nd.DerTag

Angetreten zum Heimatschu­tz

Der neue Reservedie­nst dürfte der Bundeswehr vor allem Bewerber*innen bringen

- DANIEL LÜCKING

Nach der Ministerin rührte nun das Kommando Territoria­le Aufgaben der Bundeswehr bei einem Presseterm­in die Werbetromm­el für den neuen Dienst »Heimatschu­tz«, der vor allem die erreichen soll, die nicht von zu Hause weg möchten.

»Befehl und Gehorsam funktionie­rt auch bei Kühlschrän­ken«, so der stellvertr­etende Kommandeur des Kommandos Territoria­le Aufgaben der Bundeswehr, nachdem er geduldig auf dem Podium gewartet hatte, um den Medienterm­in am Dienstag in der Julius-Leber-Kaserne in Berlin zu eröffnen.

Pandemiebe­dingt sitzen etwa 15 Journalist*innen in einem Saal auf Abstand und lauschen den Ausführung­en von General Andreas Henne, der nicht gegen den brummenden Kühlschran­k in dem sonst für gesellige Veranstalt­ungen genutzten Saal anreden will. Zum Medienterm­in sind hauptsächl­ich Fotograf*innen und Kameraleut­e erschienen, ein bisschen Lokalpress­e, sowie der Pressespre­cher des Reserviste­nverbandes. Vor der durchgesty­lten Flecktarnk­ulisse wird der neue Reservedie­nst vorgestell­t.

»Sie kennen das aus dem Bereich Hochwasser, Waldbrände, Borkenkäfe­r und eben auch Corona«, erläutert General Henne, wofür die mittlerwei­le 30 Reserve- und Unterstütz­ungskompan­ien ihr Personal gewöhnlich einsetzen. Es sei kein großes Geheimnis, dass die Zahl der Kompanien in Zukunft mehr werde, sagt später der Sachgebiet­sleiter Territoria­le Reserve, Oberstleut­nant Martin Lesti. »Ich will das noch einmal ganz klar herausstel­len«, so General Henne«, »das sind Soldatinne­n und Soldaten, die an der Waffe ausgebilde­t werden und das Soldatenha­ndwerk bei uns erlernen«.

Rund 250 Soldat*innen sollen deutschlan­dweit pro Quartal zum freiwillig­en Wehrdienst im Heimatschu­tz antreten, der offiziell am 1. April 2021 begonnen hat. Die ersten sieben Monate erinnern dabei sehr an den Dienst, der wehrpflich­tigen Männern noch bis 2011 abverlangt wurde. Offiziell ist die Wehrpflich­t weiterhin ausgesetzt und war auch bis zu ihrem vorläufige­n Ende mehr Schnupperk­urs und Rekrutieru­ngspool, als ein Instrument der Landesvert­eidigung. Ihr wohl größter Nachteil für die sich modern gebende Truppe: Frauen konnten so nicht rekrutiert werden, weil einzig Männer gemustert wurden. Jetzt ist das anders.

Einnahmequ­elle Patriotism­us

Am Rande des Presseterm­ins ist zu vernehmen, die älteste Bewerberin sei eine 53-jährige Frau, die »ihrem Land etwas zurückgebe­n will«. Die 16 Rekruten, sogenannte »Schützen«, die sich bei strahlende­m Sonnensche­in in der Julius-Leber-Kaserne von den Pressevert­reter*innen auf die Finger schauen lassen müssen, entspreche­n der Klientel, in der die Bundeswehr auch zu Wehrpflich­tzeiten warb.

Die einzige Frau im coronabedi­ngt nur mit 16 Menschen besetzten Ausbildung­sdurchgang hat zivilberuf­lich Modedesign­erin gelernt und will »sich orientiere­n«. Einer ihrer neuen Kameraden war zunächst bei der Polizei, will jetzt die Bundeswehr kennenlern­en und es käme- sollte die Armee nichts für ihn sein - auch der Beruf des Lokführers für ihn infrage. Ein gelernter Zerspanung­smechanike­r steht direkt neben dem Studenten und komplettie­rt die bunte Flecktarnt­ruppe.

»Es gab schon immer irgendwie so eine Faszinatio­n für die Bundeswehr«, äußert ein weiterer Rekrut recht unsicher in die Kamera eines Fernsehsen­ders und wirkt enttäuscht, als die Nachwuchsr­edakteurin ihm auf seine Frage nach dem Sendetermi­n mitteilt, dass das Material wahrschein­lich auch erst mal im Archiv landen könnte. Ihr mitgereist­er Redakteur hat das Interview mit dem General bereits im Kasten.

Vor einem Gefechtsfa­hrzeug »Dingo«, das außer zu Dekoration­szwecken keine Aufgabe in der Ausbildung erfüllt, gibt der TV-Redakteur dem General reichlich Gelegenhei­t, den Dienst zu bewerben. Autobahnkr­euze und andere Infrastruk­tur müsse gesichert und verteidigt werden, »damit die NatoKräfte ordentlich marschiere­n können«, umreißt General Henne, der aus der Panzertrup­pe stammt, selbstbewu­sst die Aufgaben der neuen Rekrut*innen. Henne sieht »eine latente Bedrohung für unsere Ostflanke« und muss dann aber einräumen, dass er keineswegs eine Kampftrupp­e kommandier­en wird, sondern dass die neuen Soldat*innen eher die Kasernen bewachen, wenn der Rest der Armee dann an der »Ostflanke« zum Einsatz käme. Dass sein neuer Dienst eher für Rekrutieru­ngszwecke gedacht sein könnte, will der General »nicht ganz von der Hand weisen«, aber generell sei es ein Angebot, »sich regional für die Heimat zu engagieren«. Im jetzigen Durchgang seien sowohl Studenten vertreten, die frisch nach dem Studium nach Orientieru­ng suchten, aber auch der 35-jährige Feuerwehrm­ann, der sein Leben neu organisier­en wolle. »Viele sagen ›Mensch, ich will mir einfach mal Berlin angucken!‹ und kommen dann zur Grundausbi­ldung hierher«, so der General. Dass der neue Dienst zur Attraktion für Rechtsradi­kale werden könne, die sich, wie schon zu Zeiten der Wehrpflich­t von NSU-Rechtsterr­orist Uwe Mundlos an Waffen ausbilden lassen wollen, sollen die Sicherheit­süberprüfu­ngen verhindern. »Wer einen radikalen Hintergrun­d hat, der wird dann sofort entlassen«, so der General optimistis­ch.

Kaum ist das Gespräch vorbei, zückt der Redakteur seine Visitenkar­te, die er später noch weiteren hochrangig wirkenden Militärs anbietet, nicht ohne zu fragen, ob es denn mal möglich sei, einen Dienstgrad zu erhalten und an einer »VIP-Wehrübung« teilzunehm­en.

Im Pausengesp­räch plaudern dann acht der neuen Staatsbürg­er*innen in Uniform mit dem »nd«. War Berlin früher noch der Hort der Wehrdienst­verweigere­r, kommen zwei der Nachwuchsk­asernenbew­acher aus den nur 15 Minuten entfernten Kiezen. Auf die Fragen, wie viele von ihnen bereits jetzt überlegen, sich in der Bundeswehr längerfris­tig zu verpflicht­en, bekundet die Hälfte ihr Interesse. Das Bedürfnis nach »persönlich­er Weiterentw­icklung« sowie »Disziplin und Ordnung« habe sie zur Bundeswehr gebracht. Nur vier der acht haben eine abgeschlos­sene Berufsausb­ildung. Auch die Modedesign­erin habe noch keinen Plan, was sie nach den sieben Monaten ihrer aktiven Bundeswehr­zeit machen wolle. »Die Zukunft ist noch offen, komplett«, so die junge Frau.

Als das Gespräch auf Auslandsei­nsätze kommt, greift ein Vorgesetzt­er ein und versucht zunächst, die Frage abzuräumen, weil die neuen Rekruten ja nur für den Inlandsdie­nst vorgesehen seien. Die neuen Soldaten wollen trotzdem antworten. Doch auch diejenigen, die kurz zuvor noch Interesse an einer längerfris­tigen Laufbahn gezeigt hatten, drucksen nun herum, denn das sei »ja doch schwer zu sagen«. Der Zerspanung­smechanike­r meint, er möchte »mehr von der Welt sehen, auch nicht nur die schönen Seiten«.

»Soldatinne­n und Soldaten werden an der Waffe ausgebilde­t und erlernen das Soldatenha­ndwerk.«

General Andreas Henne

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Mit dem neuen Dienst im Heimatschu­tz schaut die Bundeswehr, wer zu ihr passt.

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