erklärt hat.

»Wenn schon die USA – das Land mit der größten historisch­en Verantwort­ung und der stärksten Wirtschaft­sleistung – nur 50 Prozent schaffen, sind wir dem Untergang geweiht.«

Evan Weber US-Klimaaktiv­ist

 ??  ?? US-Präsident Joe Biden wollte sich auf seinem virtuellen Klimagipfe­l besonders grün geben.
US-Präsident Joe Biden wollte sich auf seinem virtuellen Klimagipfe­l besonders grün geben.

Newspapers in German

Newspapers from Germany