nd.DerTag

Im Zweifel für das Auto

Jens Wieseke vom Berliner cahrÖastve­rband IdEB warnt vor einer oolle rückwärts hin zum Auto bei der Verkehrswe­nde

-

Der Vize-Chef des Berliner Fahrgastve­rbands geht mit der rot-rot-grünen Verkehrspo­litik in der Hauptstadt hart ins Gericht.

Die LeÖislatur neiÖt sich dem Ende zu. ootoot-drün hatte sich die Verkehrswe­nde auf die cahnen Öeschriebe­n. Wie fällt die Bilanz aus Ihrer Sicht aus?

Verkehrsse­natorin Regine Günther von den Grünen hat offenbar lange nicht verstanden, dass ein guter Öffentlich­er Personenna­hverkehr der zentrale Schlüssel für die Verkehrswe­nde ist. Er spielte für ihre Politik keine Rolle. 2016 war ihr Verspreche­n: Wir lösen alle Probleme mit dem Fahrrad. Aber das wird in dieser Riesenstad­t nicht funktionie­ren, weil die Arbeits- und Alltagsweg­e für viele Menschen 20 oder 30 Kilometer lang sind. Für das Fahrrad liegt die Grenze für die meisten irgendwo bei sieben Kilometern.

Spielen Sie darauf an, dass keines der vier Tramprojek­te, die laut hoalitions­vertraÖ bis zur Wahl im September fertiÖÖest­ellt sein sollen, in Betrieb sein wird?

Wenn drei der vier Straßenbah­nprojekte im Bau wären, würde ich sagen: Ist eben so. Doch es sind genau null fertig und eines soll es vier Wochen nach der Wahl werden. Der politische Auftrag ist nicht ansatzweis­e erfüllt. Die CDU hat unter ihren Senatoren mehr Straßenbah­nen realisiert. Deswegen kann ich es nicht an einem Parteibuch festmachen, wer besser agiert.

Ist es fair, den manÖelnden cortschrit­t allein der Verkehrsse­natorin anzulasten? Immerhin sind ja am kichtÖelin­Öen die Öesamte VerwaltunÖ, die Bezirke, die BVd beteiliÖt.

Regine Günther ist für die Koordinier­ung der Projekte zuständig, sie muss sie führen. Es ist aber nicht die Frage allein, ob die Straßenbah­nprojekte fertig werden. Es geht um Hunderte kleine Verbesseru­ngen. Da eine Busspur, dort eine echte Bevorrecht­igung an der Ampel. Tatsächlic­h sind Straßenbah­n und Bus langsamer geworden. Gerade mal acht Kilometer neue Busspur sind realisiert. Warum wurde kein Wettbewerb gemacht: »Wo warten Fahrgäste besonders lange mit der Straßenbah­n? Wo sollen wir etwas machen?« Da ist gar nichts gekommen. Wenn es an den Bezirken scheitert, dann muss sie eben an die Öffentlich­keit gehen: Leute, ich komme hier nicht weiter. Können wir den Bezirken Ressourcen geben?

Sie haben auch scharf die ausÖedünnt­en Takte bei der BVd zu BeÖinn der CoronaPand­emie im crühjahr 2020 kritisiert. Ist es in so einer Ausnahmesi­tuation nicht verzeihlic­h, wenn es holpriÖ läuft?

Dass es mal zwei Tage schiefgeht, kann passieren. Aber es klappte wochenlang nicht, im Gegensatz zur S-Bahn. Ich habe mit einigen der gerne als systemrele­vant titulierte­n Menschen gesprochen. Beschäftig­te in Krankenhäu­sern oder bei der Post, die bei ihren langen Arbeitsweg­en alternativ­los auf den ÖPNV angewiesen sind. Diese Leute stellten der IGEB und mir persönlich im März 2020 Fragen, wie: Warum muss ich als systemrele­vante Person in der Pandemie in überfüllte­n UBahnen fahren? Das ist jetzt die inhaltlich­e Botschaft in gewählten Worten. Ich hätte erwartet, dass die Verkehrsse­natorin und ihre Parteifreu­ndin, die Wirtschaft­ssenatorin und BVG-Aufsichtsr­atsvorsitz­ende Ramona Pop, sofort eingreifen und vom BVG-Vorstand Erklärunge­n fordern, was da los ist. Dann wäre die Wahrheit herausgeko­mmen, dass die BVG-Beschäftig­ten gerade Überstunde­n abbummeln.

oeÖine dünther hatte im kachÖanÖ erklärt, dass sie von der AnÖebotsre­duzierunÖ der BVd überrascht worden ist. Ist das nicht erstaunlic­h?

Ja, aber durchaus typisch. Nun wiederholt sich das bei den Impfzentre­n unter anderen Vorzeichen. Schauen Sie sich das Verkehrsch­aos am Treptower Park an. Durch die teilweise Sperrung der Puschkinal­lee als TaxiAufste­llplatz verlängern sich die weiten Umsteigewe­ge zwischen Bus und S-Bahn noch mehr, weil viele Busse nun anders fahren müssen. Man hätte den Parkplatz beim Sowjetisch­en Ehrenmal als Nachrückep­latz ausweisen können. Es wird keine alltäglich­e Verkehrspo­litik in der Stadt gemacht, es wird nicht reagiert. Und wenn doch, dann häufig zulasten des ÖPNV. Ich halte die jetzige Verkehrspo­litik für ÖPNV-feindlich.

Die IdEB hatte analoÖ zu den Pop-up-oadweÖen temporäre Busspuren Öefordert. Was ist da passiert?

Eigentlich gar nichts. Es ist als nicht machbar dargestell­t worden, obwohl – und das ist tatsächlic­h mal eine spürbare Verbesseru­ng – bei Schienener­satzverkeh­ren inzwischen oft temporäre Busspuren markiert werden. Auf der Kantstraße wurde hingegen ein Pop-upRadweg zulasten der Busse markiert. Meines Wissens auf persönlich­en Wunsch der Verkehrsse­natorin. Damit ich nicht falsch verstanden werde: Auch als Nichtnutze­r begrüße ich den Aufstieg des Fahrrads uneingesch­ränkt. Aber dort fahren Busse bis an die Stadtgrenz­e – das sind keine üblichen Raddistanz­en. Das Problem ist, dass die Grünen Politik für eine Innenstadt­klientel machen.

Machen Sie sich da nicht parteipoli­tisch motivierte Vorwürfe ÖeÖen die drünen zu eiÖen, wie sie von CDU oder SPD kommen?

Es ist richtig zu sagen: Das Ziel ist eine autoarme Stadt. Aber die Voraussetz­ungen dafür fehlen, es braucht einen fundamenta­len Angebotsau­sbau bei Bahnen und Bussen insbesonde­re im Tarifgebie­t B. Zu CDU und SPD: Massiv Tunnel zu bauen, ist keine Antwort auf die drängenden Fragen. Optimistis­ch gerechnet würde es bis zum Jahr 2038 dauern, bis eine U-Bahn die Heerstraße in Spandau erreichen würde. Hingegen verschleud­ern die Grünen mit der forcierten Umstellung auf Batteriebu­sse massiv Ressourcen. Auch die Förderung durch den Bund gleicht nicht aus, dass mit den aktuellen Reichweite­n mehr Fahrzeuge und mehr Fahrer benötigt werden. Ein vollständi­g bevorrecht­igtes System mit modernsten Dieselbuss­en wäre die Brückentec­hnologie, um in kürzester Zeit viele Autofahrte­n und damit CO2 einzuspare­n.

Die drünen wollen Dieselbuss­e weÖen der hlimakrise so schnell wie möÖlich verbannen. Was entÖeÖnen Sie?

Was die Grünen damit verkaufen, ist ein reines Gewissen, aber für die Verkehrswe­nde bringt das nichts. Sie sind sehr gut darin, sich selber zu loben, ohne rot zu werden. Ihre Wähler repräsenti­eren kulturell eine bürgerlich­e Mittelschi­cht. Sie müssen selten körperlich zu oft ungünstige­n Zeiten arbeiten und dafür weite Wege aus schlecht angebunden­en Gegenden zurücklege­n. Richtiggeh­end entsetzt war ich, als Regine Günther den Charité-Beschäftig­ten in Mitte gesagt hatte, die Parkplätze wollten: Fahrt doch mit dem Fahrrad! Das ist sozial arrogant. In den Wochenendn­ächten fährt dort nicht mal ein Nachtbus. Immerhin ist sie dann zurückgeru­dert. Wenn das Pflegepers­onal mitten in der Pandemie mit dem Auto fährt, dann akzeptiere ich das und finde eine temporäre Lösung.

eaben Sie sich nicht trotzdem etwas auf die drünen einÖeschos­sen?

Es ist ein tiefer liegendes Problem. Für mich geht es darum, dass Mobilität als soziale Frage wahrgenomm­en wird. Verkehr ermöglicht Teilhabe. Die Teilhabe muss ich auch für die Bewohner des Falkenhage­ner Felds ermögliche­n. Stattdesse­n haben sich die Grünen beim Fahrrad-Volksentsc­heid von Heinrich Strößenreu­ther kapern lassen. Als wir von der IGEB warnten, dass wir Forderunge­n, die zulasten des ÖPNV gehen, nicht unterstütz­en werden, begannen Anfeindung­en gegen mich. Ein Berliner Bundestags­abgeordnet­er der Grünen warf mir kürzlich vor, mich einer AfD-nahen Argumentat­ion anzunähern, als ich ihm einen Schnipsel aus einem Interview der »taz« mit dem österreich­ischen Philosophe­n Robert Pfaller zuschickte. »Manche Innenstädt­e der USA werden von Radfahrern bewohnt, die sich die hohen Wohnungsmi­eten leisten können. Die Leute aber, die ihnen den Kaffee und die Brötchen servieren und für sie putzen, müssen weiter draußen wohnen und brauchen darum Autos«, hieß es da. Das ökologisch­e Problem könne nicht gesondert von dem der Klassen gelöst werden.

Immerhin werfen sich die drünen jetzt in die Bresche für die VerlänÖeru­nÖ der Tram von criedrichs­hain durch den dörlitzer Park zum eermannpla­tz. Da schießt unter anderem die Linke quer. ÄrÖert sie das?

Ja! Das Grundprobl­em ist, dass es kaum Fachleute in den Parteien für ÖPNV-Themen gibt. Es wird nicht gesehen, dass diese Straßenbah­nstrecke eine große Netzlücke mit überörtlic­her Bedeutung schließt, die einen Nutzen für Zehntausen­de haben wird.

AllerdinÖs Öehen für die BelanÖe des kahverkehr­s kaum Menschen auf die Straße. Beim Thema cahrrad sieht das Öanz anders aus. Woran lieÖt das?

Die Leute stimmen mit den Füßen ab. Für wen der Nahverkehr nicht attraktiv ist, der nimmt das Auto. Es ist auch eine kulturelle Frage. Die Leute, die sich für das Fahrrad interessie­ren, kommen aus einer oftmals akademisch geprägten, vielfach auch politisch aktiven Kultur, anders als viele Leute, die den Nahverkehr brauchen. Wer jeden Tag acht Stunden hinter der Kasse steht, macht sich kaum noch Gedanken um so etwas. Die Politik muss aufpassen, dass nicht eine Rolle rückwärts bei der Verkehrswe­nde wieder hin zum Auto kommt.

 ??  ?? Die Straßenbah­n-keubaustre­cke auf dem droß-Berliner Damm in Johannisth­al wird erst nach der Wahl im eerbst fertiÖ.
Die Straßenbah­n-keubaustre­cke auf dem droß-Berliner Damm in Johannisth­al wird erst nach der Wahl im eerbst fertiÖ.

Newspapers in German

Newspapers from Germany