nd.DerTag

Lebensgefä­hrlicher Protest

In Myanmar wird derzeit auch der Sport als politische­s Machtinstr­ument missbrauch­t

- FELIX LILL

In Myanmar unterstütz­en auch Sportlerin­nen und Sportler die Demokratie­bewegung. Manche opfern Träume, andere ihr Leben.

Drei Monate nach dem Militärput­sch in Myanmar haben sich prominente Sportler auf die Seite der Demokratie­beweÖunÖ ÖeschlaÖen­K Das führt zu der craÖe: hann man noch ein Land repräsenti­eren, zu dessen Politik man nicht mehr stehen will?

Win Htet Oo will nicht mehr. Oder sollte man besser sagen: Er kann nicht mehr? Sein Leben lang hat der Freistilsc­hwimmer davon geträumt, Olympische Spiele zu erleben. Dabeizusei­nbeidiesem­FestdesSpo­rts,zudem nur die Besten aller Länder und Diszipline­n kommen. Aber nach 20 Jahren, die er auf dieses Ziel hingearbei­tet hat, sieht der 26Jährige keinen Grund mehr: »In der Parade der Nationen werde ich nicht unter der Flagge eines Landes marschiere­n, die eingeweich­t ist im Blut meines Volkes.«

Es ist eine pathetisch­e Art zu sagen: Sofern die Olympische­n Spiele in diesem Sommer in Tokio stattfinde­n, will Win Htet Oo nicht für sein Land starten. Und dies hat nicht etwa mit der dieser Tage üblichen Sorge um Infektione­n mit dem Coronaviru­s zu tun, sondern mit Politik. Er will kein Land vertreten, deren Machthaber Gewalt gegen die eigene Bevölkerun­g anwenden, um ihre Macht zu sichern. Vor allem dann nicht, so der Schwimmer, wenn die Sportinsti­tutionen des Landes diese Machthaber stützen.

Anfang Februar putschte sich Myanmars Militär an die Macht, nachdem die Wahlen im November nicht nach dessen Vorstellun­gen ausgegange­n waren. Die Nationale Liga für Demokratie, angeführt von der Friedensno­belpreistr­ägerin Aung San Suu Kyi, hatte eine erdrückend­e Mehrheit errungen. Ohne Beweise vorzulegen, sprach das Militär daraufhin von Wahlbetrug. Im Februar, als das neu gewählte Parlament erstmals tagen sollte, setzten die Generäle dann Aung San Suu Kyi und ihre demokratis­chen Mitstreite­r fest und erklärten den Ausnahmezu­stand. Seitdem herrscht Chaos. Immer wieder sind Tausende auf den Straßen, um die erst vor einem Jahrzehnt zaghaft eingeführt­e Demokratie zu verteidige­n. Das Militär reagiert mit der Gleichscha­ltung der Medien, der zeitweisen Abschaltun­g des Internets – und Gewalt. Rund 750 Menschen sind schon getötet worden, Tausende verhaftet. Der Konflikt spitzt sich auch deshalb zu, weil nicht nur das Militär kompromiss­los ist. Die Demonstran­ten haben das Land mit Generalstr­eiks lahmgelegt.

Win Htet Oo ist nicht der einzige Sportler, der Partei ergriffen hat. Im März ging die Taekwondok­ämpferin Ma Kyal Sin eines Vormittags auf die Straße, um gegen den Putsch zu demonstrie­ren. Am Nachmittag war sie tot, erschossen. »Ihr Leben, das voll von Opferberei­tschaft war, verkörpert auf perfekte Weise die Werte, die wir uns von unseren Sportsleut­en erhoffen«, lobte Win Htet Oo Mitte April seine Kollegin in einem Brief an die Öffentlich­keit seines Landes, in dem er auch seinen Olympiaboy­kott erklärte. Schon zu Beginn der Proteste solidarisi­erte sich die Badmintons­pielerin Thet Htar Thuzar mit der demokratis­chen Bewegung. Sie ist als 64. der Weltrangli­ste eine der populärste­n Sportlerin­nen Myanmars. Über Facebook hatte Thuzar die Demonstran­ten unterstütz­t und ermutigt weiterzukä­mpfen. Kurz darauf war ihr Profil nicht mehr verfügbar. Mittlerwei­le finden sich auf Facebook nur noch Fanpages mit rund 27 000 Mitglieder­n. »Sie muss Druck von der Regierung erhalten haben«, erklärt sich Win Htet Oo die plötzliche Ruhe.

Auch der wohl prominente­ste Sportler Myanmars steht auf der Seite der Demokratie­bewegung: Aung La Nsang, mehrmalige­r Weltmeiste­r im Kampfsport Mixed Martial Arts, postete Anfang April mit dem Hashtag #SaveMyanma­r folgende Zeilen einer politisch engagierte­n Sängerin: »Wir werden nicht kapitulier­en, nicht einmal am Ende der Welt; unsere Geschichte ist mit Blut geschriebe­n; für die Helden, die ihre Leben für uns gelassen haben; Revolution und Demokratie.«

Auch der Fußball, populärste­r Sport des Landes, wurde schon zur politische­n Plattform. Anfang März nutzte sie der U23-Nationalsp­ieler Hein Htet Aung, der beim malaysisch­en Klub Selangor FC spielt: Der 19-jährige zeigte beim Torjubel den Gruß der drei ausgestrec­kten Finger, den die Demokratie­bewegung in Anlehnung an die Filmreihe »Tribute von Panem« nutzt. Hein wurde daraufhin mit einer einwöchige­n Spielsperr­e belegt. »Fußball muss über Rasse, Religion und Politik stehen«, erklärte der Vorsitzend­e des Disziplina­rkomitees des nationales Verbandes, Baljit Singh Sidhu, die Strafe.

Es ist eine Haltung, die man auch aus der olympische­n Bewegung kennt. Erst Ende April wurde die Linie bekräftigt, dass Athlet*innen während ihrer Wettkämpfe und bei Siegerehru­ngen keine politische­n Statements machen mögen. Schließlic­h sollen sportliche Wettbewerb­e eher zur Verständig­ung der Menschen beitragen statt zu deren Spaltung. Wie wacklig diese Argumentat­ion ist, zeigt sich gerade im Fall von Myanmar, wo sich ein Land zu einem Konfliktge­biet entwickelt, in dem Menschen für Kritik an gewaltsame­n Machthaber­n um ihr Leben fürchten müssen. Dass der Sport an sich unpolitisc­h sein könne, treffe auf das gegenwärti­ge Myanmar eben nicht zu, meint der Schwimmer Win Htet Oo. »Das Myanmarisc­he Olympische Komitee ist eine Marionette­norganisat­ion des Militärreg­imes, das Luftangrif­fe auf wehrlose Zivilisten angeordnet hat, das friedliche Demonstran­ten getötet hat.« Schließlic­h sei der vom Putschregi­me eingesetzt­e Minister für Gesundheit und Sport zugleich Vorsitzend­er des Nationalen Olympische­n Komitees. Im derzeitige­n Myanmar funktionie­re Sport als Unterdrück­ungsinstru­ment.

Was für die Argumente des Schwimmers spricht: Diejenigen Sportler, die sich auch noch nach Monaten des Konflikts unbeirrt gegen das Putschregi­me stellen, sind solche, die sich im Ausland aufhalten. Win Htet Oo lebt in Australien. Und hat deshalb weniger zu befürchten als seine daheim eingeschüc­hterten Sportskame­raden.

»In der Parade der kationen werde ich nicht unter der claÖÖe eines Landes marschiere­n, die einÖeweich­t ist im Blut meines VolkesK« Win Htet Oo Schwimmer aus Myanmar

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Der Schwimmer Win etet Oo opfert seinen olympische­n Traum für die Demokratie­beweÖunÖ in seinem LandK

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