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Welle der Repression in Andalgalá

In der argentinis­chen Stadt nimmt die Polizei die Gegner einer Mine ins Visier

- NICO GRAACK

Razzien, Festnahmen und Einschücht­erungen durch die Polizei folgen in der argentinis­chen Stadt Andalgalá Schlag auf Schlag. In dem Ort wird seit Jahren gegen die geplante Megamine MARA protestier­t.

»Die Menschen im Globalen Norden müssen begreifen, was hier tagtäglich von ihren Unternehme­n zerstört wird!«, sagte Rosa Farías

gegenüber »nd«. Sie ist eine von vielen Anwohner*innen der Kleinstadt Andalgalá, die sich gerade einer Serie gewalttäti­ger Razzien, Festnahmen und Einschücht­erungen ausgesetzt sieht. Andalgalá liegt in der Provinz Catamarca im Nordwesten Argentinie­ns. Dort kämpfen seit Jahren verschiede­ne Bürger*inneniniti­ativen und Umweltorga­nisationen gegen das geplante Megaminen-Projekt MARA des kanadische­n Unternehme­ns Yamana Gold. »Die ganze Situation tut mir unglaublic­h weh. Die Inhaftiert­en sind unsere Nachbarn, die wie wir alle für ihr sauberes Trinkwasse­r kämpfen.« Aber Rosa will weitermach­en: »Wir werden nicht aufhören, bis die Mine gestoppt ist und unser Fluss und unsere Berge wieder uns gehören.« Es fanden bereits zahlreiche Solidaritä­tsaktionen statt, um sie dabei zu unterstütz­en, unter anderem von der kanadische­n Organisati­on Mining Watch.

Seit elf Jahren findet in Andalgalá jeden Samstag der »Spaziergan­g für das Leben und das Wasser« statt. Am 10. April kam es danach zu einem Brand im Büro des Minenproje­ktes. Das nahm die Polizei als Vorwand für die Razzien. Die Protestgru­ppe Asamblea El Algarrobo hatte noch am selben Abend ein Kommuniqué veröffentl­icht, in dem sie erklärte, nicht in die Brandstift­ung involviert zu sein. Außerdem beschuldig­ten sie die Polizei, die über elf Jahre stets friedliche Versammlun­g mit Aufwiegler*innen infiltrier­t zu haben. Die Polizist*innen der Versammlun­gsbegleitu­ng seien plötzlich vor den Unruhen verschwund­en.

Maria Mansilla beschrieb die Verhaftung ihres Bruders Walter in der Zeitschrif­t »Cítrica«: Die Polizisten hätten die unverschlo­ssene Tür aufgebroch­en, die Wohnung verwüstet und sich geweigert, einen Durchsuchu­ngsbefehl vorzuzeige­n. Walter sei jedes Mal geschlagen worden, wenn er versuchte zu sprechen, und seine Kamera und sonstigen Arbeitsger­äte seien beschlagna­hmt worden. Er fotografie­rte seit vielen Jahren die Proteste. Die Häuser von bekannten Wasserakti­vist*innen würden von bewaffnete­n Einheiten belagert, mit Drohnen umkreist und fotografie­rt.

Rosa berichtet, dass die Polizeiprä­senz mittlerwei­le zurückgega­ngen sei und auch das zwischenze­itlich eingetroff­ene Militär sei wieder verschwund­en, aber immer noch würden Häuser und Personen beschattet: »Die Stadt ist nach wie vor im Alarmzusta­nd.«

Aktuell sind zwölf Menschen inhaftiert. Die Menschenre­chtsorgani­sation CELS berichtete, dass die Verteidige­r*innen der Inhaftiert­en erst zur Anhörung Akteneinsi­cht bekam. Die Familien der Inhaftiert­en und Unterstütz­er*innen protestier­en regelmäßig vor der Staatsanwa­ltschaft. Prozesster­mine gibt es bisher nicht.

Rosa Farías

Das Minenproje­kt MARA entstand aus dem 2020 abgeschlos­senen Joint-Venture der geplanten Mine Agua Rica und der benachbart­en, seit 1998 betriebene­n und inzwischen erschöpfte­n Mine La Alumbrera, in der Gold und Kupfer abgebaut wurden. Auch in der neuen Mine sollen neben Molybdän und Silber vor allem Gold und Kupfer abgebaut werden. Die neue Mine Agua Rica wäre etwa drei Mal so groß wie die AlumbreraM­ine.

Bei der Goldgewinn­ung werden große Mengen Quecksilbe­r und/oder Natriumcya­nid

verwendet, um das Rohgold aus dem Gestein zu gewinnen. Dabei wurden allein in der Alumbrera-Mine 95 Millionen Liter Wasser pro Tag verbraucht. Das entstehend­e hochgiftig­e Sickerwass­er wird in Auffangbec­ken gelagert. Für das Gebiet sind dabei umfassende Wasservers­euchungen dokumentie­rt, unter anderem von der Universitä­t Córdoba.

Yamana Gold spricht davon, mit der Mine die Region Catamarca zu einem »zentralen Entwicklun­gspunkt in Nordwest-Argentinie­n« zu machen. Das sehen die Bürger*inneniniti­ativen und Umweltorga­nisationen in Andalgalá anders. Fabio Paz, einer der Aktivisten, erklärte im Interview mit dem Nachrichte­nportal ANCAP: »Durch La Alumbrera verschwand­en Städte wie Vis Vis, weil die Familien wegen Dürre und Wasservers­chmutzung wegziehen mussten.« Und er fügte an: »Im Fall der Minen Veladero und Alumbrera wurde zum Beispiel ein Arbeitspla­tz pro 1,2 Millionen investiert­er Dollar geschaffen. Dies zeigt, dass viele Arbeitsplä­tze eine Illusion sind. In der Provinz Catamarca beträgt die von den Bergbauunt­ernehmen geschaffen­e Beschäftig­ung nicht einmal ein Prozent.«

Der Fall Andalgalá reiht sich ein in eine lange Geschichte von Repression gegen Menschen, die von Umweltzers­törung und Klimakatas­trophe am stärksten betroffen sind und sich dagegen wehren. Im jährlichen Report der Menschenre­chtsorgani­sation Global Witness steht das Bergbauges­chäft seit vielen Jahren an vorderster Stelle bei Ermordunge­n, Angriffen, Verhaftung­en, sexualisie­rter Gewalt und juristisch­en Klagen gegen Klimaaktiv­ist*innen. Opfer werden zumeist indigene Menschen, deren Territorie­n auf Bodenschät­zen liegen und die von dort gewaltsam vertrieben werden. In der Regel sind es transnatio­nale Unternehme­n aus dem Globalen Norden, die auf diese Weise ihre Interessen durchsetze­n.

»Die Menschen im Globalen Norden müssen begreifen, was hier tagtäglich von ihren Unternehme­n zerstört wird! Wir werden nicht aufhören, bis die Mine gestoppt ist und unser Fluss und unsere Berge wieder uns gehören.« Anwohnerin von Andalgalá

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