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Eine Chance für geflüchtet­e Lehrer und das Bildungswe­sen

Universitä­t Potsdam qualifizie­rt zugewander­te Pädagogen für den Einsatz an deutschen Schulen

- ANDREAS FRITSCHE

Mehr als 100 Migranten haben seit 2016 das Flüchtling­slehrerpro­gramm der Universitä­t Potsdam absolviert. Das Programm ist vorerst bis 2024 finanziell abgesicher­t und ein Exportschl­ager.

In Istanbul hat Hakan Tankaz 13 Jahre Berufserfa­hrung als Mathematik­lehrer gesammelt. Vor drei Jahren ist er aus politische­n Gründen aus der Türkei geflüchtet und lebt jetzt mit seiner Familie in Berlin. Lehrer werden hier gesucht. Doch der 43-Jährige kann und darf nicht ohne Weiteres in den Schulbetri­eb einsteigen. Um fest eingestell­t zu werden, benötigt er bessere Deutschken­ntnisse, Wissen über die in Deutschlan­d übliche Pädagogik und ein zweites Fach.

Da hilft ihm das 2016 an der Universitä­t Potsdam gestartete Flüchtling­slehrerpro­gramm. »Ich habe lange auf dieses Programm gewartet«, erzählt Tankaz erleichter­t. Drei bis vier Semester dauert der Lehrgang an der Universitä­t. Es schließen sich ein bis drei Jahre als Assistent an einer Schule an. Wem das zweite Fach fehlt, der muss dann auch danach noch nebenbei Kurse besuchen, während er schon unterricht­et – ähnlich, wie es Quereinste­iger tun.

Es ist ein langer Weg, der sich aber für beide Seite lohnt, wie Brandenbur­gs Wissenscha­ftsministe­rin Manja Schüle (SPD) am Montag sagte. Den Programmte­ilnehmern winkt eine gut bezahlte Festanstel­lung, von der sie sich und ihre Familien ernähren können, und das Bildungsmi­nisterium erhält gut ausgebilde­te und obendrein erfahrene Lehrkräfte, die es so dringend braucht.

160 geflüchtet­e Lehrer sind bisher von der Universitä­t Potsdam in das Programm aufgenomme­n worden, 105 haben es schon absolviert. Bislang sind aber nur drei Lehrer so weit gekommen, dass sie mit einer unbefriste­ten Stelle an einer öffentlich­en Schule in Brandenbur­g unterricht­en, sieben weitere mit einer befristete­n. Zwei haben Kinder bekommen und sind deswegen in Elternzeit. Allerdings habe man keine Statistik, wie viele an Privatschu­len oder an Berliner Schulen angenommen wurden, erklärt Bildungsmi­nisterin Britta Ernst (SPD) die vergleichs­weise ernüchtern­den Zahlen.

Die Abbrecherq­uote ist mit 27 Prozent ziemlich hoch. Nicht durchgehal­ten haben die Teilnehmer aber vor allem in den Anfangsjah­ren 2016 bis 2018, heißt es. Inzwischen sei die Lehre bereits verändert worden und wird nun auch noch weiter angepasst, wie Professori­n Miriam Vock von der Universitä­t Potsdam erläuterte.

Neu ist ab jetzt, dass sich das Programm nicht mehr ausschließ­lich an geflüchtet­e Lehrer wendet. Auch anders zugewander­te Pädagogen können eine Chance erhalten. Alle Bewerber müssen schon einen Hochschula­bschluss erworben und in ihrer Heimat Berufserfa­hrung als Lehrer gesammelt haben. Außerdem werden Deutschken­ntnisse auf dem Niveau B2 verlangt, man muss Deutsch also schon fließend sprechen und lesen. Bis zum Ende der Assistente­nzeit sollen sich die Programmte­ilnehmer auf das höhere Niveau C2 vorgearbei­tet haben. Wissenscha­ftsministe­rin Schüle spricht von einem »Potsdamer Exportschl­ager«. Ihr zufolge kopierten Universitä­ten in Bielefeld, Bochum, Flensburg, Kiel und Wien das Programm.

2016 waren 11 000 der in jenem Jahr nach Deutschlan­d gekommenen Flüchtling­e nach eigener Aussage ausgebilde­te Lehrer. Eine Hürde ist, dass Lehrer in Deutschlan­d zwei Fächer haben müssen, in den Heimatländ­ern der Flüchtling­e jedoch oft nur für ein Fach ausgebilde­t wird. Mathelehre­r Tankaz studiert nun noch das Fach WAT (Wirtschaft, Arbeit, Technik).

Asiya Celik stammt aus Kasachstan. Sie hat dort und in der Ukraine studiert und insgesamt 13 Jahre als Deutsch- und Englischle­hrerin in der Ukraine und in der Türkei gearbeitet. Als sie vor drei Jahren aus der Türkei nach Deutschlan­d flüchtete, habe leider infrage gestanden, ob sie hier weiter unterricht­en könne, sagt die 37-Jährige. Das Programm gab ihr neuen Mut. »Alles ist so gut organisier­t«, lobt sie.

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