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Einen Monat unbezahlte Mehrarbeit

IG Metall will in Ost-Tarifbezir­k finanziell­en Ausgleich für fortdauern­de 38-Stunden-Woche erkämpfen

- HENDRIK LASCH

In der ostdeutsch­en jetallindu­strie lauJ fen Warnstreik­s. aie Id jetall will zwar nicht das bnde der 3RJptunden­JWocheI aber wenigstens bntschädig­ung dafür.

Einen Tag lang ging nichts bei BMW in Leipzig. Für 24 Stunden standen in dem Werk, das 2005 in Betrieb ging und wo kürzlich das dreimillio­nste Auto produziert wurde, alle Bänder still. Die IG Metall hatte die 5500 Beschäftig­ten zu einem Warnstreik aufgerufen: von Dienstag sechs Uhr bis zum Mittwoch um exakt 5:59 Uhr, wie die Gewerkscha­ft mitteilte. Öffentlich­keitswirks­ame Aktionen gab es kaum: Die Belegschaf­t werde den Streik »wegen der pandemisch­en Lage zu Hause verbringen«, hieß es. Das aber sollten die Arbeitgebe­r nicht als Zeichen mangelnder Entschloss­enheit missdeuten. Für den Fall, dass sich diese nicht bewegten, brachte Leipzigs IG-Metall-Chef Bernd Kruppa eine »Eskalation des Tarifkonfl­ikts« ins Spiel.

Eigentlich ist dieser Konflikt für die große Mehrzahl der Metallbetr­iebe und der dort arbeitende­n Gewerkscha­ftsmitglie­der längst beendet. Am 30. März wurde für die aktuelle Tarifrunde ein Pilotabsch­luss in NordrheinW­estfalen erzielt, den seither fast alle anderen Tarifbezir­ke übernommen haben. Einzige Ausnahme ist Berlin-Brandenbur­g-Sachsen – der einzige rein ostdeutsch­e Bezirk. In diesem sucht die IG Metall eine Nuss zu knacken, an der sie sich seit Jahren die Zähne ausbeißt. Es geht um die unterschie­dlichen Arbeitszei­ten in West und Ost. Um das Ziel durchzuset­zen, beteiligte­n sich allein vorige Woche 30 000 Beschäftig­te an Warnstreik­s.

»Andere Branchen haben die Angleichun­g längst geschafft: der öffentlich­e aienstI die ptahlJ und Textilindu­strieI sogar die Leiharbeit. Nur bei jetall + blektro soll das nicht möglich sein.«

Birgit Dietze Bezirkslei­terin IG Metall

Bisher arbeiten die Beschäftig­ten in tarifgebun­denen Metallbetr­ieben in Ostdeutsch­land 38 Stunden in der Woche, drei Stunden mehr als im Westen. Im Jahr summiert sich das auf einen Monat unbezahlte Mehrarbeit. Das sei »weder hinnehmbar, noch gibt es irgendwelc­he Gründe, die das auch nur im Ansatz rechtferti­gen«, heißt es in einem Aufruf der IG Metall. Die Ost-West-Angleichun­g sei im öffentlich­en Dienst gelungen, in Branchen wie Textil und Stahl und »sogar bei der Leiharbeit«, sagt Birgit Dietze, seit Oktober 2020 die Bezirksche­fin der IG Metall in Berlin, Brandenbur­g und Sachsen. Dort arbeiten 290 000 Menschen in der Branche. Dass auch diese endlich gleichen Bedingunge­n wie ihre Kollegen im Westen hätten, sei »nicht nur ein tarifpolit­isches, sondern auch ein gesellscha­ftspolitis­ches Thema«.

So argumentie­rt die Gewerkscha­ft freilich seit Jahren, ohne ihre Forderung umsetzen zu können. Zeitweise hatte sie es im Guten versucht: mit Gesprächen, die sich anderthalb Jahre hinzogen und die Angleichun­g bis 2030 zum Ziel hatten. Eine Einigung scheiterte am Veto des Arbeitgebe­rverbandes Gesamtmeta­ll. Vor einem Jahr ließ die Gewerkscha­ft dann die Muskeln spielen. In der Tarifrunde 2020 legte sie das Modell einer schrittwei­sen Absenkung der Arbeitszei­t vor, beginnend mit einer 37-Stunden-Woche und verbunden mit dem Angebot »unterschie­dlicher Geschwindi­gkeiten« je nach Leistungsf­ähigkeit der Firmen. Betriebsrä­te drohten, man sei »absolut eskalation­sfähig«.

Ein Jahr später ist das Thema allerdings immer noch nicht erledigt. Diesmal ist die IG Metall bereit, bei 38 Stunden zu bleiben, will dafür aber wenigstens eine finanziell­e Kompensati­on erreichen: ein »tarifliche­s Angleichun­gsgeld«, das allein einem Einkommens­plus von 8,6 Prozent zusätzlich zum Pilotabsch­luss gleich käme. Durchgekäm­pft werden soll die Forderung im einzigen Tarifbezir­k, der nur Ostländer umfasst. Thüringen, Sachsen-Anhalt und Mecklenbur­g-Vorpommern bilden Bezirke mit je einem Westland. Außerdem gibt es in Sachsen, Brandenbur­g und Berlin Werke von VW, BMW und Mercedes sowie großen Zulieferer­n mit gut organisier­ten, kampfstark­en Belegschaf­ten.

Die Unternehme­r sahen für finanziell­e Zugeständn­isse bisher keinen Spielraum. Um Druck zu machen, mobilisier­te die Gewerkscha­ft zu Warnstreik­s, die Sachsens Arbeitgebe­rverband VSME vor Gericht zu verbieten suchte. In erster Instanz hatte das Erfolg, am Landesarbe­itsgericht blitzte der Verband am 16. April ab. Seither rollt die Streikwell­e. Bezirksche­fin Dietze deutet sie als Ausdruck von »Empörung, Wut, Enttäuschu­ng, Unverständ­nis« in den Metallbetr­ieben der Region.

Unterstütz­ung erhält die IG Metall aus der Politik, wo man sich der Brisanz des Themas gerade im Wahljahr bewusst ist. Solidaritä­tsadressen senden SPD-Kanzlerkan­didat Olaf Scholz, die Ministerpr­äsidenten Bodo Ramelow (Linke) aus Thüringen und

Dietmar Woidke (SPD) aus Brandenbur­g sowie Anton Hofreiter, Fraktionsc­hef der Grünen im Bundestag. Gregor Gysi drohte bei einer Kundgebung scherzhaft, er bleibe so lange im Bundestag, bis die Angleichun­g erreicht sei. Sachsens Wirtschaft­sminister und SPD-Landeschef Martin Dulig sagte vor streikende­n VW-Werkern in Zwickau, es könne »nicht sein, dass 31 Jahre nach der Wende noch immer in Ost und West unterschie­den wird«.

Ob all das zu einer Einigung beiträgt, ist offen. An diesem Dienstag verhandelt­e die IG Metall zum fünften Mal mit dem Arbeitgebe­rverband Berlin-Brandenbur­g. Vorab hatte Dietze in einer Videobotsc­haft an die Mitglieder erklärt, man stehe »auch für kreative Lösungsans­ätze« bereit. Ende der Woche will dann der Vorstand der IG Metall in Frankfurt (Main) über das weitere Vorgehen beraten.

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Auch in pachsen demonstrie­rt die Id jetall per Autokorso für ihre corderunge­n.

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