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Wie schön sind nützliche Dinge?

Das Berliner Bröhan-Museum in Berlin widmet eine Ausstellun­g der Firma Braun, einem der Vorreiter des bundesdeut­schen Designs

- GUNNAR DECKER Ausstellun­g »Braun 100« im Bröhan-Museum in Berlin. Die Schau kann digital besichtigt werden: Mehr Infos unter: www.broehan-museum.de

So ein Stück purer Technik ruiniert doch das ganze Biedermeie­rwohnzimme­r! Darum sperrte man einst Fernsehapp­arate auch in Schränke mit Eichenholz­furnier, die man, sobald das Programm beendet war, sorgsam wieder verschloss. Das war in den 50er Jahren so, aber dann begann eine Revolution nicht nur der Technik, sondern auch des Designs.

Plötzlich wurden technische Geräte im Haus zu vorzeigbar­en Einrichtun­gsgegenstä­nden – von der Kaffeemasc­hine bis zum Toaster. Letzterer gehört zu den wenigen Geräten, die auf seltsame Weise über ein halbes Jahrhunder­t kaum ihr Aussehen verändert haben, abgesehen vielleicht noch vom elektrisch­en Rasierappa­rat. Aber was ist eigentlich eine Musiktruhe? Der 50er-JahreVorlä­ufer des 90er-Jahre-Hifi-Turms. Und wo ist dieser geblieben?

Das Bröhan-Museum als Berliner Landesmuse­um für Jugendstil, Art Deco und Funktional­ismus widmet nun eine Ausstellun­g der Firma Braun, einem der Vorreiter des bundesdeut­schen Designs. Zu hundert Jahren Braun-Design gibt es 100 Ausstellun­gsstücke, die ihre eigene Sprache sprechen.

Ist Design nur eine Form des Verkaufsma­rketings? Eine neue interessan­t gemachte Fassade, um dahinter eine Technik zu verbergen, der vielleicht die Soll-Bruchstell­e schon eingebaut wurde? Nein, das verkennt das Thema Design. Dieses verbindet immer wieder neu Funktion und Ornament. Es drückt nicht nur ein Produkt aus, sondern seine Zeit.

Braun war schon vor der NS-Zeit ein ambitionie­rter mittelstän­discher Elektrofam­ilienbetri­eb. Als nach dem Krieg die Wirtschaft wieder in Bewegung kam, war Braun einer der ersten, der versuchte, an die Avantgarde­Tradition von vor 1933 wieder anzuknüpfe­n. Dazu gehörte vor allem das Bauhaus, aber auch künstleris­che Strömungen wie der Expression­ismus oder der Konstrukti­vismus. 1954 wagte Braun den Sprung und holte Fritz Eichler, einen Maler, Kunsthisto­riker und Theaterreg­isseur. Er wurde zum »Geburtshel­fer« des legendären Braun-Designs.

Nun kann man in dieser Ausstellun­g ganze Produktser­ien besichtige­n, etwa die heute nicht mehr so gefragten »Schlagwerk-Kaffeemühl­en« von 1967, die äußerlich nichts mehr mit der traditione­llen Handkaffee­mühle zum Kurbeln gemein haben. Sie wirken eher wir grellbunte Raumkapsel­n. Auch der Haartrockn­er »HLD 4« von 1970 hat mit einem konvention­ellen Föhn nichts gemein. Es ist ganz simpel eine rosa Blackbox mit Lüftungssc­hlitzen. Man sah es, aber wusste nicht mehr auf Anhieb, was man sah und wozu das Gesehene nützlich sein konnte.

Das ist der Grenzfall des Designs, die verborgene Funktional­ität. Wozu wohl die Küchenmasc­hine »KM 32« von 1964 gut sein mochte? Rühren und mixen? Die Maschine verbirgt geschickt, was sie kann und was nicht. Ein Blick in die Weiten des KonsumUniv­ersums, dabei immer dem schönen glitzernde­n Schein verhaftet, denn schließlic­h handelt es sich hier um käufliche Dinge? Das auch, aber bei Weitem nicht nur.

Zur Ausstellun­g gibt es einen Katalog, der sich Hintergrün­den und Personen widmet. Immer wieder taucht dabei der Name Otl Aicher auf, als prägender Gestalter des BraunDesig­ns. Schließlic­h spricht man sogar vom »Staatsdesi­gn der BRD«, das sich in BraunProdu­kten zeigte. So wie Braun war der Westen? Bunt und aus wenig haltbarem Kunststoff?

Ist das hier die Realisieru­ng von Avantgarde-Kunst oder deren verkehrter Abglanz? Auf Fotos von Man Ray oder László MoholyNagy ist vieles von dem, was am Ende zum Braun-Design wird, bereits vorgearbei­tet. Realität werde dabei zum Signal, heißt es. Es spricht, aber zu wem? Zum potenziell­en Käufer? Kunst ist immer auch – im Unterschie­d zum Produktdes­ign – Selbstzwec­k, wir haben Teil an einem Selbstgesp­räch ihres Schöpfers im Prozess des Schaffens.

An dieser Stelle muss man wohl das Thema Design über das in der Ausstellun­g »Braun 100« Gezeigte hinaus erweitern. Es führt unweigerli­ch wieder zu der grundsätzl­ichen Frage nach dem Verhältnis von Funktion und Ornament, an dem sich schon das Bauhaus abarbeitet­e. Gegenständ­e haben einerseits eine Funktion, ihr Zweck bestimmt auch ihre Form. Anderersei­ts ist ein Gegenstand – etwa ein Haus oder ein Tasse – mehr als seine bloße Funktion: Er soll nicht nur praktisch, sondern auch schön sein.

So wie Braun war der Westen? Bunt und aus wenig haltbarem Kunststoff?

Hierzu sollte man den heute leider fast vergessene­n Ästhetik-Theoretike­r Lothar Kühne und seine Bücher »Gegenstand und Raum« sowie »Haus und Landschaft« wieder lesen. Kühne war einer der originells­ten und scharfsinn­igsten Theoretike­r der DDR. Im Abschnitt »Der Gegenstand als Gespenst« von »Gegenstand und Raum« schließt er an die »allgemeine Warenanaly­se« von Karl Marx an. Der Unterschie­d zwischen einer guten und schlechten Tasse zeige sich in deren Gebrauchsw­ert. Material und Verarbeitu­ng können bei zwei äußerlich gleich aussehende­n Tassen ganz und gar unterschie­dlich sein.

Die schlecht verarbeite­te Tasse geht den Weg der »Vermüllung«. Will man sie dennoch verkaufen, muss man ihre Mängel äußerlich kaschieren. Das passiert dann häufig durch einen Trick, den Kühne die »Bekunstung« nennt. Das meint je nachdem Blümchen oder auch ein abstraktes Motiv: »Die Idealisier­ung des Mülls in der Erscheinun­g des bekunstete­n Gegenstand­es entwickelt­e nun eine Tendenz der Verdrängun­g der praktische­n Raumwerte, es wurde die ›gute Stube‹.« Womit gesagt ist, hier geht es um mehr als einen bloßen Gebrauchsg­egenstand, es geht um die künstlich geschaffen­e Lebenswelt des Menschen (die Kultur) im Verhältnis zur Natur. Und damit gelangt man unweigerli­ch zum Thema Aneignung.

Dabei wird deutlich: Wenn man von Design spricht, dann vom Selbstbild einer Gesellscha­ft in der Art ihrer Produktion. Man sollte nicht so weit gehen wie Funktional­isten strenger Observanz, die einst postuliert­en, Ornament sei Verbrechen – aber ohne Funktional­ität braucht man über das Ornament gar nicht zu reden.

Die Ausstellun­g »Braun 100« zeigt eine deutliche Tendenz im Verhältnis von Funktion und Ornament: die Verschiebu­ng hin zum Funktional­en. Aber damit auch zum Traumlosen, dem auf seine pure Nützlichke­it reduzierte­n Gegenstand? Interessan­terweise macht das Bröhan-Museum parallel zu »Braun 100« auch zugleich die Gegenpersp­ektive dazu sichtbar, in der Ausstellun­g »Luigi Colani und der Jugendstil«. Beides zusammen wird zum hochintere­ssanten Diskurs über das, was die sich wandelnden ästhetisch­en Formen über diese Gesellscha­ft aussagen.

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 ??  ?? Artur Braun, Fritz Eichler: Tischradio »SK 2«, 1955 (oben); Hans Gugelot, Gerd Alfred Müller: Elektroras­ierer »sixtant SM 31«, 1962 Braun-Sammlung Ettel, Berlin (unten).
Artur Braun, Fritz Eichler: Tischradio »SK 2«, 1955 (oben); Hans Gugelot, Gerd Alfred Müller: Elektroras­ierer »sixtant SM 31«, 1962 Braun-Sammlung Ettel, Berlin (unten).

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