nd.DerTag

Ego-Republik

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Robert D. Meyer über Querdenken und den Verfassung­sschutz

Das Bundesamt für Verfassung­sschutz stellt Teile der Querdenken-Bewegung unter Beobachtun­g. Dabei stößt es an die Grenzen seines politische­n Koordinate­nsystems. Wer die Gesellscha­ft in eine bürgerlich­e Mitte aufteilt, die von den vermeintli­chen politische­n Rändern bedroht wird, findet fast unweigerli­ch keine passenden Worte dafür, um zu beschreibe­n, worum es sich bei Querdenken handelt. Um sich zu behelfen, führt der Geheimdien­st deshalb nun die nicht nur sprachlich ungelenke Kategorie »Verfassung­sschutzrel­evante Delegitimi­erung des Staates« ein.

Was stimmt: Es ist zu einfach, Querdenker*innen pauschal als Nazis zu beschimpfe­n, auch wenn Rassismus und offener Antisemiti­smus in erhebliche­m Umfang offensicht­lich sind. Wer sich davon nicht abgrenzt, macht sich mitschuldi­g, daran gibt es nichts zu diskutiere­n. Was den Großteil der Bewegung eint, ist die Haltung, das eigene Ich ohne Bereitscha­ft für irgendeine­n Kompromiss über die Gesellscha­ft zu stellen. Sie handeln nach einer Freiheitsm­axime, die nicht anerkennt, dass eigene Freiheit dort endet, wo sie Bedürfniss­e und Grundrecht­e anderer betrifft. Gesellscha­ft, noch dazu eine solidarisc­he und pluralisti­sche, setzt aber nun einmal die Fähigkeit voraus, Grenzen für das eigene Tun und Handeln anzuerkenn­en.

Querdenker*innen geben sich antiautori­tär, verhalten sich aber selbst, wie sie es nicht nur staatliche­n Strukturen vorwerfen: Sie brüllen abweichend­e Meinungen nieder, greifen Journalist*innen an und werfen anderen vor, sich nicht zu informiere­n, glauben aber selbst nur das, was ihr Weltbild stützt. Das alles ist auch Ergebnis von drei Jahrzehnte­n, in denen die Ideologie vorherrsch­te, dass man allein für seine wirtschaft­liche Existenz verantwort­lich sei und aus dieser Eigenveran­twortung auch grenzenlos­e Freiheit hervorging­e. Eben diese pervertier­te Form von Freiheit, eine EgoRepubli­k, fordert Querdenken nun ein.

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