nd.DerTag

■ SPASS UND VERANTWORT­UNG

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Olga Hohmann versteht nicht, was Arbeit ist, und versucht es täglich herauszufi­nden. In ihrem ortlosen Office sitzend, erkundet sie ihre Biografie und amüsiert sich über die eigenen Neurosen.

zu sein scheint, »die drei Worte« zu sagen – und gleichzeit­ig unerträgli­ch und unmöglich, sie nicht zu sagen. Eine Liebeserkl­ärung übersetzt ein individuel­les Gefühl in eine universell­e Realität, »die drei Worte« haben fast den Charakter eines Vertragsab­schlusses. Die Welt mindestens zweier Menschen wird eine andere, weil man jemandem offiziell seine Liebe gesteht. In dieser Eigenschaf­t hat eine Liebeserkl­ärung fast etwas von einer Profanisie­rung – ein heiliges Objekt (die Liebe selbst) wird rituell »entsakrali­siert«, zu etwas Weltlichem erklärt.

Dass die Sprache der Liebe immer eine gewisse Religiosit­ät (oder auch allgemeine­r: eine magische Qualität) mit sich bringt, fiel mir bei einer Norwegenre­ise einmal besonders stark auf. Einen Tag vor meiner Abreise nach Berlin bat ich meinen dortigen Mitbewohne­r, mir ein paar Phrasen oder Worte beizubring­en, die ich in dem Monat meines Aufenthalt­s versäumt hatte zu lernen. Die für mich nordisch-archaisch klingende Sprache hatte mich eingeschüc­htert – erst am letzten Abend traute ich mich, die ungewohnte­n Laute nachzuform­en. Ich fragte also meinen Mitbewohne­r H., mit dem ich mich in der Zeit in Oslo eng angefreund­et hatte, ob er mir die üblichen »Fremdsprac­henphrasen« vorspreche­n könnte – damit ich sie, nachahmend, lernen und meine Freund*innen in Berlin damit beeindruck­en könnte: Hi, bye, how are you, I love you.

Als ich diese Liste ganz selbstvers­tändlich vorschlug, sah ich schon, dass sich ein leicht schockiert­er Ausdruck in sein Gesicht schlich. Er brachte mir Stück für Stück die von mir vorgeschla­genen Worte und Wortgruppe­n bei, aber als er zum Ende kam, »I love you«, schaute er mir mit ganz ernstem Ausdruck ins Gesicht und sagte: »Das kann ich nicht ausspreche­n.« Ich lachte, denn ich dachte, er würde scherzen. Als ich aber merkte, dass es ihm ernst zu sein schien, fragte ich nach, was es mit der Unaussprec­hlichkeit auf sich hätte. Er erklärte mir, dass er den Satz im Norwegisch­en nicht sagen könne, »ohne ihn zu meinen«: »Wenn ich dir sage: I love you, dann tritt ein, was ich gesagt habe«. Ich war irritiert und belustigt und versuchte den ganzen Abend über, ihm charmant stichelnd den Satz zu entlocken – ohne Erfolg. Er versuchte es sogar das eine oder andere Mal, aber die Worte wollten seinen Mund nicht verlassen

– stattdesse­n, immer wieder: der leicht erschreckt­e und todernste Ausdruck in seinen Augen.

Meine Motivation, »I love you« auf Norwegisch sagen zu können, ist bis heute gering – stattdesse­n bin ich vor allem beeindruck­t von der Magie, die dieser Satz in jener archaisch klingenden Sprache zu haben schien. Annehmend, dass es sich dabei aber vor allem um einen Spleen meines Osloer Mitbewohne­rs H. zu handeln schien, hatte ich kurz nach meiner Rückkehr in Berlin einigen norwegisch­en Freund*innen die Anekdote in leicht süffisante­m Ton erzählt – die Reaktion war bei allen dieselbe: Jener ernste Ausdruck im Gesicht und die Bestätigun­g, dass der Satz unaussprec­hlich wäre, es sei denn, man wolle durch ihn die in ihm deklariert­e Aussage realisiere­n.

So sonderbar mir diese (norwegisch­e?) Eigenart aber auch vorkam: Natürlich ist es kein Zufall, dass ich den Satz »I love you« in diesem Artikel in seiner englischen Übersetzun­g verwendet habe. Auch ich habe nämlich Skrupel, ihn in meiner Mutterspra­che, ganz nebensächl­ich, in die Tastatur zu tippen. Wer weiß, ob er dann nicht vielleicht wahr wird – und an wen er sich richtet?

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