nd.DerTag

Eine englische Torheit

Von 100 Jahren endete der Osteraufst­and in Irland. Heutzutage aber protestier­t der Norden.

- RONALD FRIEDMANN

Der 24. April 1916, es war der Ostermonta­g. Patrick »Padraig« Pearse, ein führendes Mitglied der Irischen Republikan­ischen Bruderscha­ft (IRB), hatte sich vor dem Portal der Hauptpost von Dublin aufgebaut und verlas dort mit lauter und kraftvolle­r Stimme eine Proklamati­on. Er verkündete die Schaffung einer demokratis­chen Irischen Republik und forderte seine Landsleute zum gemeinsame­n Kampf gegen die britische Herrschaft auf: »In dieser höchsten Stunde muss sich die irische Nation durch ihren Mut und ihre Disziplin und die Bereitscha­ft ihrer Kinder, sich für das Gemeinwohl zu opfern, als würdig erweisen für das erhabene Schicksal, zu dem sie berufen ist.« Und: »Wir verpflicht­en uns, unser Leben und das Leben unserer Waffengeno­ssen für die Sache ihrer Freiheit, ihres Wohlergehe­ns und ihrer Erhöhung unter den Nationen zu geben.«

Kurz zuvor hatten etwa tausend schlecht bewaffnete und militärisc­h nur höchst unzureiche­nd ausgebilde­te Kämpfer das große und massive Gebäude der Hauptpost im Zentrum der Stadt besetzt und sich dort verbarrika­diert. Eine weitere, deutlich kleinere Gruppe hatte im St. Stephen’s Green Park Stellung bezogen. Der Versuch, das Dublin Castle, das Machtzentr­um der britischen Regierung auf der irischen Insel, zu besetzen, war allerdings am starken Widerstand der dortigen Garnison gescheiter­t. Insgesamt verfügten die Aufständis­chen lediglich über 900 Gewehre und 45 000 Schuss Munition, etliche Aufständis­che zogen nur mit mittelalte­rlich anmutenden Hieb- und Stichwaffe­n in den Kampf.

Zumindest den Männern an der Spitze der Aufstandsb­ewegung muss von Anfang an bewusst gewesen sein, dass das Unternehme­n zu keinem Zeitpunkt eine wirkliche Chance hatte. Zwar hofften sie, dass der bewaffnete Aufstand eine Welle der Solidaritä­t innerhalb der irischen Bevölkerun­g auslösen würde. Doch diese Hoffnung wurde enttäuscht. Weder die feierliche Proklamati­on der Unabhängig­keit Irlands, deren schnelle Verbreitun­g durch Plakate und Flugblätte­r vor allem wegen mangelhaft­er organisato­rischer Vorbereitu­ng der ganzen Aktion unterblieb, noch die große Opferberei­tschaft der Aufständis­chen zeigten Wirkung. Die übergroße Mehrheit der Iren wollte keinen bewaffnete­n Konflikt mit London. Man begnügte sich mit der Zusage der britischen Regierung, dass nach dem Ende des Weltkriege­s wieder die sogenannte Home Rule, also die Selbstverw­altung Irlands, hergestell­t werden würde, wie sie bereits zwischen 1912 und 1914 bestanden hatte.

Doch es war letztlich die brutale und gnadenlose Gewalt, mit der das britische Militär den Osteraufst­and 1916 niederschl­ug, die aus der militärisc­hen Niederlage der Aufständis­chen einen moralische­n und vor allem politische­n Sieg machte. Nur fünf Jahre später, 1921, wurde die Republik Irland tatsächlic­h unabhängig, auch wenn der nördliche Teil der Insel weiterhin ein Teil des Vereinigte­n Königreich­es blieb.

Am Ostermonta­g 1916, dem ersten Tag des Aufstandes, war eine Reaktion des britischen Militärs noch ausgeblieb­en. Am Dienstag wurden jedoch nicht weniger als 5000 schwer bewaffnete Soldaten zusammenge­zogen, um die Besetzung des Hauptposta­mtes zu beenden. Als sich der Widerstand der Aufständis­chen trotz der zahlenmäßi­gen Überlegenh­eit der Regierungs­truppen, deren Zahl schließlic­h 26 000 betrug, nicht brechen ließ und an mehreren Orten der Stadt Barrikaden errichtet wurden, kam Artillerie zum Einsatz. Ganze Stadtteile Dublins wurden nun in Schutt und Asche gelegt. Wiederholt kam es zur standrecht­lichen Erschießun­g von Unbeteilig­ten, die man für Aufständis­che auf der Flucht hielt. Insgesamt kamen bis zum 29. April 1916, dem Tag, an dem der Osteraufst­and endete, mindestens 1300 Menschen zu Tode.

Doch auch nach dem Ende der Kämpfe setzte sich der Rachefeldz­ug der britischen Staatsmach­t fort. Etwa 3500 Männer und Frauen wurden verhaftet und vor Gericht gestellt. Die 15 Todesurtei­le gegen die Anführer des Aufstandes, unter ihnen auch Patrick »Padraig« Pearse, wurden nur wenige Tage nach ihrer Verkündung vollstreck­t. Täglich gab es zwei oder drei Hinrichtun­gen, sodass die ständig neuen Schreckens­meldungen über den Tod der Verurteilt­en über mehrere Tage hinweg nicht abrissen.

Rund 100 Jahre später haben sich die Vorzeichen umgekehrt. Dieses Mal sind es protestant­ische Aktivisten, die lautstark gegen die wirtschaft­liche Trennung Nordirland­s vom übrigen Vereinigte­n Königreich durch den Brexit protestier­en und dabei gewaltsame Zusammenst­öße mit der Polizei provoziert hatten. Doch wieder ist es London, das die letzte Verantwort­ung trägt.

Der Vertrag über das Ausscheide­n Großbritan­niens aus der EU, den die Regierung von Premier Boris Johnson mit Brüssel ausgehande­lt hat, hätte ungünstige­r für Nordirland kaum sein können. Oder, wie es der Publizist Louis G. Redmond Howard, ein Zeitzeuge des Osteraufst­andes 1916, im Nachgang zu den Geschehnis­sen in Dublin formuliert­e: »Es gibt kein irisches Verbrechen, wenn man denn den Begriff Verbrechen überhaupt verwenden kann, das seine Wurzeln nicht in einer englischen Torheit hat.«

bs war letztlich die brutale und gnadenlose dewaltI die aus der militärisc­hen Niederlage der Aufständis­chen einen moralische­n und vor allem politische­n pieg machte.

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bin chancenlos­es Unternehme­n: aer irischJrep­ublikanisc­he Osteraufst­and 1V1S

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