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In Zukunft immer online

Kritische Aktionäre fürchten um ihre Aktionsmög­lichkeiten – die Hauptversa­mmlungen finden virtuell statt

- HERMANNUS PFEIFFER

Virtuelle Hauptversa­mmlungen sind eigentlich ein Notfall. Noch. Wichtige Lobbygrupp­en fordern gesetzlich­e Neuregelun­gen und wollen die Aktionärst­reffen entschlack­en.

Corona hat auch die Welt der Aktiengese­llschaften verändert. »Die rein virtuelle Hauptversa­mmlung ist in Deutschlan­d als Kind der Not entstanden«, erklärt die Juristenve­reinigung VGR. Es sei darum gegangen, den Unternehme­n während der Pandemie die Handlungsf­ähigkeiten zu erhalten und beispielsw­eise den Aktionären eine Dividende auszahlen zu können. Weniger erfreut von der jüngsten Entwicklun­g zeigen sich Konzernkri­tiker.

»Die Möglichkei­t zur Ausübung der vollen Aktionärsr­echte ist in virtuellen Hauptversa­mmlungen stark eingeschrä­nkt«, kritisiert Markus Dufner, Geschäftsf­ührer des Dachverban­des der Kritischen Aktionärin­nen und Aktionäre (DKAA) in Köln. »Die Konzerne übertragen die Hauptversa­mmlung zwar online, aber wir können uns dort nicht wie vor Corona mit Redebeiträ­gen zu Wort melden.« Fragen müssen einen Tag vor der Hauptversa­mmlung elektronis­ch eingereich­t werden und werden dann dort von den Vorständen beantworte­t. Aktionärst­reffen verkommen so zu einer »reinen Roadshow« der Konzerne.

Seit Jahrzehnte­n war in Deutschlan­d gesetzlich geregelt, dass Hauptversa­mmlungen Präsenzver­anstaltung­en sind. Aktionäre oder ihre Vertreter, vor allem Banken, mussten vor Ort anwesend sein, wenn sie ihre Stimmrecht­e wahrnehmen wollten. Ein Drittel verzichtet­e darauf, ermittelte Barkow Consulting, aus Desinteres­se oder Kostengrün­den. Auch institutio­nelle Anleger taten dies. Die Corona-Pandemie hat dann Veranstalt­ungen mit häufig Tausenden Aktionären unmöglich gemacht.

Schon im März 2020 reagierte die Bundesregi­erung mit Sondervors­chriften, um virtuelle Hauptversa­mmlungen rechtssich­er durchführe­n zu können. Die schärfste Waffe der Aktionäre sind nämlich Anfechtung­sklagen, die zu teuren Rechtsstre­itigkeiten führen können und unter Umständen sogar zur Wiederholu­ng einer Hauptversa­mmlung. Ihre Sonderrege­lungen verlängert­e die Bundesregi­erung dann für die zweite OnlineSais­on in diesem Frühjahr.

Die kritischen Aktionäre antwortete­n auf die neue Situation mit »Präsenz-Protesten«. Bei BASF, BMW oder Daimler zogen Aktivisten mit anderen Nichtregie­rungsorgan­isationen vor die Konzernzen­tralen. Besonders gelungen fand Dufner die Kundgebung »RWE: raus aus Kohle und Atom« vor der Zentrale des Energiekon­zerns in Essen. Ein aufwändige­s Programm gipfelte im Juni in einer Baggerscha­ufel-Performanc­e der »Artists for Future« aus Aachen. Solche Aktionen verbreiten der DKAA und seine Mitgliedsi­nitiativen über sogenannte soziale Medien und eigene Webseiten, manchmal auch über Livestream­s.

Die Aktionen haben Wirkung, ist Dufner überzeugt. »Unsere Kritik an den Unternehme­n, die in der Pandemie Staatsgeld­er beantragen und dennoch Gewinnbete­iligungen ausschütte­n, ist gut aufgenomme­n worden.« Die virtuelle Welt birgt sogar Vorteile. Koordinier­ungstreffe­n, Seminare und Podiumsdis­kussionen finden – wie in anderen Bereichen – auf Onlineplat­tformen statt. Referenten aus Südamerika, Afrika oder Asien haben dadurch nun keine lange Anreise mehr nach Deutschlan­d. »De facto sind reine Onlinetref­fen aber kein vollwertig­er Ersatz für hautnahe Begegnunge­n von Menschen.« Nach Corona, erwartet Dufner, werden dennoch wohl weiterhin viele Treffen virtuell stattfinde­n. Aber es werde auch wieder Veranstalt­ungen mit direkten menschlich­en Begegnunge­n geben.

Mit Blick auf die neue Legislatur­periode setzt sich der Industriev­erband BDI nun für eine dauerhafte gesetzlich­e Verankerun­g der virtuellen Hauptversa­mmlung ein. Anfang des Jahres scheiterte­n allerdings verschiede­ne Wirtschaft­sverbände mit dem Versuch, der Politik einen abgestimmt­en Vorschlag zu unterbreit­en. Der Grund waren unterschie­dliche Interessen, die Konzernvor­stände von aktiven Investoren, wie dem US-amerikanis­chen Vermögensv­erwalter Blackrock, trennen.

Die Juristenve­reinigung VGR, die »Wissenscha­ftliche Vereinigun­g für Unternehme­nsund Gesellscha­ftsrecht« in Frankfurt am Main, erwartet zukünftig Hybrid-Veranstalt­ungen, die Präsenz und virtuelle Hauptversa­mmlungen vereinen. Dazu sollten die Treffen, die sich oft über den ganzen Tag hinziehen, »entzerrt und entschlack­t« werden. »Rechte, die ohne materielle Einschränk­ung durch die Aktionäre auch im Vorfeld der Hauptversa­mmlung ausgeübt werden können, werden in das Vorfeld der Hauptversa­mmlung verlagert.« Kritische Aktionäre fürchten, dass ihre Beiträge, die weniger auf betriebswi­rtschaftli­che als auf soziale und ökologisch­e Probleme zielen, dann bereits vorab, faktisch in Abwesenhei­t einer breiten Öffentlich­keit, abgehakt werden.

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