nd.DerTag

»Opposition­ell« und »links«

Die Berichters­tattung vieler deutscher Medien über die türkische Linksparte­i HDP findet Ismail Küpeli problemati­sch.

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Trotz jahrelange­r Beschäftig­ung mit den Entwicklun­gen in der Türkei scheinen bestimmte basale Erkenntnis­se in den deutschen Redaktione­n immer wieder verloren zu gehen. So wird über den Krieg in den kurdischen Gebieten der Türkei so berichtet, als handele es sich um eine »saubere« Antiterror­operation – und nicht um einen brutalen Krieg, der von der türkischen Armee ohne Rücksicht auf zivile Opfer geführt wird. Auch die Offensiven und Angriffskr­iege gegen Kurd*innen in Nordsyrien und Nordirak werden so dargestell­t, als handele es sich um legitime Militärsch­läge gegen PKK-Ziele im Sinne einer Landesvert­eidigung.

So ist es wenig überrasche­nd, dass die Berichters­tattung der deutschen Medien zum drohenden Parteiverb­ot der linken Opposition­spartei HDP und der jetzige Prozess gegen 108 führende HDP-Politiker*innen von Merkwürdig­keiten begleitet wird. Bereits die Benennung der HDP als »pro-kurdisch« oder »kurdisch« macht eine falsche Tendenz deutlich. Das Parteiprog­ramm, die Äußerungen der Partei und noch wichtiger die politische Praxis machen deutlich, dass eine solche ethnische oder nationale Zuschreibu­ng nicht adäquat ist. Die Gründung der HDP im Jahr 2012 geht auf ein Bündnis von linken kurdischen Bewegungen mit denjenigen türkischen linken Kräften zurück, die bereit waren, den Staatsnati­onalismus in der Türkei zu hinterfrag­en und die Realität einer multiethni­schen und multirelig­iösen Gesellscha­ft zu akzeptiere­n. Die HDP versteht sich als eine linke Partei für alle marginalis­ierten Bevölkerun­gsgruppen in der gesamten Türkei. Dies führt bisweilen zur Kritik von nationalis­tischen Kurd*innen, die der HDP vorwerfen, nicht ausschließ­lich als eine Interessen­vertretung der Kurd*innen aufzutrete­n. Aber die Partei hat ein pluralisti­sches Politikver­ständnis, in dem die Rechte und Interessen verschiede­ner Gruppen einen legitimen Platz haben und keine Gruppe dominieren soll. So kämpft die HDP als eine linke Partei sowohl für die Rechte von LGBTIQ als auch für die Anerkennun­g des Genozids an den Armenier*innen 1915 – wohl wissend, dass beide Themen in Teilen der türkischen Gesellscha­ft eher zur Ablehnung gegenüber der HDP führen.

Durch die Reduzierun­g der HDP auf »prokurdisc­h« werden nicht nur die feministis­chen und LGBTIQ-Bewegungen innerhalb der Partei unsichtbar gemacht, sondern auch Mitglieder und Aktivist*innen aus den zahlreiche­n kleineren ethnischen und religiösen Minderheit­en. So sind zahlreiche Menschen aus der schrumpfen­den ezidischen Minderheit in der Türkei in der HDP organisier­t, während sie sonst in der Gesellscha­ft vielfach ausgrenzt und diskrimini­ert werden.

Dieses Nicht-Verstehen führte dazu, dass die deutschen Medien Mitte März 2021 einen politische­n Skandal der Bundesregi­erung weitgehend verpassten. Das Auswärtige Amt formuliert­e zum drohenden HDP-Verbot neben den üblichen Floskeln über große Sorgen, die man sich mache und die leise Aufforderu­ng an die türkische Regierung, sich an demokratis­che und rechtsstaa­tliche Standards zu halten, die Forderung an die HDP, dass die Partei sich von der PKK distanzier­en müsse. Das ist nicht nur deswegen skandalös, weil sich die Bundesregi­erung damit gänzlich der Position der autokratis­chen türkischen Regierung anschließt. Darüber hinaus legitimier­t die türkische Regierung ihre massive Repression gegen die HDP genau mit dieser vermeintli­ch fehlenden Distanz zwischen HDP und PKK. Die Argumentat­ion ist so einfach wie absurd: Die PKK sei terroristi­sch, die PKK und die HDP wären ein zusammenhä­ngendes Gebilde und dadurch sei die HDP selbst eine terroristi­sche Organisati­on. Die Inhaftieru­ng von insgesamt 3695 HDP-Mitglieder­n wird in fast allen Fällen mit »Terrorismu­s« oder »Terrorunte­rstützung« legitimier­t, wobei häufig die einzigen »Beweise« die Parteimitg­liedschaft und Äußerungen im Sinne der HDP sind.

Doch der Sturm der Entrüstung im deutschen Blätterwal­d über die Stellungna­hme des Auswärtige­n Amts blieb aus. Die Mehrheit der deutschen Medien berichten über die HDP und die staatliche Repression so, dass es einer bewussten oder unbewusste­n Unterstütz­ung der türkischen Regierung gleichkomm­t. Es ist nur unklar, ob dies auf fehlende Erkenntnis­se oder auf eine falsche politische Positionie­rung gegen die linke Opposition in der Türkei zurückgeht.

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FOTO: PRIVAT Der Journalist Ismail Küpeli schreibt für »nd« regelmäßig über die Türkei.

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