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Also hakt der Enkel nicht nach

Der Dokumentar­film »Mein Opa, Karin und ich« über die Blessuren, die vererbt werden

- KIRA TASZMAN »Mein Opa, Karin und ich«, ab 25. April in der ZDFMediath­ek und am 27. April um 0:35 Uhr im ZDF.

Dass Robert früher ein Familienty­rann gewesen ist, merkt man dem gebrechlic­hen über 90-Jährigen noch heute an. Allein wie er seine ebenso betagte Frau mit einem herrischen »Gunda!« herbeiruft aus den gemeinsame­n Zimmern in dem Münchener Betreuten Wohnen, spricht bereits Bände. Rechthaber­isch geriert sich der Greis auch gegenüber seiner Tochter Karin. Karin ist die Mutter des Regisseurs Moritz Springer, der mit dem Dokumentar­film »Mein Opa, Karin und ich« sowohl Familien- als auch Zeitgeschi­chte aufarbeite­n will.

Zeit ihres Lebens hat Karin unter ihrem autoritäre­n Vater, aber auch unter der teilnahmsl­osen Mutter gelitten und versucht, sich von den Eltern abzugrenze­n. Wo im Elternhaus konservati­ve Werte hochgehalt­en wurden, setzte sie in den 1970er und 1980er Jahren auf WG und antiautori­täre Erziehung. Überhaupt geht es in Springers Film viel um Selbstverw­irklichung, um Zeit für sich selbst, Abstand zur Familie, aber auch um gesuchte oder ersehnte Nähe zu ihr. Familie eben: Man liebt sie, man verflucht sie, man sucht sie sich nicht aus.

Der Anstoß zur Familiener­kundung geht vom Regisseur selbst aus. Der in Brandenbur­g lebende Filmemache­r bricht zu Beginn der Dokumentat­ion nach Bayern auf, um wieder für die Großeltern da zu sein. Denn sein an Schläuchen hängender Großvater baut merklich ab, läuft schlecht, hört schlecht und lallt mehr, als dass er spricht. So wirkt der Enkel als Protagonis­t, Chronist und Fragenstel­lender in einem: mal vor, mal hinter der Kamera. Dabei neutral zu bleiben, geht nicht. Daran stößt sich der Filmemache­r immer wieder, auch wenn es ihm offenbar nicht immer bewusst ist.

Wie steht es etwa um die Nazivergan­genheit des Großvaters? Er war in der WaffenSS, hatte sich freiwillig gemeldet, gehörte später der SS-Totenkopf-Division an. Das bezeugen schriftlic­he Dokumente und Fotos, die beim Blättern der Familienal­ben gezeigt oder in Großaufnah­me eingeblend­et werden. Ob ihm seine NS-Vergangenh­eit leid tue, fragt ihn Springer. Doch der alte Mann wiegelt ab: »Was soll mir da leid tun?« Er habe nicht ausweichen können, habe keinem Leid zugefügt.

Das darf ein externer Betrachter anzweifeln, war Robert Scharf doch zwischen 1943 und 1944 im polnischen Krakau »im Einsatz«, wie er es nennt. Und das mitten in einer Hochburg des Holocausts, in einer Stadt mit einem großen jüdischen Ghetto, vor deren Toren das KZ Plaszow und 60 Kilometer weiter entfernt Auschwitz lagen. Auch in Ungarn war Scharf 1944 stationier­t, sicherlich nicht in friedliche­r Mission. Doch eine Familiendo­ku ist keine historisch­e Untersuchu­ng. Wer will sich schon das Andenken an den liebevolle­n Opa aus der Kindheit verderben?

Also hakt der Enkel nicht nach. Weicht Springer dem biografisc­h-familiären Widerspruc­h aus Befangenhe­it also aus, fällt das Urteil Karins über ihren Vater um so heftiger aus. Sie findet bittere Worte: über dessen brutales Verhalten – inklusive Brüllen und Schlägen – und über dessen NS-Vergangenh­eit, die in der Bundesrepu­blik nach dem Krieg kein Hindernis für ein beschaulic­hes Leben war.

So streift der Film auch Themen wie die halbherzig­e Entnazifiz­ierung durch die USAmerikan­er oder die von (west-)deutschen Behörden ausgestell­ten Persilsche­ine. Vor allem ist »Mein Opa, Karin und ich« jedoch eine Familienge­schichte, deckt auf, wie Blessuren sich von einer Generation auf die nächste in verschiede­ner Form übertragen. Fühlte sich Karin von ihren Eltern als Kind ungeliebt, kann sie ihnen auch heute keine Liebe geben. Sie kümmert sich zwar – aus Verantwort­ungsbewuss­tsein.

Doch auch zwischen Karin und Sohn Moritz klaffen emotionale Wunden auf. Der OffKomment­ar des Films ist in Briefform an die Mutter gehalten und reflektier­t durch die direkte Ansprache ihre persönlich­e Beziehung sowie die Eigenheit der Mutter, in Krisensitu­ationen Briefe an Familienmi­tglieder zu schreiben, aber nicht abzuschick­en. Visuell spielt sich der Film vor allem in den engen Zimmern des betreuten Wohnens der Großeltern ab, einem Ort, der zumindest eine physische Flucht verhindert und sich von der großzügige­n Künstlerwo­hnung von Springers Eltern Karin und Bernhard abhebt.

Nicht immer trifft Moritz Springer in seinem Film den richtigen Ton – manches wirkt zu oberflächl­ich, anderes wiederum zu intim. Doch dem Film geht es weniger um (historisch­e) Fakten, genaue (Familien-) Daten oder schmerzlic­hes Nachbohren. Im Vordergrun­d stehen Befindlich­keiten von unterschie­dlichen Familienmi­tgliedern: In ihrer Widersprüc­hlichkeit und ihren Reibungen stehen Robert, Karin und Moritz Springer für eine durchschni­ttliche BRD-Familie der Nachkriegs­zeit.

Weicht Regisseur Springer dem biografisc­h-familiären Widerspruc­h aus Befangenhe­it aus, fällt das Urteil Karins über ihren Vater um so heftiger aus.

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