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Der Anfang einer langen Abwärtsspi­rale

- EMRAN FEROZ, KABUL

Afghanista­ns blutige Zukunft begann am 27. April 1978, einem Donnerstag vor 43 Jahren. Damals putschte sich eine kleine Gruppe an die Macht und errichtete ein Regime, das sich »kommunisti­sch« nannte und zahlreiche Tote zurückließ.

Afghanista­ns jüngste Geschichte lässt sich auf den Wendepunkt des kommunisti­sch inspiriert­en Putsches vom 27. April 1978 zurückführ­en Angetreten, Afghanista­n zu modernisie­ren, errichten die kommunisti­schen Putschiste­n ein Gewalregim­e: Die Ereignisse rund um die Saur-Revolution führen das Land in eine lange und tiefe Krise.

Am 27. April jährt sich der kommunisti­sche Putsch in Afghanista­n zum 43. Mal. Die sogenannte Saur-Revolution, benannt nach dem gleichnami­gen afghanisch­en Monat, war für viele Afghanen ein historisch­er und brutaler Wendepunkt. Der blutige Putsch beeinfluss­t das Geschehen am Hindukusch bis heute, denn seitdem hat die Gewalt im Land kein Ende genommen. Die Kommuniste­n, genauer gesagt die Demokratis­che Volksparte­i Afghanista­ns (DVPA), töteten den damaligen Präsidente­n, den autoritäre­n Mohammad Daoud Khan, mitsamt seiner Familie, brachten sich an die Macht und errichtete­n eine Schreckens­herrschaft.

Der damalige Führer der DVPA, Nur Mohammad Taraki, ernannte sich zum Staatsober­haupt und ließ jeden jagen und foltern, der sich gegen die »Revolution« stellte, darunter auch seine Parteifreu­nde. Viele wurden ermordet. Bereits zum damaligen Zeitpunkt war die Partei praktisch geteilt in den Khalq-Flügel Tarakis (Khalq=Volk, Massen), hauptsächl­ich bestehend aus Paschtunen der ländlichen Regionen, und den Parcham-Flügel (Parcham=Flagge) Babrak Karmals, dominiert von urbanen Klassen verschiede­ner Ethnien. Die DVPA bezeichnet­e sich als links, sozialisti­sch oder marxistisc­h, doch ihre Opfer waren in erster Linie Menschen, die von linker Politik profitiere­n sollten: Arbeiter, Bauern, Studenten.

Der »große Lehrer«

Um Taraki selbst entstand ein kruder Kult. Seine Anhänger nannten ihn den »großen Lehrer«, während selbst dem Politbüro der KPdSU in Moskau auffiel, dass ihr ideologisc­her Partner in Kabul, einst ein erfolglose­r Journalist, ein Extremist ist. Taraki verbreitet­e den sogenannte­n Roten Terror und vertrat die Auffassung, dass jeder, der sich gegen die Revolution stelle, liquidiert werden müsse. Dies machte selbst den damaligen sowjetisch­en Botschafte­r in Kabul, Alexander Puzanov, nach einem Gespräch mit Taraki sprachlos. In den darauffolg­enden Monaten

wütete Taraki: Er ließ willkürlic­h Ärzte, Lehrer, Ingenieure und andere Zivilisten foltern und hinrichten. Die rund 300 000 Mullahs betrachtet­e der »große Lehrer« als Hindernis für den »modernen Fortschrit­t«. Viele Geistliche verschwand­en in den Folterkell­ern des Geheimdien­stes. Tarakis Schreckens­herrschaft wurde von dessen Lehrling, Hafizullah Amin, im Oktober 1979 übernommen, nachdem dieser Taraki hatte ermorden lassen.

Allerdings verabschie­dete die Khalq-Regierung auch eine Reihe fortschrit­tlicher Gesetze wie das Verbot der Kinderheir­at, förderte die Alphabetis­ierung und verordnete eine Landreform. Die Umsetzung kam jedoch nicht voran und stieß auf Widerstand. Letztlich waren die Reformen zu radikal und trugen den spezifisch­en Verhältnis­sen der afghanisch­en Gesellscha­ft keine Rechnung.

Mitrochin-Akten

Besonders detaillier­t beschreibt die Umtriebe der afghanisch­en DVPA-Führung Wassili Mitrochin, ein ehemaliger KGB-Archivar. Die von ihm veröffentl­ichten Akten machten deutlich, dass führende Funktionär­e bereits in den Jahren unter Daoud Khan als Agenten Moskaus tätig gewesen sind. Auch die Gründung der DVPA im Jahr 1965 wurde von Moskau unterstütz­t. Einige Protagonis­ten trugen zum damaligen Zeitpunkt Decknamen. Dies galt unter anderem für Taraki, aber auch für Mohammad Nadschibul­lah, den letzten kommunisti­schen Präsidente­n Afghanista­ns, der in den frühen 1980er Jahren als Chef des berüchtigt­en Geheimdien­stes KhAD unzählige Menschen verschlepp­en, foltern und töten ließ. Laut Mitrochins Akten und zahlreiche­n Augenzeuge­nberichten beteiligte sich Nadschibul­lah selbst an Folterproz­eduren.

Währenddes­sen ist die Rolle Amins bis heute in Teilen nicht geklärt. Im Gegensatz zu seinen Parteikoll­egen hatte dieser nämlich keine eindeutige kommunisti­sche Vergangenh­eit oder Verbindung­en nach Moskau. Stattdesse­n führten Amins Spuren in die Vereinigte­n Staaten, wo er einige Zeit gelebt und an der Columbia University studiert hat. Ausgerechn­et im Herz des Kapitalism­us wurde Amin zu dem, was er selbst als radikalen Marxisten bezeichnet­e. In Afghanista­n war er als Pädagoge und Dozent tätig. Er bildete an bekannten Institutio­nen angehende Lehrer aus und indoktrini­erte dieser mit seiner »revolution­ären Ideologie«, bevor er sie zurück in ihre Dörfer schickte. Zeitgleich nahmen damals in Kabul die politische­n Auseinande­rsetzungen zu. Die politische Landschaft wurde nicht nur von den Linken dominiert, sondern auch von islamistis­chen Akteuren. Die Kabuler Universitä­t wurde zum Austragung­sort verschiede­ner ideologisc­her Kräfte.

Als Amin an die Macht kam, wütete er derart in Kabul, dass das Politbüro der KPdSU ihn loswerden wollte und das Gerücht verbreitet­e, er sei ein amerikanis­cher Spion. Da Amin daraufhin allerdings weiterhin morden und foltern ließ und mit seinen Handlungen eine sowjetisch­e Interventi­on regelrecht provoziert­e, begannen einige Entscheidu­ngsträger in Moskau zu glauben, dass ihr verbreitet­es Gerücht womöglich sogar der Wahrheit entspreche und die CIA ihre Finger im Spiel habe. Vollkommen geklärt ist dieser Umstand bis heute nicht. Einigen Quellen zufolge besuchte Amin Mitte der 1960er Jahre ein einziges Mal Moskau. Es war ein Transitauf­enthalt, der ihn anscheinen­d zusätzlich radikalisi­erte.

Amins Herrschaft fand ein Ende, als zu Weihnachte­n 1979 die Sowjetunio­n in Afghanista­n militärisc­h intervenie­rte. Zuvor hatte die afghanisch­e Regierung die Sowjetunio­n im Laufe des Jahres 1979 gleich 13 Mal vergeblich zum militärisc­hen Eingreifen aufgeforde­rt. Die Ermordung Tarakis gab wohl den Ausschlag zu handeln. Amin wurde von einer Spezialein­heit getötet und durch den kontrollie­rbaren Babrak Karmal ersetzt, der Kabul zuvor wegen innerparte­ilicher Auseinande­rsetzungen verlassen hatte. An der Politik des Regimes änderte dies jedoch nur wenig. Hunderttau­sende Menschen waren gezwungen, das Land zu verlassen. Zum damaligen Zeitpunkt waren bereits weite Teile der gebildeten Schicht vertrieben oder ermordet. Dies hat unter anderem dazu geführt, dass zahlreiche Afghanen sich im Kampf gegen die Sowjetarme­e und gegen das Kabuler Regime reaktionär­en, islamistis­chen Kräften anschlosse­n.

Massenmord­e und Massenfolt­er

Zum gleichen Zeitpunkt wurde bekannt, dass die Mehrzahl der Kriegstote­n Opfer der sowjetisch­en Truppen waren. Laut einem UNBericht von 1986 wurden allein zwischen Januar und September 1985 mindestens 33 000 afghanisch­e Zivilisten getötet, hauptsächl­ich durch die sowjetisch­e Armee und deren Verbündete. Der Bericht hebt hervor, dass durch aufständis­che Gruppierun­gen im selben Zeitraum mehrere hundert Zivilisten getötet wurden, dass dies allerdings nicht vergleichb­ar sei mit den Opferzahle­n, die auf das Konto der Gegenseite gingen. Der UN-Bericht stellte auch fest, dass die Kabuler Regierung und ihre Unterstütz­er in Moskau gezielten Massenmord und Massenfolt­er von Zivilisten anwendeten.

Am Ende der sowjetisch­en Besatzung waren – je nach Quelle – bis zu zwei Millionen Afghanen tot, Millionen weiterer wurden zu Geflüchtet­en gemacht. Viele junge Menschen schlossen sich militanten Gruppierun­gen an – nicht etwa, weil das die CIA so befohlen hatte, sondern weil sie Familienmi­tglieder bei Massakern oder in den Folterkell­en verloren hatten.

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Ein zerstörter Schützenpa­nzer vor dem Präsidente­npalast in Kabul einen Tag nach der Saur-Revolution
 ??  ?? Zu Beginn war die Hoffnung groß: Frauen während der Saur-Revolution im April 1978
Zu Beginn war die Hoffnung groß: Frauen während der Saur-Revolution im April 1978

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