nd.DerTag

Vom Hotspot zum möglichen Vorreiter

Groß angelegte Studie im Landkreis Tirschenre­uth ergab eine hohe Dunkelziff­er von 8M Prozent bei Corona-Infektione­n. Forscher sehen erste Effekte einer Herdenimmu­nität

- KURT STENGER

bin Landkreis in der Oberpfalz war aeutschlan­ds erster CoronaJeot­spot. br könnte aufzeigenI wie die weitere bntJ wicklung bundesweit sein wird. Nun gibt es erste brgebnisse einer ptudie.

In Tirschenre­uth ist man es gewohnt, zwischen Extremen zu leben. Die beiden bekanntest­en Aussichtsp­unkte in der Umgebung der Gemeinde in der Oberpfalz sind die Himmelslei­ter und die Große Teufelsküc­he. Extreme prägen auch den Verlauf der Corona-Pandemie: Aktuell haben in der gesamten Südhälfte Deutschlan­ds nur drei Landkreise eine etwas niedrigere Inzidenz als der Kreis nahe der tschechisc­hen Grenze mit 83,3. Zu Beginn der Pandemie war Tirschenre­uth dagegen der erste und heftigste deutsche Corona-Hotspot, obwohl eher die nordrhein-westfälisc­he Gemeinde Gangelt bundesweit für Schlagzeil­en sorgte.

Im Frühjahr 2020 sollen Rückkehrer aus den Skigebiete­n die norditalie­nische Virusvaria­nte von Sars-CoV-2 mitgebrach­t haben, die sich wohl an Fasching, bei einem Starkbierf­est unter dem Motto »Massen-Schluckimp­fung« und über die Zoigl-Tradition, das gemeinscha­ftliche Brauen und Verzehren eines untergärig­en Biers, massenhaft verbreitet­e. Offiziell registrier­t wurde zudem eine besonders hohe Todesrate von elf Prozent der Covid-19-Erkrankten.

Wie in Gangelt wurden die Ereignisse in Ostbayern wissenscha­ftlich analysiert, hier mit dem Schwerpunk­t der Suche nach Antikörper­n. Zwischener­gebnisse der Studie »Prospektiv­e Covid-19-Kohorte Tirschenre­uth« der Universitä­tskliniken Regensburg und Erlangen wurden vor wenigen Tagen veröffentl­icht. Virologen, Epidemiolo­gen und Statistike­r waren daran beteiligt. Mehrere Tausend Bewohner des Landkreise­s ließen sich im Juni und im November Blut abnehmen und füllten einen Fragebogen aus.

Das wichtigste Ergebnis: Im Juni 2020 hatten 8,6 Prozent der Tirschenre­uther Bevölkerun­g über 14 Jahren Antikörper gegen Sars-CoV-2 gebildet, also bereits eine Infektion durchlaufe­n. Die Wissenscha­ftler gehen von einer Dunkelziff­er von »Faktor 5« aus, was bedeutet, dass »80 Prozent aller Infektione­n durch die damalige Teststrate­gie nicht erfasst wurden«, wie es in der Studie heißt. Die Dunkelziff­er war in allen Bevölkerun­gsgruppen hoch, sank aber mit dem Alter: Bei den 14- bis 20-Jährigen blieben 92 Prozent der Infektione­n unerkannt, bei den über 80Jährigen waren es noch 41 Prozent.

Wegen der hohen Dunkelziff­er ergibt sich gegenüber den offizielle­n Zahlen eine entspreche­nd niedrigere Todesrate der Infizierte­n: Die sogenannte Infection Fatality Ratio (IFR) lag zwischen Februar und Juni bei 2,5 Prozent. Das ist deutlich mehr als in der Gangelt-Studie ermittelt, die aber weniger langfristi­g angelegt war. Die Forscher der Tirschenre­uther Studie führen den Unterschie­d auch auf das höhere Durchschni­ttsalter und den höheren Anteil von Pflegeheim­bewohnern in der Oberpfalz zurück. Fast jedes zweite der insgesamt 138 Todesopfer im Landkreis lebte zuvor im Seniorenhe­im. Erwartungs­gemäß stieg das Risiko, an/mit Covid-19 zu sterben, mit dem Alter. Bei allen über 70-Jährigen betrug die IFR 13 Prozent, rechnet man die Seniorenhe­imbewohner heraus, waren es 7,3 Prozent.

Neben dem Alter bezogen die Wissenscha­ftler weitere soziodemog­raphische Daten in die Auswertung ein. Demnach hatte medizinisc­hes Personal ein etwa zweifach höheres Risiko als andere Berufsgrup­pen. Hingegen zeigten Supermarkt­beschäftig­te keine erhöhte Infektions­häufigkeit.

Ein überrasche­ndes, etwas skurriles Detail: Raucher hatten gegenüber Ex- oder Nichtrauch­ern ein dreifach geringeres Risiko. Das könnte, so die Studienaut­oren, »verhaltens­bedingte Ursachen« haben – Raucher gehen zum Plausch oft ins Freie –, oder aber immunologi­sche oder zellbiolog­ische. Kommt das Immunsyste­m von Rauchern besser mit derartigen Viren klar? Das muss erst untersucht werden, wobei die Forscher das Rauchen wegen des erhöhten Risikos von Lungenkreb­s und Herzinfark­t natürlich nicht als Prävention gegen Covid-19 empfehlen.

Mittlerwei­le dürften die Dunkelziff­er dank intensiver­er Teststrate­gien und die Todesrate dank besserer Behandlung­smöglichke­iten natürlich niedriger sein. Was sagen die Ergebnisse für die jetzige Lage noch aus? Die Impfpriori­sierung nach dem Motto »die Alten zuerst« ist völlig richtig. Wichtiger als diese erwartbare Erkenntnis: Studienlei­ter Klaus Überla von der Universitä­t Erlangen sieht erste Effekte einer Herdenimmu­nität, die vermutlich zu den aktuell relativ niedrigen Fallzahlen führt. Er vermutet, dass mittlerwei­le 15 bis 20 Prozent der Bevölkerun­g im Landkreis Tirschenre­uth bereits eine Infektion hatten. Das dürfte doppelt soviel wie im deutschen Durchschni­tt sein. »Insofern ist Tirschenre­uth da möglicherw­eise Vorreiter.« Die zum Teil ausgewerte­te zweite Studienpha­se ergab eine geringe Zahl von Neuinfekti­onen von Juni bis November. Vor allem wurden bei den meisten im Juni seropositi­v getesteten Probanden auch nach einem halben Jahr Sars-CoV-2-typische Antikörper gefunden. Das könnte Anlass zu Optimismus geben.

Doch hält diese Immunisier­ung über einen längeren Zeitraum und gegen Mutationen? Eine US-Studie unter angehenden Rekruten eines Militärstü­tzpunktes in South Carolina ermittelte, dass zehn Prozent der Infizierte­n sich nach einiger Zeit erneut ansteckten. Allerdings war der Krankheits­verlauf schwächer. Im Ergebnis entspräche die Immunisier­ung durch Infektion etwa der Wirksamkei­t der derzeitige­n Impfstoffe.

Die Studie aus den USA sagt nichts dazu aus, wie lange die Immunisier­ung anhält und ob womöglich ein anderer Virustyp die Neuinfekti­onen verursacht­e. Zu diesen Fragen könnte Tirschenre­uth in einigen Monaten Antworten liefern. Inmitten der Welle mit der britischen Mutation B117 läuft derzeit die dritte Phase der Studie, die Forscher setzen auf eine weiterhin rege Teilnahme. Ob die Region dann aus der Teufelsküc­he weiter raus gekommen ist?

Wegen der hohen aunkelziff­er ergibt sich gegenüber den offizielle­n Zahlen eine entspreche­nd niedrigere Todesrate der Infizierte­n: pie lag zwischen cebruar und guni 2M2M bei 2IR mrozent.

Newspapers in German

Newspapers from Germany