Lockdown im Knast
Nach Covid-Ausbrüchen in österreichischen Gefängnissen sind die Inhaftierten isolierter als jemals zuvor.
Nachdem es mehrere Covid-19-Ausbrüche in österreichischen Haftanstalten gegeben hat, wurden Besuche ebenso wie Freigänge untersagt. Eine Resozialisierung ist unter diesen Umständen kaum mehr möglich.
Es gibt Streit am Telefon. »Hör zu! Du hast in der Früh telefoniert.« Oliver Riepan wird zunehmend lauter, er deckt die Hörmuschel offenbar ab. Aber es sind noch immer Geräusche zu vernehmen, jemand ruft, dann scheppert es. »Ich hab bis jetzt gewartet. Jetzt bin ich dran!«, wehrt Riepan seinen Kontrahenten ab. Das Gedränge um das Wertkartentelefon sei jeden Tag enorm, erzählt er dann, als sich die Situation beruhigt hat. Das ist auch kein Wunder, denn der Apparat ist neben Briefen derzeit die einzige Möglichkeit, um Verbindung nach draußen zu halten. Das Wertkartentelefon befindet sich am Gang der sogenannten 21er-Abteilung in der Justizanstalt Krems-Stein in Österreichs größtem Gefängnis für Langzeitinhaftierte. Rund zwanzig Gefangene teilen sich hier das Telefon.
Die 21er sind Rechtsbrecher, die nach dem Paragrafen 21 Strafgesetzbuch verurteilt wurden. Bei ihnen handelt es sich um »geistig abnorme Rechtsbrecher«. Was in Deutschland die Sicherheitsverwahrung bezeichnet, ist in Österreich der Maßnahmenvollzug. Die 21er befinden sich dennoch oft in normalen Gefängnissen, was der Justiz seit Jahren heftige Kritik einbringt. Oliver Riepan ist einer von ihnen. Der Gefangene ist seit 2006 im Gefängnis, verurteilt zu einer lebenslangen Haftstrafe wegen Raubs, Widerstands gegen die Staatsgewalt, Waffenbesitzes und versuchten Polizistenmordes. 2016 gründete er in der Justizanstalt Graz-Karlau zusammen mit anderen Inhaftierten die österreichische Gefangenengewerkschaft und trat in den Hungerstreik aus Protest gegen die Haftbedingungen.
Ein Lockdown im Lockdown
Als 21er läuft er Gefahr, tatsächlich bis ans Lebensende inhaftiert zu sein. Im Maßnahmenvollzug wird Jahr für Jahr die Gefährlichkeit der Inhaftierten begutachtet. Fällt die Prognose schlecht aus, werden sie nicht entlassen. Der 54-jährige Riepan gilt Gutachter*innen zufolge als gefährlich. Gründe für sie, übervorsichtig zu urteilen oder gar nicht erst richtig hinzuschauen, gibt es genug.
Am Telefon berichtet Riepan aus dem Gefängnis, das sich im Lockdown befindet – ein Lockdown im Lockdown sozusagen. Aufgrund eines Covid-19-Ausbruchs in der Anstalt ist der Besuch bei den Häftlingen seit über einem Monat untersagt, ebenso Freigänge, sportliche Aktivitäten und zum Teil sogar die Psychotherapien. Glaubt man dem Strafvollzugsgesetz, dann ist die Resozialisierung das oberste Ziel der Haft. »Dazu steht eine Reihe von ›Werkzeugen‹ zur Verfügung«, heißt es von offizieller Seite. Dazu zählen Vollzugslockerungen wie Außenarbeit, Freigang oder Ausgang sowie die Möglichkeit des Vollzuges im elektronisch überwachten Hausarrest. Aber es bleibt die Frage, ob im Dauerlockdown eine Resozialisierung überhaupt noch funktionieren kann.
Warnung vor psychischen Folgen
»Es zeigt sich, dass sich unser Vorgehen in der Pandemie bislang bewährt hat«, schreibt Christina Ratz. Sie ist die Sprecherin im Bundesministerium für Justiz. »Besuche und das sonstige Anstaltsleben wurden unter Einhaltung strenger Schutzmaßnahmen auf das notwendige Minimum reduziert bzw. zur Gänze ausgesetzt.« Man handhabe das in den Justizanstalten unterschiedlich, sehe sich dabei aber immer dem »Grundsatz der Verhältnismäßigkeit« verpflichtet. Tatsächlich sind in allen 28 Justizanstalten Österreichs seit mittlerweile mehr als einem Jahr normale Besuche unmöglich, nachdem es immer wieder anstaltsinterne Covid-19-Ausbrüche gegeben hat. In Krems-Stein gibt es seit Anfang März keine Besuche mehr. Darum ringen die Inhaftierten auch so sehr um das Telefon. In Covid-19-freien Wochen zwischen den Lockdowns waren lediglich Glasscheibenbesuche möglich. Die anhaltenden Einschränkungen bedeuten etwa, dass Inhaftierte ihre Kinder seit einem Jahr nicht mehr umarmen, ihre Partner*innen nicht mehr küssen konnten. Selbst die Vereinten Nationen warnten zuletzt vor großen psychischen Folgen für Inhaftierte.
Als Alternative zu Besuchen wird den Gefangenen das Videotelefonieren angeboten. Nach holprigen ersten Monaten läuft das System mittlerweile in allen Anstalten. Auf das wöchentliche Gespräch, das einen Besuch ersetzen würde, kommt trotzdem kaum einer der aktuell 7679 Inhaftierten. Dem Justizministerium zufolge fanden monatlich bis zu 2800 solcher Videogespräche statt. Oliver Riepan bestreitet aber, dass Inhaftierte dieses Angebot regelmäßig in Anspruch nehmen könnten. Anträge auf Videotelefonieren würden aus Zeit- und Ressourcenmangel regelmäßig abgelehnt. »Soweit ist die Regelmäßigkeit gegeben.« Er lacht am anderen Ende der Leitung. Im Hintergrund ist weiter Wirbel zu vernehmen. »Ich durfte seit Herbst ganze zweimal mit Video telefonieren.«
Zu Beginn einer Haft und bei Verlegungen muss jeder Gefangene eine zehntägige Quarantäne absolvieren, um das Virus nicht in die Anstalt zu bringen. Die Juristin Nóra Katona findet diese Isolation unumgänglich, auch wenn sie sehr bedauerlich sei. Denn die erste Phase der Haft sei besonders belastend. Katona arbeitet am Wiener Ludwig Boltzmann Institut für Menschenrechte und hat im Zuge des Forschungsprojekts »Open Research Behind Closed Doors« Dutzende 21er in österreichischen Haftanstalten befragt. In manchen Gefängnissen gebe es die Möglichkeit, sich schon vor dem Ende der Quarantäne »freizutesten«. Covid-19-Tests werden mittlerweile auch im Gefängnis durchgeführt, auch wenn noch unregelmäßig.
Trotz der rigiden Bestimmungen kommt das Virus immer wieder in die Anstalten. Zuletzt gab es gleich in mehreren Gefängnissen Corona-Ausbrüche. In der Justizanstalt Salzburg waren 74 Inhaftierte und 11 Beamt*innen betroffen. Damit war mehr als ein Drittel der Inhaftierten positiv. Ein ganzes Fünftel der Gefangenen infizierte sich in der Justizanstalt Innsbruck. Zu den 71 Inhaftierten kamen 41 positiv getestete Beamt*innen hinzu. »Einschränkungen ohne Ende«, schreibt ein Insasse aus Innsbruck im März per Brief. »Zwei Abteilungen sind mit Quarantäne-Insassen belegt, der gesamte Landwirtschaftsbetrieb mit 18 Insassen ist positiv.« Am meisten ärgert den Gefangenen, »dass das Vollzugsgericht das Sterberisiko in Kauf nimmt und Insassen, welche bereits den Großteil ihrer Strafe verbüßt haben, nicht enthaftet«. Tatsächlich gab es bereits einen Todesfall hinter Gittern. Wie erst jetzt bekannt wurde, ist bereits Anfang des Jahres ein Inhaftierter in Innsbruck an Covid 19 gestorben.
23 Stunden am Tag eingeschlossen
Eine nahe liegende Maßnahme einer Kontaktminimierung ist die Sperrung der Arbeitsbetriebe der Gefangenen. Durch die ständigen Schließungen etwa der Druckerei in der Justizanstalt Krems-Stein gebe es keine Aufträge von außerhalb, sagt Riepan. Aufträge bekämen die Knastdrucker derzeit vor allem von der Justizbehörde. Wegen der gesperrten Arbeitsstätten sei im Normalvollzug jetzt 23 Stunden am Tag »der Deckel zu,« erzählt er. Im Fall von Infektionen in der Anstalt müssten Gefangene sogar 24 Stunden in ihrer Zelle verbringen. Die mangelnden Arbeitsund Beschäftigungsmöglichkeiten