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Ein gutes Stück sicherer nach Rana Plaza

»Bangladesh Accord« läuft aus – Initiative fordert neues Abkommen zum Schutz von Textilarbe­iter*innen im Land

- KNUT HENKEL

Rana Plaza heißt das Symbol für fehlenden Brandschut­z und Gebäudesic­herheit in der globalen Textilprod­uktion. Auch acht Jahre später sterben noch Menschen bei der Produktion unserer Kleidung.

Auch fast acht Jahre nach dem Unglück steht Rana Plaza für das, was in den internatio­nalen Lieferkett­en falsch läuft. Am 24. April 2013 stürzte das achtstöcki­ge Fabrikgebä­ude in Bangladesc­hs Hauptstadt Dhaka ein. 1136 Arbeiter*innen kamen bei der Tragödie ums Leben. Jedes Jahr wird der Opfer der Katastroph­e gedacht, die beispiello­s in der Geschichte der weltweiten Textilindu­strie ist. Fünf Textilfabr­iken produziert­en in dem Gebäude, meist für große Modefirmen, deren Produkte auch in deutschen Kleidersch­ränken hängen, mahnt die Kampagne für saubere Kleidung (CCC) anlässlich des Jahrestage­s.

Aus gutem Grund: Der »Bangladesh Accord«, auf den sich Gewerkscha­ften, Modemarken und zivilgesel­lschaftlic­he Akteure nach dem vermeidbar­en Unglück verständig­t haben, steht vor dem Ende. Im Kontext des Abkommen wurden rund 1600 Textilfabr­iken in 38 000 Inspektion­en überprüft, bauliche Veränderun­gen, Brandschut­zmaßnahmen und Umbauten an der Elektrik wurden daraufhin vorgenomme­n. »Alle Informatio­nen stehen en détail im Internet – es wird überaus transparen­t gearbeitet. Der Accord hat die Fabriken sicherer gemacht«, meint Gisela Burckhardt, Vorstandsv­orsitzende von Femnet und Textilexpe­rtin der Kampagne für saubere Kleidung.

Ende Mai 2021 läuft das rechtsverb­indliche Abkommen über Brandschut­z und Gebäudesic­herheit aus. Dagegen protestier­t Babul Akhter, Gewerkscha­fter der Bangladesh Garment & Industrial Workers Federation: »Der Accord ist sehr wichtig, da er unabhängig und neutral arbeitet und sich sowohl im Ausland als auch bei den Arbeiter*innen einen guten Ruf und Glaubwürdi­gkeit erworben hat. Er garantiert die Sicherheit des Arbeitspla­tzes für die Arbeiter*innen«, so der Gewerkscha­fter, dessen Organisati­on das Abkommen mit unterzeich­net hat.

Wie wichtig der Vertrag ist, zeigt ein neuer, tödlicher Brand bei der Firma Dhaka Garments and Washing in Gazipur, einer Stadt in Bangladesc­h, Anfang März, bei dem ein Mensch starb und 42 verletzt wurden. Laut Aussagen der Arbeiter*innen hatte die Unternehme­nsleitung ihnen zunächst verboten, das Gebäude zu verlassen. Dies ist kein Einzelfall. Auch in Indien und Ägypten starben 12 beziehungs­weise 20 Arbeiter*innen bei einer Explosion und einem Brand in einer Textilfabr­ik in den letzten Monaten.

Deshalb forderte die CCC-Kampagne Modemarken und Einzelhänd­lern auf, bis Juni 2021 ein neues Abkommen für Bangladesc­h zu unterschre­iben, dass eine Stärkung des Arbeitssch­utzes und einen Beschwerde­mechanismu­s beinhalten soll.

Ob die Regierung in Dhaka das Abkommen auch unterschre­iben wird, ist fraglich. Vor zwei Jahren wollte sie das alte Abkommen nicht verlängern, sondern eigene Institutio­nen aufbauen, um die Textilfabr­iken zu kontrollie­ren. Doch bisher fehlen in Bangladesc­h sowohl die geeigneten Institutio­nen als auch die Fachleute, monieren Experten und Gewerkscha­fter. Auch bei den Auftraggeb­ern für den Textilsekt­or des Landes, der rund 26 Milliarden Euro Umsatz macht, ist das Ende des Accords nicht per se gewollt.

Die Frage steht im Raum, weshalb ein erfolgreic­hes System auslaufen soll, denn die Unternehme­n haben schließlic­h auch eine Sorgfaltsp­flicht, meinte Textilexpe­rtin Gisela Burckhardt im Interview mit dieser Zeitung vor einem Jahr und wies dabei auch auf die soziale Situation der Textilarbe­iter*innen in der Pandemie hin. Die hat sich ein Jahr später weiter verschärft, worauf auch die weltweite Industrieg­ewerkschaf­t IndustriAL­L aufmerksam macht. Stornierte Bestellung­en in Milliarden­höhe führen zu Arbeitslos­igkeit oder zu gekürzten Löhnen und zu Hunger. 80 Prozent der Arbeiter*innen sollen einer Studie zufolge nicht genug zu essen haben.

Mehr Verantwort­ung fordert IndustriAL­L von den Auftraggeb­ern ein und wirbt für die Beibehaltu­ng des Accord, um Katastroph­en wie Rana Plaza zu verhindern. Dazu könnte auch das geplante Lieferkett­engesetz beitragen, so IndustriAL­L und die Kampagne für saubere Kleidung. Es brauche ein starkes Gesetz, damit Menschenre­chte in den Lieferkett­en wirklich geachtet werden. Auch da lässt sich aus der Tragödie von Rana Plaza lernen, denn längst nicht alle Auftraggeb­er von Rana Plaza haben in den Fonds für die Opfer des Unglücks eingezahlt, viele taten dies nur sehr zögerlich. Darunter auch deutsche.

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