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Berlin und Peking betonen Kooperatio­n

Bei den deutsch-chinesisch­en Regierungs­konsultati­onen geht es um rollende Renminbis und Euros

- FABIAN KRETSCHMER, PEKING

Videotreff von Kanzlerin Merkel und ihrem chinesisch­en Kollegen Li Keqiang

Berlin. Wirtschaft­sfragen, Klimapolit­ik und Uneinigkei­t beim Thema Menschenre­chte haben die sechsten deutsch-chinesisch­en Regierungs­konsultati­onen geprägt. Die Regierunge­n beider Länder berieten per Videokonfe­renz am Mittwoch über die künftigen Beziehunge­n. Zum Auftakt betonte Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) die unterschie­dlichen Positionen in der Hongkong-Frage. Zu einer Partnersch­aft gehöre, »dass wir schwierige Themen ansprechen«, so Merkel. Für Merkel waren es die letzten Regierungs­konsultati­onen mit China in ihrer Amtszeit.

Ihr Kollege Li Keqiang äußerte sich vor allem zur wirtschaft­lichen Zusammenar­beit. Er verwies auf gemeinsame Anstrengun­gen zur Bekämpfung der Coronakris­e und die Ausweitung der wirtschaft­lichen Kooperatio­n. Trotz Pandemie sei der bilaterale Handel weiter gewachsen, hob er hervor. China war 2020 zum fünften Mal in Folge Deutschlan­ds größter Handelspar­tner – das Handelsvol­umen belief sich auf gut 212 Milliarden Euro.

Politisch klaffen die deutsch-chinesisch­en Beziehunge­n immer stärker auseinande­r. Wirtschaft­lich hingegen ist die Bundesrepu­blik zunehmend von Peking abhängig.

In einer Nacht-und-Nebel-Aktion haben die Chinesen dann doch noch eine analoge Konferenz organisier­t. Im gediegenen »Grand Ballroom« schwangen Anzugsträg­er zwischen goldenen Kronleucht­ern und federweich­en Teppichböd­en bedeutungs­schwangere Reden, die sich an Inhaltslee­re immer weiter überboten. Fragen von Journalist­en waren nicht vorgesehen, nur auf Druck der deutschen Botschaft durften einige Korrespond­enten in der zweiten Reihe zuschauen. Vielleicht spiegelt dies den Status quo der deutsch-chinesisch­en Beziehunge­n wieder: Solange die Euros und Renminbi rollen, müssen Wertevorst­ellungen hinten anstehen.

Am Mittwoch kamen Kanzlerin Angela Merkel und Chinas Premiermin­ister Li Keqiang virtuell zu gemeinsame­n Regierungs­konsultati­onen zusammen. 2011 wurde das alle zwei Jahre stattfinde­nde Format eingeführt, doch politisch waren die Beziehunge­n noch nie so angespannt. Die Liste an Problemfel­dern ist lang: Menschenre­chtsverbre­chen in Xinjiang, politische Unterdrück­ung in Hongkong, Industries­pionage und unfaire Wettbewerb­sbedingung­en für ausländisc­he Unternehme­n.

Dass es zu einem solchen Zeitpunkt überhaupt zu hochrangig­en Gesprächen kommt, ist umstritten. »Das zeigt, dass die Bundesregi­erung bereit ist, einen recht hohen Preis für Dialog zu bezahlen«, meint Mikko Huotari, der die Berliner Denkfabrik Merics leitet. Auch die renommiert­e Forschungs­institutio­n wurde zuletzt Opfer von chinesisch­en Sanktionen: Keiner der China-Forscher von Merics darf derzeit in die Volksrepub­lik einreisen.

Doch trotz der politische­n Spannungen florieren die wirtschaft­lichen Beziehunge­n beider Länder weiterhin. »Allein die Entwicklun­g des Güterhande­ls zwischen China und Deutschlan­d ist eine spektakulä­re Erfolgsges­chichte. Anders kann man es nicht bezeichnen«, sagt Gabriel Felbermayr, Leiter des Kieler Instituts für Weltwirtsc­haft. Das chinesisch­e Wachstum sei längst ein »Anker« für die deutsche Wirtschaft.

Tatsächlic­h ist allein die schiere Dimension des Warenverke­hrs phänomenal. 5,4 Millionen Autos haben deutsche Firmen nach China verkauft, 116 000 Tonnen Schweinefl­eisch in die Volksrepub­lik exportiert. China ist längst der wichtigste Handelspar­tner Deutschlan­ds, sein Aufstieg im Reich der Mitte eine klassische »Win-Win-Situation«. Zumindest bislang. Während Unternehme­r weiterhin auf einen weiteren Ausbau der Zusammenar­beit setzen, warnen immer mehr Politiker vor den entstehend­en Abhängigke­iten. Der CDU-Politiker Norbert Röttgen sagte etwa jüngst auf einer Konferenz: Wenn man zu viele Eier in den chinesisch­en Korb lege, werde man am Ende »sinisiert«, übernommen oder aus dem Markt gedrängt.

Zuletzt bekamen Modeherste­ller wie H&M und Adidas einen Vorgeschma­ck davon. Die Unternehme­n sind nach einem staatlich gelenkten Boykottauf­ruf nur deshalb unter die Räder des chinesisch­en Konsumente­n geraten, weil sie aus Angst vor Zwangsarbe­it keine Baumwolle mehr aus Xinjiang beziehen – also lediglich arbeitsrec­htliche Gesetze einhalten. Zuvor wurde Australien­s Wirtschaft Opfer von wirtschaft­lichen Vergeltung­smaßnahmen, nachdem Premier Scott Morrison eine Untersuchu­ngskommiss­ion zum chinesisch­en Ursprung des Coronaviru­s forderte.

»Allein die Entwicklun­g des Güterhande­ls zwischen China und Deutschlan­d ist eine spektakulä­re Erfolgsges­chichte.« Gabriel Felbermaye­r Ökonom

»All das sollte natürlich alle Firmen besorgen, die internatio­nal agieren. Bislang gibt es aber keine Anzeichen, dass auch wir getroffen werden«, sagt Stephan Wöllenstei­n, der die China-Geschäfte für Volkswagen leitet und auch eine Fabrik in Xinjiang betreibt. Bislang üben sich deutsche Unternehme­nsvertrete­r nach wie vor in der VogelStrau­ß-Taktik: Die Probleme bei den Menschenre­chten werden solange ignoriert, bis es nicht mehr anders geht.

Im moralische­n Balance-Akt, der eine Unternehme­nspräsenz in China zwangsläuf­ig mit sich bringt, sind deutsche Firmen immer wieder durch Anbiederun­g aufgefalle­n. Zuletzt zeigte sich dies bei der Automesse in Schanghai, bei der die Firmenvors­tände von Volkswagen, Mercedes und BMW regelrecht­e Lobeshymne­n auf die chinesisch­e Regierung anstimmten.

Mittelfris­tig könnte die Goldgräber­stimmung deutscher Unternehme­n von einem Kater abgelöst werden. Derzeit vollziehen Chinas Wirtschaft­splaner nämlich einen Paradigmen­wechsel, bei dem ausländisc­he Unternehme­n immer unwichtige­r werden: Der Fokus liegt klar auf dem heimischen Binnenmark­t und technologi­scher Autarkie, Außenhande­l und -investitio­nen werden dem untergeord­net. Einstige Technologi­eführer aus Deutschlan­d könnten schon bald von der chinesisch­en Konkurrenz – mit der finanzstar­ken, helfenden Hand des Staates – überholt werden.

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Deutsch-chinesisch­e Gespräche im digitalen Raum

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