Lange Haftdauer, viele Suizide
Der österreichische Strafvollzug litt jahrelang an Überbelegung. Im Januar 2020 saßen 9189 Häftlinge ein, ausgewiesene Plätze gab es aber nur für 8855 Personen. Auf 100 Plätze kamen laut der Strafstatistik Space I des Europarats demnach 103,2 Insassen. Durch den coronabedingten Aufschub von Haftantritten gelang es jedoch, die landesweite Belegungskapazität erstmals auf 88 Prozent zu reduzieren. Allerdings steigt die Zahl der Menschen im Maßnahmenvollzug kontinuierlich an. Lag sie vor 20 Jahren noch bei 572, sind es heute 1296 Menschen, das sind 15 Prozent der Inhaftierten in ganz Österreich. Dieser Wert trägt auch dazu bei, dass die durchschnittliche Haftdauer in Österreich mit 10,3 Monaten im Jahr 2018 im europäischen Vergleich recht hoch ist. Bei der Selbstmordrate führt Österreich sogar die Statistik an. Sie lag 2018 bei 12,8 je 10 000 Insassen. würden die Gefangenen frustrieren. »Die Stimmung ist ang’fressn. Die Leute brauchen das Geld von der Arbeit in den Betrieben.«
»Ang’fressn« ist wahrscheinlich zu vorsichtig formuliert. In England wurden unter Inhaftierten bereits erhöhte Selbstverletzungsraten festgestellt, in Italien eine alarmierend hohe Zahl an Suiziden. In Österreich gibt es dazu bislang keine unabhängigen Untersuchungen.
Mit der Impfung rückt die Hoffnung auf Normalität auch in Österreichs Straf- und Maßnahmenvollzug in Aussicht. »Ganz, ganz wichtig ist neben den Untergebrachten auch die Impfung des Personals«, so Katona. Schließlich pendeln Beamt*innen immer zwischen drinnen und draußen und haben viel Kontakt. Aber die stockenden Impfstofflieferungen in Österreich sind auch im Gefängnis zu spüren. Jüngst hat aber auch hinter Gittern die Impfung von Risikopatient*innen begonnen. Mitte April waren bereits 1779 Stiche gesetzt, sowohl bei Justizbeamt*innen als auch bei Inhaftierten.
Aber noch dominieren die »Einschränkungen ohne Ende« die Haft. Resozialisierende Maßnahmen, wie die Arbeit in anstaltseigenen Betrieben oder draußen, bleiben untersagt. Freigänge, wie sie in der letzten Phase des Strafvollzugs vor der Entlassung üblich sind, wurden weitgehend ausgesetzt. »Die Leute werden auf die Straße gestellt und können schauen, wo sie bleiben« – ohne Vorbereitung, wie Oliver Riepan erzählt.
Resozialisierung wird aufgeschoben
Nicht zuletzt die therapeutische Betreuung leidet unter den Einschränkungen. Gerade im Maßnahmenvollzug ist sie eine Voraussetzung für die psychische Gesundung der Insass*innen. Zuletzt sollten in Krems-Stein Therapien über die Gegensprechanlage stattfinden, berichtet Riepan lachend. Eine Sprecherin der Justiz bestätigt das.
Nóra Katona, die zum Maßnahmenvollzug forscht, weiß, dass es für die Inhaftierten wichtig ist, Lockerungsphasen im Vollzug zu durchlaufen. Die sind für eine bedingte Entlassung notwendig. Aber die Lockerungen wurden im vergangenen Jahr immer wieder ausgesetzt, ohne Zutun der Inhaftierten. »Das hat zur Konsequenz, dass Personen möglicherweise länger im Maßnahmenvollzug sein werden«, weiß sie. »Und das ist sehr bedenklich.«
Für Oliver Riepan ist eine Entlassung bis auf Weiteres nicht in Sicht. Für ihn wird der Andrang am Wertkartentelefon in der 21erAbteilung noch länger bestimmendes Thema bleiben.