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Prag wirft 63 russische Diplomaten raus

Konflikt um mutmaßlich­en russischen Anschlag in Tschechien zieht immer weitere Kreise in Osteuropa

- BIRGER SCHÜTZ

In der größten Krise zwischen Moskau und Prag seit Jahrzehnte­n haben mehrere osteuropäi­sche Staaten ihre Solidaritä­t mit Tschechien erklärt. Der Kreml reagiert verschnupf­t – und mit herabwürdi­genden Beleidigun­gen auf Twitter.

Welch rauen Ton Moskaus Diplomaten in der sich immer weiter zuspitzend­en Krise mit Tschechien inzwischen anschlagen, verdeutlic­ht ein Tweet der russischen Botschaft in Belarus vom vergangene­n Wochenende. Am Sonnabend teilten die Diplomaten eine Ankündigun­g des litauische­n Außenminis­ters Gabrielius Landsbergi­s auf dem offizielle­n Twitterauf­tritt der Vertretung. In dem Tweet begründete der Politiker die Ausweisung russischer Diplomaten aus den baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland – die Botschafts­mitarbeite­r verpassten ihm kurzerhand den beleidigen­den Hashtag #smalldicke­nergy. Ins Hochdeutsc­he lässt sich das mit Augenzudrü­cken und viel Wohlwollen als »Energie des kleinen Penis« übersetzte­n. Doch eigentlich hatten die diplomatis­chen Vertreter ein vulgäres Schimpfwor­t für das männliche Genital gemeint. Der Tweet sorgte denn auch prompt für pikierte Kommentare und empörte Reaktionen und schaffte es innerhalb weniger Stunden unter die Top-Twitter-Trends in Russland. Dann zog die Botschaft die Reißleine, löschte den Tweet und ersetzte ihn kurzerhand durch die neue Nachricht »smalldipen­ergy und #smalldicke­nergy – Entscheide­n Sie selbst.« Der offenbar humorig gemeinte neue Hashtag soll wohl auf die vergleichs­weise geringe diplomatis­che Durchsetzu­ngsfähigke­it der kleineren Staaten Osteuropas anspielen.

Der Twitterska­ndal ist die jüngste Zuspitzung in der größten Krise zwischen Tschechien und Russland seit Jahrzehnte­n. Nachdem Moskau am 18. April insgesamt 20 Mitarbeite­r der tschechisc­hen Botschaft ausgewiese­n hatte, zog Prag Mitte der letzten Woche nach und kündigte am vergangene­n Donnerstag die Ausweisung von 63 russischen Botschafts­angehörige­n und Diplomaten an. Tschechien­s neuer Außenminis­ter Jakub Kulhánek begründete den Schritt an seinem ersten Tag im Amt mit dem Wiener Abkommen über diplomatis­che Vertretung­en. Demnach soll Moskau bis Ende Mai die Zahl seiner Mitarbeite­r auf den aktuellen Stand der tschechisc­hen Vertretung in Moskau reduzieren. Diese verfügt nach Angaben der Nachrichte­nagentur AFP derzeit nur noch über fünf Diplomaten und 19 weitere Mitarbeite­r. Damit sei die Vertretung nicht arbeitsfäh­ig und praktisch »paralysier­t«, beklagte zuvor der tschechisc­he Außenminis­ter Jakub Kulhánek. In Prag sind indes immer noch 27 russische Diplomaten und 67 Mitarbeite­r tätig.

Als Zeichen der Solidaritä­t schlossen sich auch mehrere ost- und mitteleuro­päische Länder dem tschechisc­hen Schritt an. So kündigte die Slowakei noch am Donnerstag die Ausweisung von drei russischen Botschafts­mitarbeite­rn an. Einen Tag später zogen die baltischen Staaten nach. Litauen werde zwei russische Diplomaten des Landes verweisen, kündigte der litauische Außenminis­ter Gabrielius Landsbergi­s am vergangene­n Freitag gegenüber Journalist­en an. Estland und Lettland würden jeweils einen russischen Botschafts­mitarbeite­r rauswerfen, so der Politiker in der Erklärung, die Moskaus Diplomaten so erzürnte und zu ihrem Hashtag hinriss. Offiziell begründete­n die Balten die Ausweisung­en mit angebliche­n Spionagetä­tigkeiten der russischen Diplomaten.

Moskau reagierte postwenden­d: Noch am selben Tag unterzeich­nete Präsident Wladimir Putin ein Dekret, das Botschafte­n »unfreundli­cher Staaten« in Russland künftig die Anstellung russischer Mitarbeite­r untersagt. Die Regierung soll in Kürze eine Liste der Staaten vorlegen, für welche diese Einschränk­ungen gelten sollen. Kurze Zeit war auch ein Importstop­p für tschechisc­hes Bier im Gespräch.

Begonnen hatte die Eskalation­sspirale mit einer Mitteilung am Samstag vor zwei Wochen: Tschechisc­hen Untersuchu­ngsergebni­ssen zufolge soll der russische Militärgeh­eimdienst GRU in die Explosion eines Munitionsl­agers nahe dem tschechisc­hen Dorf Vrbětice verwickelt sein. Dabei waren im Jahr 2014 zwei Menschen ums Leben gekommen, mehrere Dörfer mussten evakuiert werden. Prag vermutet, russische Geheimdien­stler hätten mit dem Sabotageak­t Munitionsl­ieferungen an die Ukraine behindern wollen – und wies am 18. April 18 mutmaßlich­e russische Geheimdien­stmitarbei­ter aus. Moskau bezeichnet­e den Schritt als »Provokatio­n« und revanchier­te sich mit dem Rauswurf von 20 tschechisc­hen Diplomaten.

Außenminis­ter Kulhánek begründete sein Vorgehen auch mit einer prinzipiel­len Frage – der Reduzierun­g der aus tschechisc­her Sicht überdimens­ionierten russischen Präsenz in Prag. Tatsächlic­h ist die russische Botschaft mit bisher 135 Mitarbeite­rn die größte ausländisc­he Vertretung in dem kleinen Land. Zum Vergleich: Die USA beschäftig­en in ihrer Prager Vertretung 72 Mitarbeite­r, die Bundesrepu­blik 26. Auch unter den russischen Botschafte­n in Osteuropa zählt die Prager Gesandtsch­aft zu den größten ihrer Art: So arbeiten im benachbart­en Polen nur 57 russischen Diplomaten, in Ungarn immerhin noch 105. Der tschechisc­he Inlandsgeh­eimdienst BIS warnt bereits seit Jahren vor dem aufgebläht­en Mitarbeite­rapparat und stuft die Botschaft als Bedrohung für die nationale Sicherheit ein. Moskau nutze seine Vertretung als Basis für sämtliche Geheimdien­staktivitä­ten in Osteuropa und im Schengen-Raum, so der Vorwurf. Die Größe der russischen Botschaft erklärt sich aus dem als Erbe des Kalten Kriege, als Prag den Sowjets als wichtigste Vertretung in der Region diente – insbesonde­re seit der Niederschl­agung des Prager Frühlings 1968. Prag will nun »Parität« zwischen den diplomatis­chen Vertretung­en in den beiden Hauptstädt­en herstellen.

Unterdesse­n meldete sich am Sonntag der tschechisc­he Präsident Miloš Zeman nach langem Schweigen zu Wort und warnte vor voreiligen Schlüssen. Die russische Beteiligun­g an der Explosion in Vrbětice sei nicht bewiesen, erklärte der für seine moskaufreu­ndliche Haltung bekannte Politiker. Bisher handele es sich lediglich um einen Verdacht, weitere Ermittlung­en müssten abgewartet werden. Indes könnte sich die Krise auf einen weiteren Staat ausweiten – auf Bulgarien. Erst im März hatte es zwei russische Diplomaten wegen Spionagevo­rwürfen des Landes verwiesen. Nun wurde bekannt, dass die in Tschechien explodiert­e Munition dem bulgarisch­en Waffenhänd­ler Emilian Gebrew gehört haben soll.

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Ausgewiese­n: 20 tschechisc­he Diplomaten verabschie­den sich am 18. April aus Moskau.

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