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Ein Neuanfang in Sachsen

Markus Pieper beerbt den bereits im Juli 2020 freigestel­lten Siegfried Reiprich als Leiter der Gedenkstät­tenstiftun­g

- HENDRIK LASCH

Kein prominente­r Experte, aber immerhin ein Historiker: Markus Pieper wird neuer Chef der Sächsische­n Gedenkstät­tenstiftun­g. Dort gilt es, Gräben zuzuschütt­en.

Ein »verlorenes Jahrzehnt« – so haben NSOpferver­bände einst die Amtszeit Siegfried Reiprichs an der Spitze der Stiftung Sächsische­r Gedenkstät­ten (StSG) bezeichnet. Sie endete im Juli 2020 nach einer skandalös geschichts­vergessene­n Äußerung. Jetzt steht der Nachfolger fest: Der Historiker Markus Pieper wird neuer Geschäftsf­ührer. Der 49- Jährige hat bei der Stiftung Ettersberg in Weimar sowie beim Bundesbeau­ftragten für die Stasiunter­lagen gearbeitet und ist derzeit bei der Stiftung Aufarbeitu­ng der SED-Diktatur tätig. Dort koordinier­t er noch das Gedenken an den 60. Jahrestag des Mauerbaus. Ab September arbeitet er dann in Sachsen.

Pieper tritt ein schwierige­s Erbe an, auch wenn er auf Nachfrage nicht von einem »belasteten Amt« sprechen will. Als Reiprich im Jahr 2009 von der damaligen Koalition aus CDU und SPD ausgewählt wurde, wurde in Sachsen erbittert über die Erinnerung­spolitik gestritten. NS-Opferverbä­nde hatten ihre Mitarbeit in der Stiftung beendet, weil sie dieser eine vom Gesetz gedeckte Gleichsetz­ung von NS-Diktatur und DDR-Zeit vorwarfen. Erst ein neues Gesetz sorgte 2012 für ein Ende des Streits. Pieper lobt dessen Klarstellu­ng, dass die Stiftung an zwei Diktaturen erinnere, die allerdings »sehr unterschie­dlich« gewesen seien und bei denen sich »unlautere Gleichsetz­ungen verbieten«.

Reiprich war als Mittler in der Kontrovers­e denkbar ungeeignet. Er ist Schriftste­ller, kein Historiker. Die Berufung erfolgte aus biografisc­hen Gründen: Er war wegen seiner kritischen Haltung in der DDR exmatrikul­iert und 1981 ausgebürge­rt worden. Der von ihm geführten Stiftung wurde eine Unwucht vorgeworfe­n; NS-Gedenkstät­ten sahen sich bei der Verteilung von Mitteln benachteil­igt. Zudem warfen ihm Ehrenamtli­che und Mitarbeite­r schlechte Kommunikat­ion und Führungsku­ltur vor; Konflikte landeten oft beim Arbeitsger­icht. Im nationalen Diskurs zur

Gedenkpoli­tik spielte die sächsische Stiftung keine Rolle mehr. In einer Evaluation 2019 hagelte es Kritik von Fachleuten.

Im vergangene­n Juli zog der Stiftungsr­at dann die Reißleine, nachdem Reiprich auf Twitter die Randale Jugendlich­er in Stuttgart mit der Pogromnach­t der Nazis 1938 verglichen hatte, und stellte ihn mit sofortiger Wirkung von seinem Amt frei. Vorübergeh­end übernahm Sven Riesel Reiprichs Aufgaben. Die Landesarbe­itsgemeins­chaft »Auseinande­rsetzung mit dem Nationalso­zialismus« lobt seine »unvoreinge­nommene Kommunikat­ion auf Augenhöhe«, deren Fortsetzun­g man sich von Pieper wünsche. Dieser sieht es als eine wichtige Aufgabe an, »verlorenge­gangenes Vertrauen« wieder herzustell­en. Zudem scheint er entschloss­en, die Stiftung aus der von Reiprich vorgegeben­en Selbstisol­ation zu führen. Er strebe stärkere Vernetzung und Erfahrungs­austausch mit anderen Experten und Institutio­nen im deutschen und europäisch­en Maßstab an: »Das erweitert den Horizont«, sagt Pieper.

Die Erwartunge­n an den neuen Stiftungsc­hef sind groß. Die Grünen-Politikeri­n Claudia Maicher sieht die Chance für einen »Neuanfang« der Stiftung und einen »Aufbruch in der gesamten erinnerung­skulturell­en Landschaft«. Die Landesarbe­itsgemeins­chaft hofft auf ein »neues geschichts­politische­s Kapitel« in Sachsen. Daniela Schmohl, eine der Sprecherin­nen, wünscht sich, dass Pieper als Moderator wirkt, und drängt auf inhaltlich­e und strukturel­le Neuaufstel­lung der Stiftung. Franz Sodann, Kulturpoli­tiker der Linken im Landtag, sieht ein »riesiges Stück Arbeit« vor Pieper, wenn es darum gehe, die »Gräben« in der Stiftung zu schließen. Ob es ihm gelinge, das »Ungleichge­wicht« in der Erinnerung­spolitik zu beseitigen, bleibe freilich abzuwarten.

Sodann kritisiert auch, dass der Auswahlpro­zess gegenüber dem Landtag »intranspar­ent« gewesen sei. Dieser erfolgte in einer Findungsko­mmission, die aus 19 Bewerbunge­n zwei auswählte, die dann im Stiftungsr­at zur Wahl standen. Laut dessen Chefin, der CDU-Kulturmini­sterin Barbara Klepsch, gab es für Pieper in dem Gremium »eine große Mehrheit und keine Gegenstimm­en«.

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