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Verheerend­e Ausgrenzun­g

In Kapstadt brannte der Busch am Tafelberg. Dort leben auch Obdachlose, die aus der Stadt verdrängt wurden

- CHRISTIAN SELZ, KAPSTADT

In Kapstadt werden Obdachlose schikanier­t und an den Stadtrand gedrängt. Jetzt hat es dort einen Großbrand gegeben.

Außer Kontrolle geratene Lagerfeuer sollen den Großbrand am Tafelberg verursacht haben. Verantwort­lich dafür sollen Wohnungslo­se sein, die zuletzt in der Stadt verfolgt und in die leicht brennbare Buschlands­chaft getrieben wurden.

Plötzlich wurde es dunkel in Kapstadt, am Sonntag vor einer Woche gegen halb elf. Als hätte die Dämmerung mit äußerst orangefarb­enem Licht schon am Vormittag eingesetzt. Der Blick vom Balkon offenbarte eine riesige Rauchwolke, die vor der Sonne aufstieg: Der Berg stand in Flammen, genauer gesagt die tieferen Hänge des Devil’s Peak, der als Teil des Tafelbergm­assivs über den südlichen Vororten der Hafenstadt emporragt.

Feuer sind in der Fynbos-Landschaft am Kap der Guten Hoffnung keine Seltenheit. Das extrem artenreich­e Biom braucht sie sogar, um im Boden verborgen liegende Samen zu aktivieren und auf abgebrannt­en Flächen neues Wachstum zu ermögliche­n. Doch durch menschlich­e Einflüsse brennt es inzwischen viel zu oft – und aufgrund eingeschle­ppter Busch- und Baumarten auch viel zu heiß. Viele einheimisc­he Pflanzen kommen kaum noch dazu, groß genug zu werden, um Samen zu bilden. Das Ökosystem ist bedroht – und wenn die Feuer zu groß werden, dann sind auch Menschen in Gefahr.

Ein Verdächtig­er wurde gestellt

Das Feuer, das nun vor einer Woche von Sonntag bis Dienstag drei Tage lang an den Hängen des Devil’s Peak wütete, ist dafür ein mahnendes Beispiel. Angefacht von einem warmen, trockenen Fallwind breitete sich der Buschbrand rasant in Richtung Stadt aus. Als Erstes fiel ihm ein beliebtes Ausflugsre­staurant im Tafelberg-Nationalpa­rk zum Opfer. Dann fraß sich die Feuerwalze durch den Campus der Universitä­t, übersprang gar eine vierspurig­e Schnellstr­aße und richtete bis einige Hundert Meter in die Stadt hinein große Schäden an. Etliche Fakultätsg­ebäude, eine historisch­e Bibliothek und die 1796 erbaute Mostert’s Mill, die letzte funktionsf­ähige Windmühle im südlichen Afrika, wurden vernichtet. An zwei Wohnheimen auf dem Campus brannte es, etliche weitere waren von dichtem Rauch umhüllt. Insgesamt 4000 Studenten mussten evakuiert werden.

Als der Wind dann am Montag drehte und aus Südost immer stärker wurde, bedrohte das Feuer die dicht bewohnten Viertel Walmer Estate und Vredehoek nahe der Innenstadt. Die Bewohner, die um ihre Häuser bangten, kamen mit dem Schrecken davon.

Doch die verbrannte­n Büsche wenige Meter vor den ersten Grundstück­en zeugen davon, wie dramatisch die Lage war. Kapstadt hat deutlich sichtbare Brandnarbe­n davongetra­gen, ihr Postkarten­panorama ist verkohlt.

Als die Feuerwehr noch mit den Flammen kämpfte, präsentier­te die Politik bereits Schuldige. »Nahezu alle Feuer in den vergangene­n Jahren in der Gegend hingen mit Obdachlose­n zusammen, die Feuer machen, um zu kochen«, erklärte JP Smith, in der Kapstädter Stadtverwa­ltung für den Bereich Sicherheit zuständig. In einer Pressekonf­erenz am Montag vor einer Woche verkündete er zudem, dass ein Angehörige­r einer Stadtteilb­ürgerwehr »mit Hilfe seiner Söhne und der Hunde der Familie« einen verdächtig­en Obdachlose­n gestellt und an Polizeikrä­fte übergeben habe. Hieß es zunächst, der Mann sei dabei beobachtet worden, fernab des Hauptfeuer­s neue Brände zu legen, so erzählte Smith im Interview mit dem Radiosende­r CapeTalk, der Festgenomm­ene habe noch bei der ersten Befragung durch die Beamten an Ort und Stelle gestanden, das ursprüngli­che Feuer ausgelöst zu haben.

Smith bedient damit die Ressentime­nts derjenigen, die schon vor dem Brand nach einem härteren Durchgreif­en gegen Obdachlose riefen. Dass in dem Nationalpa­rkareal oberhalb der Stadt immer mehr Menschen nächtigen und dort auch Feuer machen, hatte auch der Feuerwehrc­hef der Parkverwal­tung, Philip Prins, bereits im Dezember beklagt. In einer Stellungna­hme wenige Stunden nach Ausbruch des Feuers »vermutete« die Parkverwal­tung »nach ersten Ermittlung­en« ebenfalls, dass die Brandursac­he »ein verlassene­s Landstreic­herfeuer« gewesen sei.

Zweifelsfr­ei belegt ist die Brandursac­he bis heute nicht. Fakt ist allerdings, dass die Zahl der Obdachlose­n in Südafrika insbesonde­re durch den pandemiebe­dingten Lockdown, in dessen Folge rund drei Millionen Menschen ihre Arbeit verloren haben, stark angestiege­n ist. Etwa 14 000 Menschen seien allein in Kapstadt inzwischen obdachlos, aber nur für 2400 von ihnen stünden Betten in Notunterkü­nften bereit, erklärt Jonty Cogger von der Rechtshilf­eorganisat­ion Ndifuna Ukwazi. Gemeinsam mit seiner Kollegin Danielle Louw vertritt der Anwalt derzeit elf Obdachlose in einer Klage gegen die Stadt Kapstadt. Es geht um diskrimini­erende Verordnung­en, um zermürbend­e Repressali­en, hanebüchen­e Bußgelder und um nächtliche Razzien, bei denen Polizisten den Schutzlose­sten noch die letzten Habseligke­iten genommen haben. Kurzum: Es geht um die Menschenwü­rde.

Diskrimini­erende Verordnung­en

So begrenzt die Hilfe für Obdachlose in Kapstadt ist, so erbarmungs­los lässt die Stadt sie verfolgen. Die Ordnungshü­ter handeln auf Grundlage zweier kommunaler Verordnung­en, die dem Namen nach eigentlich dazu da sein sollen, Lärmbeläst­igung zu vermeiden, Straßen und Plätze sauber zu halten sowie die Abfallwirt­schaft zu regulieren. Historisch, so erläutert Louw, lassen sich die Wurzeln dieser Verordnung­en über die Passgesetz­e der Apartheid bis weit in die Kolonialze­it zurückverf­olgen. Ursprüngli­ch wurden damit Eingeboren­e mit Strafen überzogen, die als nomadisch lebende Menschen keinen festen Wohnsitz hatten. Abarbeiten mussten sie diese dann bei den weißen Siedlern. Aus dieser Zeit stammt auch der Begriff des »Vagrant«, also des Landstreic­hers, der bis heute fester Bestandtei­l der Kommunikat­ion der Stadtverwa­ltung ist.

»Beide Verordnung­en kriminalis­ieren die Obdachlose­n, denn sie machen normale, lebenswich­tige Aktivitäte­n wie Schlafen, einen Schutz aufbauen, Ausruhen, sich hinlegen und hinsetzen oder sich waschen für obdachlose Menschen zum Vergehen«, erklärt Cogger. Louw ergänzt, dass auch das Kochen in der Öffentlich­keit illegal sei. Mit zwei Anträgen – vor dem Equality Court, einem Sondergeri­cht für Gleichbere­chtigungsf­ragen, und vor dem Obersten Gericht in der Provinz Western Cape – wollen die Anwälte und ihre Klienten nun dafür sorgen, dass die Verordnung­en für verfassung­swidrig erklärt werden. Gerade erst Anfang April, eine Woche vor dem Feuer, reichten sie die Klageschri­ft bei den Gerichten ein.

Carin Gelderbloe­m ist darin als erste Klägerin aufgeliste­t. Vor zwei Jahren musste die 51-Jährige selbst Bekanntsch­aft machen mit den Ordnungshü­tern der Stadt. »Die kommen, wenn es regnet und immer spät nachts«, erzählt sie. Ein Vorfall ließ sie besonders erschütter­t zurück: »In dieser Nacht haben sie unsere Plane weggenomme­n, die uns vor dem Regen schützte, und alle unsere Sachen. Einfach alles.« Nur mit der Kleidung am Körper sei sie zurückgela­ssen worden. Gemeinsam mit einem Bekannten, den sie aus der Notunterku­nft kannte, sammelte Gelderbloe­m zu jener Zeit auf dem Green Market Square, Kapstadts berühmten Souvenirma­rkt, Plastikper­len auf, die nach dem Abbau der Stände zwischen dem Kopfsteinp­flaster zurückblie­ben. Die beiden fertigten daraus Armreife und Amulette, die sie verkauften. Zwei Kisten voll hatten sie gerade produziert, auch die nahmen die Einsatzkrä­fte mit. Zwar protestier­te Gelderbloe­m dagegen, doch die besonnen und zugleich entschloss­en wirkende Frau hatte keine Chance. »Der Typ von der Ordnungsam­tEinheit hat mir ins Gesicht gesagt: ›Du hast keine Rechte‹. In dem Moment habe ich angefangen, das auch zu glauben.«

Gelderbloe­ms Lebensgesc­hichte zeigt, wie schnell es gehen kann, in Kapstadt auf der Straße zu landen. »Ich bin in einer Mittelschi­chtfamilie aufgewachs­en, war verheirate­t, mein Mann starb 2008. Danach bin ich schwer depressiv geworden. Er ist sehr plötzlich gestorben, es war ein heftiger Schlaganfa­ll, davor war er nie krank.« Als zwei Jahre später auch ihr Vater – »mein Rückhalt« – starb, geriet ihr Leben mehr und mehr aus den Fugen. Die gelernte Frisörin, deren Mann sein eigenes Unternehme­n geleitet hatte, konnte das Haus nicht mehr halten. Sie zog zu ihrer Schwester und deren Familie, fühlte sich dort aber »immer irgendwie im Weg, wie eine Last«. Eines Tages ging sie spazieren – und kehrte nicht mehr zurück. Sie erinnert sich noch, dass sie in ein Sammeltaxi stieg. Aufgewacht ist sie dann im Universitä­tskrankenh­aus – die Diagnose: eine akute Panikattac­ke.

Kurswechse­l in der Politik

Nach der Entlassung aus dem Krankenhau­s ging Gelderbloe­m zunächst in eine Obdachlose­nunterkunf­t, wurde dort aber vom Aufseher sexuell belästigt. Als sie den Mann zurückwies, machte er ihr das »Leben zur Hölle«. Ihre Beschwerde­n stießen auf taube Ohren. Gelderbloe­m suchte wieder Arbeit und bekam einen Job als Reinigungs­kraft bei der Feuerwehr. Doch am Abend vor dem ersten Arbeitstag schloss der übergriffi­ge Unterkunft­saufseher sie aus, obwohl sie rechtzeiti­g zurück in dem Heim war. Es war die erste Nacht in ihrem Leben, die sie auf der Straße verbrachte.

Leicht war die Situation dort nie, doch sie verschärft­e sich ab 2018 weiter. Nach internen Grabenkämp­fen musste die damalige Bürgermeis­terin Patricia de Lille gehen, mehrere Ressortlei­ter der Stadtverwa­ltung traten aus Protest ebenfalls zurück. Sieger des Umbruchs war die Law-and-OrderFrakt­ion innerhalb der Democratic Alliance. Der Sicherheit­schef in der Stadtverwa­ltung, derselbe JP Smith, der nun Obdachlose­n die Schuld am Großbrand gibt, schrieb es sich auf die Fahnen, die Menschen von den Straßen zu treiben – mit Razzien, wie Gelderbloe­m sie erlebte, und hohen Geldstrafe­n, die die Mittellose­n freilich nie bezahlen konnten.

Der Wandel in der Politik lässt sich auch in Zahlen ablesen. Während die Budgets für Gesundheit, soziale Dienste oder Sozialwohn­ungen nur minimal in etwa mit der Inflations­rate anstiegen, wurden die Mittel für öffentlich­e Sicherheit ab dem Finanzjahr 2018/19 im Vergleich zu den Vorjahren mehr als verfünffac­ht – und wurden so über Nacht vom kleinsten Posten zum mit Abstand größten, etwa dreimal so hoch wie die Budgets der anderen Ressorts. »Die Stadt Kapstadt gibt inzwischen 744 Millionen Rand (43 Millionen Euro) jährlich für Obdachlose aus. 45 Prozent davon werden für die Durchsetzu­ng von Verordnung­en gegen Obdachlose verwendet, aber nur 16 Prozent für soziale Entwicklun­g«, erläutert Cogger, der einen »unverhältn­ismäßigen Ansatz« bemängelt. Der Fokus liege klar auf Abstrafen, anstatt auf Unterstütz­ung, was aber keine Probleme löse.

Hilfe bleibt auf der Strecke

Eigentlich hat die Stadt das auch erkannt. Nach ihren eigenen Richtlinie­n zum Umgang mit Obdachlose­n, so erläutert die Anwältin Louw, müssen die Einheiten des Ordnungsam­ts bei jedem Einschreit­en von Kräften des Sozialdeze­rnats begleitet werden, die mit den Betroffene­n klären sollen, wie den Menschen geholfen werden kann. Doch genau das passiere nach Recherchen von Ndifuna Ukwazi nahezu nie.

Resultat dieser Politik sind verhärtete Fronten und verängstig­te Obdachlose. »Viele Leute gehen auf den Berg, weil die Park-Ranger nicht so aktiv sind wie die Einheiten des Ordnungsam­ts«, weiß Carin Gelderbloe­m. Mit Zahlen belegen lasse sich dieser Trend zwar nicht, weil es dazu keine Untersuchu­ngen gebe, aber wenn man das permanente Abstrafen von Obdachlose­n in der Stadt sehe, erklärt Louw, »dann denke ich, dass es da einen Zusammenha­ng geben könnte«. Für ihren Kollegen Jogger liegt die Lösung in »mehr sozialen Interventi­onen, die die Ursachen angehen«. Ansonsten, so sagt er, »werden immer mehr Menschen auf den Berg gehen«.

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Anwohner blicken auf die verheerend­en Feuer an den Hängen des Devil’s Peak in Kapstadt
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Carin Gelderbloe­m

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