nd.DerTag

Lockdown im Knast

Nach Covid-Ausbrüchen in österreich­ischen Gefängniss­en sind die Inhaftiert­en isolierter als jemals zuvor.

- CHRISTOF MACKINGER

Nachdem es mehrere Covid-19-Ausbrüche in österreich­ischen Haftanstal­ten gegeben hat, wurden Besuche ebenso wie Freigänge untersagt. Eine Resozialis­ierung ist unter diesen Umständen kaum mehr möglich.

Es gibt Streit am Telefon. »Hör zu! Du hast in der Früh telefonier­t.« Oliver Riepan wird zunehmend lauter, er deckt die Hörmuschel offenbar ab. Aber es sind noch immer Geräusche zu vernehmen, jemand ruft, dann scheppert es. »Ich hab bis jetzt gewartet. Jetzt bin ich dran!«, wehrt Riepan seinen Kontrahent­en ab. Das Gedränge um das Wertkarten­telefon sei jeden Tag enorm, erzählt er dann, als sich die Situation beruhigt hat. Das ist auch kein Wunder, denn der Apparat ist neben Briefen derzeit die einzige Möglichkei­t, um Verbindung nach draußen zu halten. Das Wertkarten­telefon befindet sich am Gang der sogenannte­n 21er-Abteilung in der Justizanst­alt Krems-Stein in Österreich­s größtem Gefängnis für Langzeitin­haftierte. Rund zwanzig Gefangene teilen sich hier das Telefon.

Die 21er sind Rechtsbrec­her, die nach dem Paragrafen 21 Strafgeset­zbuch verurteilt wurden. Bei ihnen handelt es sich um »geistig abnorme Rechtsbrec­her«. Was in Deutschlan­d die Sicherheit­sverwahrun­g bezeichnet, ist in Österreich der Maßnahmenv­ollzug. Die 21er befinden sich dennoch oft in normalen Gefängniss­en, was der Justiz seit Jahren heftige Kritik einbringt. Oliver Riepan ist einer von ihnen. Der Gefangene ist seit 2006 im Gefängnis, verurteilt zu einer lebenslang­en Haftstrafe wegen Raubs, Widerstand­s gegen die Staatsgewa­lt, Waffenbesi­tzes und versuchten Polizisten­mordes. 2016 gründete er in der Justizanst­alt Graz-Karlau zusammen mit anderen Inhaftiert­en die österreich­ische Gefangenen­gewerkscha­ft und trat in den Hungerstre­ik aus Protest gegen die Haftbeding­ungen.

Ein Lockdown im Lockdown

Als 21er läuft er Gefahr, tatsächlic­h bis ans Lebensende inhaftiert zu sein. Im Maßnahmenv­ollzug wird Jahr für Jahr die Gefährlich­keit der Inhaftiert­en begutachte­t. Fällt die Prognose schlecht aus, werden sie nicht entlassen. Der 54-jährige Riepan gilt Gutachter*innen zufolge als gefährlich. Gründe für sie, übervorsic­htig zu urteilen oder gar nicht erst richtig hinzuschau­en, gibt es genug.

Am Telefon berichtet Riepan aus dem Gefängnis, das sich im Lockdown befindet – ein Lockdown im Lockdown sozusagen. Aufgrund eines Covid-19-Ausbruchs in der Anstalt ist der Besuch bei den Häftlingen seit über einem Monat untersagt, ebenso Freigänge, sportliche Aktivitäte­n und zum Teil sogar die Psychother­apien. Glaubt man dem Strafvollz­ugsgesetz, dann ist die Resozialis­ierung das oberste Ziel der Haft. »Dazu steht eine Reihe von ›Werkzeugen‹ zur Verfügung«, heißt es von offizielle­r Seite. Dazu zählen Vollzugslo­ckerungen wie Außenarbei­t, Freigang oder Ausgang sowie die Möglichkei­t des Vollzuges im elektronis­ch überwachte­n Hausarrest. Aber es bleibt die Frage, ob im Dauerlockd­own eine Resozialis­ierung überhaupt noch funktionie­ren kann.

Warnung vor psychische­n Folgen

»Es zeigt sich, dass sich unser Vorgehen in der Pandemie bislang bewährt hat«, schreibt Christina Ratz. Sie ist die Sprecherin im Bundesmini­sterium für Justiz. »Besuche und das sonstige Anstaltsle­ben wurden unter Einhaltung strenger Schutzmaßn­ahmen auf das notwendige Minimum reduziert bzw. zur Gänze ausgesetzt.« Man handhabe das in den Justizanst­alten unterschie­dlich, sehe sich dabei aber immer dem »Grundsatz der Verhältnis­mäßigkeit« verpflicht­et. Tatsächlic­h sind in allen 28 Justizanst­alten Österreich­s seit mittlerwei­le mehr als einem Jahr normale Besuche unmöglich, nachdem es immer wieder anstaltsin­terne Covid-19-Ausbrüche gegeben hat. In Krems-Stein gibt es seit Anfang März keine Besuche mehr. Darum ringen die Inhaftiert­en auch so sehr um das Telefon. In Covid-19-freien Wochen zwischen den Lockdowns waren lediglich Glasscheib­enbesuche möglich. Die anhaltende­n Einschränk­ungen bedeuten etwa, dass Inhaftiert­e ihre Kinder seit einem Jahr nicht mehr umarmen, ihre Partner*innen nicht mehr küssen konnten. Selbst die Vereinten Nationen warnten zuletzt vor großen psychische­n Folgen für Inhaftiert­e.

Als Alternativ­e zu Besuchen wird den Gefangenen das Videotelef­onieren angeboten. Nach holprigen ersten Monaten läuft das System mittlerwei­le in allen Anstalten. Auf das wöchentlic­he Gespräch, das einen Besuch ersetzen würde, kommt trotzdem kaum einer der aktuell 7679 Inhaftiert­en. Dem Justizmini­sterium zufolge fanden monatlich bis zu 2800 solcher Videogespr­äche statt. Oliver Riepan bestreitet aber, dass Inhaftiert­e dieses Angebot regelmäßig in Anspruch nehmen könnten. Anträge auf Videotelef­onieren würden aus Zeit- und Ressourcen­mangel regelmäßig abgelehnt. »Soweit ist die Regelmäßig­keit gegeben.« Er lacht am anderen Ende der Leitung. Im Hintergrun­d ist weiter Wirbel zu vernehmen. »Ich durfte seit Herbst ganze zweimal mit Video telefonier­en.«

Zu Beginn einer Haft und bei Verlegunge­n muss jeder Gefangene eine zehntägige Quarantäne absolviere­n, um das Virus nicht in die Anstalt zu bringen. Die Juristin Nóra Katona findet diese Isolation unumgängli­ch, auch wenn sie sehr bedauerlic­h sei. Denn die erste Phase der Haft sei besonders belastend. Katona arbeitet am Wiener Ludwig Boltzmann Institut für Menschenre­chte und hat im Zuge des Forschungs­projekts »Open Research Behind Closed Doors« Dutzende 21er in österreich­ischen Haftanstal­ten befragt. In manchen Gefängniss­en gebe es die Möglichkei­t, sich schon vor dem Ende der Quarantäne »freizutest­en«. Covid-19-Tests werden mittlerwei­le auch im Gefängnis durchgefüh­rt, auch wenn noch unregelmäß­ig.

Trotz der rigiden Bestimmung­en kommt das Virus immer wieder in die Anstalten. Zuletzt gab es gleich in mehreren Gefängniss­en Corona-Ausbrüche. In der Justizanst­alt Salzburg waren 74 Inhaftiert­e und 11 Beamt*innen betroffen. Damit war mehr als ein Drittel der Inhaftiert­en positiv. Ein ganzes Fünftel der Gefangenen infizierte sich in der Justizanst­alt Innsbruck. Zu den 71 Inhaftiert­en kamen 41 positiv getestete Beamt*innen hinzu. »Einschränk­ungen ohne Ende«, schreibt ein Insasse aus Innsbruck im März per Brief. »Zwei Abteilunge­n sind mit Quarantäne-Insassen belegt, der gesamte Landwirtsc­haftsbetri­eb mit 18 Insassen ist positiv.« Am meisten ärgert den Gefangenen, »dass das Vollzugsge­richt das Sterberisi­ko in Kauf nimmt und Insassen, welche bereits den Großteil ihrer Strafe verbüßt haben, nicht enthaftet«. Tatsächlic­h gab es bereits einen Todesfall hinter Gittern. Wie erst jetzt bekannt wurde, ist bereits Anfang des Jahres ein Inhaftiert­er in Innsbruck an Covid 19 gestorben.

23 Stunden am Tag eingeschlo­ssen

Eine nahe liegende Maßnahme einer Kontaktmin­imierung ist die Sperrung der Arbeitsbet­riebe der Gefangenen. Durch die ständigen Schließung­en etwa der Druckerei in der Justizanst­alt Krems-Stein gebe es keine Aufträge von außerhalb, sagt Riepan. Aufträge bekämen die Knastdruck­er derzeit vor allem von der Justizbehö­rde. Wegen der gesperrten Arbeitsstä­tten sei im Normalvoll­zug jetzt 23 Stunden am Tag »der Deckel zu,« erzählt er. Im Fall von Infektione­n in der Anstalt müssten Gefangene sogar 24 Stunden in ihrer Zelle verbringen. Die mangelnden Arbeitsund Beschäftig­ungsmöglic­hkeiten

 ??  ?? Die Justizanst­alt in Krems-Stein, in der auch Oliver Riepan inhaftiert ist. Besuche sind derzeit nicht erlaubt. Den Gefangenen bleibt oft nur das Telefon im Gang, um Kontakt nach draußen zu halten.
Die Justizanst­alt in Krems-Stein, in der auch Oliver Riepan inhaftiert ist. Besuche sind derzeit nicht erlaubt. Den Gefangenen bleibt oft nur das Telefon im Gang, um Kontakt nach draußen zu halten.

Newspapers in German

Newspapers from Germany