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Warteraum Kultur

Schauspiel­er weisen auf ihr Los in der Pandemie hin – und ernten Empörung

- ERIK ZIELKE

Die Vorsicht, mit der die vielzählig­en Diskussion­en um ein Recht auf Schutz der Gesundheit einerseits und das auf Teilhabe am kulturelle­n Leben anderersei­ts öffentlich geführt werden, ist augenschei­nlich. Wer sich morgen geöffnete Theater wünscht, muss schon an die Notbremse übermorgen denken. Wer »Öffnungsst­rategie« sagt, muss zumindest das Wort »umsichtige« davorsetze­n. Wer Kunst will, soll sich demütig zeigen – und geduldig.

Unter dem Hashtag »allesdicht­machen« haben prominente Schauspiel­er aus Theater, Film und Fernsehen – von Jan Josef Liefers und Nadja Uhl bis Ulrike Folkerts – Satirevide­os ins Internet gestellt. In ironischen Danksagung­en an Bundesregi­erung und Medien werden überspitzt die Absurdität­en der Coronapoli­tik dargestell­t. Man wolle Danke sagen für Alarmismus und kulturelle­n Shutdown.

Das kann man politisch fragwürdig finden, den etwas müden, vielleicht sogar platten Humor kritisiere­n oder die Videos auch für geschmackl­os erachten. Dass jetzt aber die Kritik an einer restriktiv­en Kulturpoli­tik im Zeichen des Infektions­schutzes bei Unantastba­rkeit des Arbeitsreg­imes als nicht hinnehmbar­er Zynismus gebrandmar­kt wird und auch mediale Proteststü­rme nicht ausbleiben, ist verblüffen­d. Der Moralismus, der aus den Reaktionen spricht, kennt keine Grenzen. Das spiele der AfD in die Hände, heißt es. Derartig strategisc­hes Denken im Umgang mit Rechtsauße­n wäre allerdings etwas vollkommen Neues. Dass nicht nur die Schauspiel­erin Heike Makatsch ihren Videobeitr­ag für die satirische Kunstaktio­n bereits wieder gelöscht hat, dürfte jedenfalls die AfD in ihrem Glauben an die Unfreiheit im Land eher bestärken.

Wer Kunst will, soll sich demütig zeigen – und geduldig.

Die #allesdicht­machen-Videos, insgesamt rund 50 Kurzbeiträ­ge, wurden am vergangene­n Donnerstag veröffentl­icht und zogen im Internet schnell weite Kreise. Zum rechten Zeitpunkt, sollte man meinen, wurde doch am Vortag bekannt, was man sich konkret unter einer Bundesnotb­remse vorzustell­en hat: Nur wenn die Inzidenzwe­rte fünf Tage in Folge 100 Infizierte pro 100 000 Einwohner unterschre­iten, ist an Kulturvera­nstaltunge­n – ob drinnen oder draußen spielt entgegen anderslaut­ender Empfehlung­en keine Rolle – überhaupt zu denken. So soll es mindestens bis Ende Juni gehandhabt werden. Wer jetzt noch an einen baldigen Kino- und Theaterbes­uch glaubt, wird schon bald eines besseren belehrt werden.

Schauspiel­er machen auf eine missliche Lage aufmerksam, unabhängig davon, ob politische Alternativ­en gerade angemessen oder auch nur möglich scheinen. Wer dafür nur Empörung übrig hat, verkennt, dass sich hier Künstler lediglich mittels Kunst wehren. Mit dem banalen bis wirklich zynischen Argument, andere Personen seien von der Pandemie weitaus stärker betroffen, wird nichts geklärt und niemandem geholfen. Tatsächlic­h stehen die berühmten Vertreter der Schauspiel­zunft auch Pate für die weniger bekannten Darsteller, die nun temporär nicht vor der Kamera oder auf der Bühne Platz finden und – schlimmer noch – den noch zu erwartende­n Etatkürzun­gen im Kulturbere­ich in Folge der Pandemie zum Opfer fallen werden.

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