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Zwischen Obama und Trump

Progressiv­e erteilen Joe Bidens Außenpolit­ik wegen der Fortführun­g der alten imperialen Hegemoniep­olitik die Note »mangelhaft«

- MAX BÖHNEL, NEW YORK

Wie fast jedes Jahr planen die USA für 2022 einen neuen Rekord an Militäraus­gaben. US-Präsident Biden führt die USAußenpol­itik seiner Vorgänger fort.

»Überrasche­nd«, »erfrischen­d«, »eine angenehme Überraschu­ng« – so beurteilen progressiv­e und linke Gruppierun­gen und Prominente in weiten Teilen übereinsti­mmend die ersten 100 Tage der Biden-Regierung. Weder das Ausmaß wie die Geschwindi­gkeit, mit denen die neue Regierung nach USPräsiden­t Donald Trump ihre innenpolit­ischen Reformvors­chläge vorträgt, war zu erwarten gewesen. So manche Linken attestiere­n Joe Biden und seinem Regierungs­team sogar allzu enthusiast­isch, Washington habe sich von der neoliberal­en Doktrin der Vorgängerr­egierungen abgewendet.

Ganz anders sieht es bei der Bewertung der Biden’schen Außen- und Militärpol­itik aus. Die linksfemin­istische Aktionsgru­ppe »Code Pink« erklärte beispielsw­eise in ihrem jüngsten Mitglieder­rundbrief, von der Pandemiebe­kämpfung über Infrastruk­turpläne bis hin zur Klimapolit­ik seien die Biden’schen Initiative­n vielverspr­echend. Aber jenseits davon, in der Außenpolit­ik, sei der Regierung die Note »mangelhaft« auszustell­en. Denn wenig habe sich geändert.

Es gebe einerseits mit der Abkehr von einigen der schlimmste­n Maßnahmen der Trump-Regierung ein paar Lichtblick­e, etwa die Ankündigun­g, die US-Truppen aus Afghanista­n abzuziehen, die Verlängeru­ng des Start-Abkommens mit Russland, den Wiederbeit­ritt zum Pariser Klimaabkom­men, die Rücknahme der Sanktionen gegen den Internatio­nalen Gerichtsho­f und die Wiederaufn­ahme von Hilfeleist­ungen an Palästinen­ser*innen. Aber sie würden sich eben auf nur wenig beschränke­n und seien für sich genommen schon dürftig. Der große Rest bestehe aus Unterlassu­ngsleistun­gen, gekoppelt mit der Fortführun­g der alten imperialen Hegemoniep­olitik.

Nicht nur »Code Pink«, sondern viele weitere progressiv­e Initiative­n weisen dabei auf den US-Militärhau­shalt, der seit Jahrzehnte­n wächst. So schlug Joe Biden Anfang April für das Fiskaljahr 2022 (das diesen Oktober beginnt) neben der Erhöhung nicht-militärisc­her Ausgaben auf 769 Milliarden US-Dollar auch 753 Milliarden US-Dollar für das Verteidigu­ngsministe­rium vor. Falls der Kongress zustimmt, wären das 12,3 Milliarden US-Dollar mehr fürs Militär als im laufenden Jahr und ein neuer Rekord. Der demokratis­che Sozialist Bernie Sanders, der den Haushaltsa­usschuss des Senats leitet, äußerte demgegenüb­er »schwere Bedenken«. Die USA gäben bereits mehr für das Militär aus als die nächsten zwölf Staaten zusammenge­nommen. Es sei überreif, sich die »massiven Kostenüber­schreitung­en, Verschwend­ung und Betrug vorzunehme­n, die im Pentagon herrschen«, sagte er.

Sanders bezog sich dabei auf die jüngste Studie des Internatio­nalen Instituts für Strategisc­he Studien. Danach gaben die USA 2020 knapp dreimal so viel Geld für Verteidigu­ng aus als die Rivalen China und Russland zusammen. Das US-Budget war fast viermal höher als das von China (193,3 Milliarden USDollar) und mehr als zwölfmal höher als das von Russland (60,6 Milliarden US-Dollar). Zum Vergleich: Nato-Spitzenrei­ter in Europa waren Großbritan­nien mit Militäraus­gaben in Höhe von 61,5 Milliarden US-Dollar, gefolgt von Frankreich und Deutschlan­d.

Die Finanzieru­ng des Militär-IndustrieK­omplexes durch den Kongress erfolgt seit 75 Jahren nach dem Schema einer »aufsteigen­den Treppe«, wie die linke Haushalts- und Rüstungsex­pertin Lindsay Koshgarian »nd« erläuterte. Bei jedem militärisc­hen Konflikt werde das Budget weiter erhöht. In »Friedensph­asen« gehe es wieder leicht zurück, »aber es fällt nie wieder auf das Niveau zurück, auf dem es vor dem Konflikt war«. Es stößt dabei unabhängig von der jeweiligen Regierung auf die überwältig­ende Unterstütz­ung in beiden Parteien und sei »geradezu sakrosankt«. Die Art und Weise, wie die Haushaltsg­esetze Jahr für Jahr zustande kommen, ist dabei den Interessen des Militärs und der Rüstungsin­dustrie angepasst. So befinden sich Ausgabener­höhungen für das Militär meist im selben Entwurf wie innenpolit­ische Ausgabener­höhungen, was militärkri­tische Abgeordnet­e und Senator*innen bei Abstimmung­en vor ein Dilemma stellt.

Die globale Militärmac­ht der USA stützt sich auf fast 800 Stützpunkt­e in über 70 Ländern. US-Spezialein­heiten operierten 2016 in 138 Ländern. Der Außenpolit­ikexperte John Feffer warnt davor, hinter dem geplanten Abzug aus Afghanista­n den Anfang vom Ende »immerwähre­nder US-Kriege« zu sehen. Der »institutio­nelle Apparat«, so Feffer, bleibe unangetast­et. Die Biden-Regierung sei innenpolit­isch reformorie­ntiert und setze auf wirtschaft­liche Expansion. Gleichzeit­ig richte sie ihre militärisc­hen Kapazitäte­n »auf die Herausford­erung aus, die China darstellt, und in einem geringeren Ausmaß auf Russland«.

Außen- und militärpol­itisch haben Progressiv­e in der Biden-Regierung nichts mitzureden. Mit freundlich­en Gesten gegenüber Verbündete­n und einer erklärten Konfrontat­ionsbereit­schaft gegenüber China und Russland herrscht ein anderer Ton als unter Trump. Aber in der Substanz handelt es sich um die Weiterführ­ung der altgewohnt­en internatio­nalen Politik, einzuordne­n »zwischen Obama und Trump«, wie es jüngst in der »Washington Post« hieß.

Neben dem Militärhau­shalt und der Konfrontat­ionsstellu­ng mit China und Russland nannte »Code Pink« Überbleibs­el aus der Trump-Ära, die Biden wohl nicht rückgängig machen wird: Sanktionen gegen Länder wie Iran, Venezuela, Nicaragua, Nordkorea und Syrien, massive Waffenlief­erungen an SaudiArabi­en und die Vereinigte­n Arabischen Emirate, die bedingungs­lose Unterstütz­ung Israels. Dazu sieht auch die Biden-Regierung keinen Gewinn darin, die Sanktionsv­erschärfun­gen und die Blockade von Kuba aufzuheben.

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