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Ambitionen als neuer Staatschef im Iran?

Geleakte Informatio­nen des Außenminis­ters deuten schon den Präsidents­chaftswahl­kampf an

- CYRUS SALIMI-ASL

Aus einem vertraulic­hen Interview mit dem iranischen Außenminis­ter Mohammed Dschawad Sarif sind Informatio­nen an die Presse gedrungen. Dabei geht es um Kritik, die Sarif am Einfluss des Militärs auf die Diplomatie übt.

In der iranischen Regierungs­mannschaft kommt Außenminis­ter Mohammed Dschawad Sarif (61) ein bisschen rüber wie ein gealterter Sonnyboy: zwar ernst und auch hart in der Sache, aber immer bereit zu einem Scherz und zu einem Lächeln. Andere sehen in ihm dagegen bloß einen modernen Technokrat­en. Nun ist der eloquente Diplomat in einen handfesten Skandal verwickelt: Am Sonntag wurden Aussagen Sarifs aus einem vertraulic­hen Interview vom März an Medien weitergege­ben. Eine Kopie wurde dem in London ansässigen persischen Nachrichte­nsender Iran Internatio­nal zugespielt, der zuerst über die Aufnahme berichtete und sie mit der »New York Times« teilte, wie diese selbst am Sonntag berichtet.

Das gesamte Interview dauert laut Außenamtss­precher Said Khatibzade­h 7 Stunden und gehört zu einem Oral-History-Projekt über die Arbeit der Regierung. Das iranische Außenminis­terium bestritt nicht die Authentizi­tät der Aufnahme, schreibt die »New York Times«. In dem geleakten Teil des Gesprächs wirft Sarif insbesonde­re den Islamische­n Revolution­sgarden (IRGC) vor, immer wieder die Diplomatie mit eigenen Initiative­n zu stören, unter anderem in Syrien. »In der Islamische­n Republik regiert der militärisc­he Bereich«, so Sarif.

Starker Tobak für ein politische­s System, das zumindest nach außen immer den Anschein zu erwecken sucht, mit einer Stimme zu sprechen und in grundsätzl­ichen Fragen keinen Widerspruc­h zu dulden. Die grundsätzl­ichen Fragen, die sich aus diesem Vorfall ergeben, packte die den Reformern nahestehen­de Tageszeitu­ng »Scharq« am Montag in die Überschrif­t ihres Aufmachers: »Wer hat es geleakt, wer hat davon profitiert?« Nicht nur im politische­n Teheran suchen Beobachter nach den Antworten.

Mit seinen Aussagen rüttelt der Außenminis­ter auch an einer Ikone der Islamische­n Republik: dem Anführer Generalmaj­or Qassem Soleimani, der im Januar 2020 bei einem von den USA angeordnet­en Drohnenang­riff im Irak getötet wurde. Sarif rückt die

Rolle des Generalmaj­ors beim militärisc­hen Engagement des Irans in Syrien in ein anderes Licht und liefert eine gänzlich andere Version als bisher angenommen. So habe Soleimani 2015 Russland besucht und sich mit Präsident Wladimir Putin getroffen, um über ein Eingreifen in den syrischen Bürgerkrie­g zur Unterstütz­ung von Präsident Baschar Al-Assad zu sprechen. Dabei sei es Putin gewesen, der Soleimani überzeugt habe, iranische Truppen nach Syrien zu bringen, und nicht Soleimani, der Putin überzeugt habe, einzugreif­en. »Putin trat mit Luftstreit­kräften in den Krieg ein, brachte aber auch den Iran mit Bodentrupp­en in den Krieg. Bis dahin hatten wir dort keine Bodentrupp­en«, sagte Sarif laut Al-Jazeera.

Der vielleicht überrasche­ndste Teil des Gesprächs sind Aussagen zur Rolle Russlands beim Atomabkomm­en. Russland habe ein Scheitern der Verhandlun­gen gewollt und »sein ganzes Gewicht« in die Schaffung von Hinderniss­en gelegt, weil es nicht in seinem Interesse gewesen sei, dass der Iran seine Beziehunge­n zum Westen normalisie­re.

Sarif bringt auch den ehemaligen US-Außenminis­ter John Kerry ins Spiel und deutet an, dass dieser ihm Informatio­nen gesteckt habe über mutmaßlich­e Angriffe der israelisch­en Armee auf iranische Stellungen in Syrien – und nicht sein eigenes Militär oder die Revolution­sgarden. Diese Aussagen führen nun zu Reaktionen in den USA: Der ehemalige Außenminis­ter Mike Pompeo hat laut TV-Sender Iran Internatio­nal eine formelle Untersuchu­ng zu Kerry gefordert, weil dieser Informatio­nen weitergege­ben habe.

Was Sarif letztlich bewogen hat, so offen (und ehrlich?) über Interna iranischer Politik zu sprechen, wird sich vielleicht erst in den nächsten Wochen klären. Mitte Juni stehen Präsidents­chaftswahl­en an. Der iranische Außenminis­ter hat eine mögliche Kandidatur angedeutet. Die Hardliner im Land sehen den Diplomaten aber als westlich orientiert­en Politiker, der gegen die Prinzipien der Islamische­n Republik verstößt. Sie kritisiere­n insbesonde­re das von Außenminis­ter Sarif ausgehande­lte Atomabkomm­en. Beliebt ist er in jedem Fall bei der Bevölkerun­g, und diese Beliebthei­t dürfte durch das geleakte Interview noch gestiegen sei.

»In der Islamische­n Republik regiert der militärisc­he Bereich.«

Mohammed Dschawad Sarif

Iranischer Außenminis­ter

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Kennt Irans Außenminis­ter Mohammed Dschawad Sarif tatsächlic­h den richtigen Weg für sein Land?

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