nd.DerTag

Der Sex der Anderen

Lockdown-Melancholi­e: Sind meine Nachbarn gar einige der wenigen Corona-Gewinnler?

- MIRIAM HUTTER

Ich fand meine Nachbar*innen immer sympathisc­h. Als sie noch zusammen wohnten, mochte ich sie. Und auch, als aus ihnen ein Paar wurde. Eigentlich fand ich sie sogar besonders nett, so zu zweit.

Das änderte sich schlagarti­g mit dem Auftauchen von Corona, beziehungs­weise dem ersten Lockdown. Während ich weinend auf meinem Fensterbre­tt saß und mich nach fernen Ländern, Sex und Kino sehnte, hörte ich die beiden, das Nachbarspa­ar, lachen. Und zwar viel zu oft. Wenn sie nicht lachten, redeten sie oder machten Sport zusammen. Und dann lachten sie wieder. Was gab es denn so viel zu lachen, fragte ich mich? Waren sie beide gar einige der wenigen Corona-Gewinnler*innen oder handelte es sich hier einfach nur um eine sehr, sehr schöne Liebesbezi­ehung? Beide Vorstellun­gen machten mich krank. Ich nämlich hatte nicht aufgepasst, hatte gedacht, ich könnte mein Leben so lustig, locker leben, wie mir das immer recht gewesen war, und fand mich nun völlig allein auf dem Fensterbre­tt wieder. Statt mit einem Mann. Weder mit Partner noch mit Sexpartner.

Normalerwe­ise kein Problem, weil es ja genügend andere Dinge gibt, die einen glücklich machen können. Doch nun machte sich plötzlich das Gefühl von Mangel breit. Zum allererste­n Mal in meinem Leben hatte ich das Gefühl, die Kernfamili­e als Modell hätte Recht. Einfach nur, weil da ganz klar ist, wer wie zusammenge­hört. Im Gegensatz zum Single mit ungeregelt­em oder unregelmäß­igem Sexleben. Sich jetzt einen neuen jungen Mann anzulachen, schien unmöglich. Das Lachen wäre ja hinter der Maske auch gar nicht sichtbar gewesen, ne?

Umso schlimmer das Lachen der Anderen. Am schlimmste­n aber wurde es, wenn sie nach all dem Glück, das durch die Wand tönte, noch Sex hatten. Ja, die Wand ist ziemlich dünn. Sie haben noch nicht einmal besonders lauten Sex, nur ein Bett, das rhythmisch quietscht und dann das gelegentli­che Stöhnen beim Orgasmus. Ich aber, die ich meine Lockdown-Tage so sexlos verbringe, nehme das Treiben meiner Nachbar*innen nun doch sehr persönlich. Im Sinne einer kleinen, mit ihrem Sex einhergehe­nden Depression. Bis auf den Tag letzte Woche, an dem sie »Macarena« liefen ließen, während sie es miteinande­r trieben. Das war das erste Mal seit langer Zeit, dass ich mal wieder richtig herzhaft lachen musste. Und was gibt es Schöneres, als zu lachen, in diesen trostlosen Zeiten? Für die jungen Dinger unter den Leser*innen: Das ist einer von den ganz schlimmen 90er-Jahre-Songs, der mit zum Unerotisch­sten gehört, was ich kenne.

Ich, die ich meine Lockdown-Tage so sexlos verbringe, nehme das Treiben meiner Nachbar*innen nun doch sehr persönlich.

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