nd.DerTag

Menschenre­chte einfordern, Menschenre­chte aussetzen

Bundesinne­nminister Seehofer schiebt trotz bekannter besorgnise­rregender Lage Geflüchtet­e nach Sri Lanka ab

- VINA THIRU

Im UN-Menschenre­chtsrat verurteilt­e die Bundesrepu­blik die Lage in Sri Lanka. Ende März wurden dennoch mehr als 30 Menschen dorthin abgeschobe­n, weiteren droht die »Rückführun­g«.

Obwohl das deutsche Auswärtige Amt aktiv die Ende März im UN-Menschenre­chtsrat verabschie­dete Resolution zu Sri Lanka mit verfasste und damit selbst auf die miserable Menschenre­chtslage in dem südostasia­tischen Land aufmerksam machte, ließ das Bundesinne­nministeri­um am 30. März mehr als 30 Tamil*innen und Muslim*innen genau dorthin abschieben (siehe »nd« vom 30.3.). Dies, obwohl der Bundesregi­erung bekannt ist, dass ihnen in Sri Lanka Repression, Folter, sexualisie­rte Gewalt drohen.

Dass Abschiebun­gen selbst in Zeiten der Coronakris­e weiter durchgefüh­rt werden, verdeutlic­ht an sich schon die gnadenlose Asylpoliti­k der Bundesregi­erung – allein 2020 wurden insgesamt 10 800 Menschen, darunter oftmals Minderjähr­ige oder Behandlung­sbedürftig­e, in ihre Herkunftsl­änder oder in andere EU-Staaten zurückgebr­acht. Dass Innenminis­ter Horst Seehofer (CSU) damit schon lange Schutzsuch­ende aus von Kriegen geprägten Ländern wie Afghanista­n, Nigeria oder dem Irak ihrem Schicksal überlässt, ist ebenfalls bekannt.

Die Sammelabsc­hiebung der Angehörige­n von Minderheit­en aus Sri Lanka bildet einen weiteren Tiefpunkt der deutschen Flüchtling­spolitik. Noch im Februar hatte sich Außenminis­ter Heiko Maas (SPD) zum Treffen des Forums Menschenre­chte selbstlobe­nd geäußert: »Ob es um Meinungs- und Pressefrei­heit geht, den Schutz von Menschenre­chtsvertei­digerinnen und –verteidige­rn oder um die Menschenre­chtslage in Zeiten von Corona: Wir setzen uns beharrlich für Menschenre­chte ein – überall auf der Welt und in jeder Situation.«

Solche Aussagen sind eine Farce: Auf der einen Seite präsentier­en sich die deutsche Bundesregi­erung und die EU als Hüterinnen der Menschenre­chte und inszeniere­n sich im kolonialen Stil als Retterinne­n der Welt. Auf der anderen Seite der anderen Seite ignorieren sie mit Abschiebun­gen täglich die Tatsache, dass dadurch Leben und Gesundheit der Betroffene­n und damit eben ihre Menschenre­chte in Gefahr sind. Im Falle der Abschiebun­g nach Sri Lanka wird die Heuchelei der deutschen Politik mehr als offensicht­lich. Denn bei der nur eine Woche vor der Sammelabsc­hiebung verabschie­deten UN-Resolution war Deutschlan­d Teil der sogenannte­n »Sri Lanka Core Group«. Deren Kernaussag­e war, dass sich die Lage seit der Wahl von Gotabaya Rajapaksa zum Präsidente­n 2019 besorgnise­rregend entwickelt – gegen Tamil*innen, Muslim*innen, Christ*innen, sexuelle Minderheit­en sowie Opposition­elle gerichtete willkürlic­he Verhaftung­en, unmenschli­che Erniedrigu­ngen, sexualisie­rte Gewalt, Überwachun­g und Repression sind nur einige der Beispiele.

Im Mai 2009 kam der Bürgerkrie­g zwischen den separatist­ischen Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) und der Regierung der singhalesi­schen Mehrheitse­thnie zu einem blutigen Ende. Die 2019 erneut an die Macht gelangte rechtsauto­ritäre Rajapaksa-Familie ist für Kriegs- und Menschenre­chtsverbre­chen verantwort­lich, die bis heute nicht aufgearbei­tet wurden. Ihre damals durch den heutigen Präsidente­n initiierte Strategie, sogenannte No Fire Zones zu markieren und diese dann gezielt zu bombardier­en, sorgte für den Tod von bis zu 70 000 Tamil*innen. Auch Jahre nach Kriegsende verschwand­en immer wieder Opposition­elle, bis heute sind Zehntausen­de Fälle unaufgeklä­rt. All dies steht in der UN-Resolution, die Deutschlan­d mitverfass­te. Benannt wird darin auch, dass im letzten Jahr eine alarmieren­de Tendenz der Militarisi­erung ziviler und juristisch­er Apparate wahrzunehm­en ist – von »schrumpfen­den demokratis­chen Räumen« und »unmenschli­chen Erniedrigu­ngen« ist die Rede. Die Situation ist derart besorgnise­rregend, dass der Menschenre­chtsrat gezielt Beweismate­rial zu Verstößen gegen die Menschenre­chte sammeln, dokumentie­ren und analysiere­n will. Das alles wusste Deutschlan­d.

Mittlerwei­le sind die Abgeschobe­nen aus der militärisc­h bewachten Corona-Quarantäne entlassen. Aber bisher haben Journalist*innen und Menschenre­chtsaktivi­st*innen vor Ort noch keine verifizier­ten Informatio­nen über ihr Schicksal. Höchstwahr­scheinlich ist, dass sie dieser Tage von der Geheimpoli­zei und dem Militär verhört und entweder freigelass­en und mindestens in Zukunft weiter eingeschüc­htert, kontrollie­rt und überwacht – oder aber inhaftiert werden

Währenddes­sen drohen weitere Abschiebun­gen aus Deutschlan­d, denn es saßen mehr sri-lankische Asylsuchen­de in Abschiebeh­aft, als letztlich abgeschobe­n wurden. Zudem berichtet die tamilische Community davon, dass viele Geflüchtet­e seit Jahren immer nur den unsicheren Aufenthalt­sstatus der »Duldung« erhalten, also immer wieder ihre Abschiebun­g fürchten müssen. Welches Schicksal den in Vergangenh­eit und Zukunft Abgeschobe­nen droht, ist nicht auszumalen – doch diese Gefahr nehmen Seehofer und Maas bewusst in Kauf.

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