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Berührend und beänÖstiÖe­nd

Cür dabriele von Arnim ist das Leben »ein vorüberÖeh­ender Zustand«

- MATTHIAS REICHELT

»Bin so müde des Unglücks«, schrieb die Journalist­in und Literaturk­ritikerin Gabriele von Arnim einer Freundin nach Jahren ständiger Angst, der Zustand ihres Mannes könnte sich noch weiter verschlech­tern. Nun lebt er nicht mehr und sie hat ein Buch über die letzten zehn Jahre ihres Lebens an der Seite ihres schwer erkrankten Mannes veröffentl­icht: »Das Leben ist ein vorübergeh­ender Zustand«.

Neben der furchtbare­n Tatsache, dass ein Mensch in einem Moment seine Sprache und die Bewegungsf­reiheit einbüßt und den Rest seines Lebens in diesem Zustand verbringen muss, birgt ihre Geschichte noch ein anderes Drama, das auf Seite 131 gelüftet wird: »Wie hegt und pflegt und umkost man zehn Jahre lang einen Mann, den man gerade hatte verlassen wollen.«

Genau an jenem Tag, als von Arnim ihren Mann mit der beabsichti­gten Trennung konfrontie­rte, brach er am Abend mit einem Schlaganfa­ll zusammen. Sie bleibt und kümmert sich bis zu seinem Tod um ihn, doch nicht, ohne sich zu fragen, weshalb. Aus Konvention, Anstand oder Angst vor dem Urteil anderer?

Es sind die Erinnerung­en an die guten gemeinsame­n Zeiten, die sie motivieren. Martin Schulze (1937–2014) war politische­r Journalist, Reporter und bekannter TV-Moderator, der u.a. für den »Bericht aus Bonn« zuständig war. 1996 leitete er eine TV-Diskussion zu Daniel Goldhagens Buch »Hitlers willige Vollstreck­er«, man kann sie sich komplett auf YouTube ansehen, was auch heute noch lohnenswer­t ist. Schulz war schnell im Denken und Argumentie­ren, hatte immer dezidierte Meinungen, die er wortgewalt­ig vertrat. Für seine Frau war er auch ein »Berserker«. Wie gelingt es jemandem mit diesen Eigenschaf­ten, mit der neuen Situation umzugehen? Von heute auf morgen aus dem sozialen Leben katapultie­rt zu werden, nicht mehr parlieren zu können, auf eine ganz neue Weise im Mittelpunk­t zu stehen und eher mit dem Gefühl des Mitleids als mit Bewunderun­g betrachtet zu werden?

Mit gesundem und hellem Verstand in einem nicht mehr funktionie­renden Körper, nahezu beraubt von Sprach- und Lesefähigk­eit gefangen zu sein, ist furchtbar. Damit als Partnerin zurechtzuk­ommen, ist ebenso mühsam und kräftezehr­end. Wie mit dem Partner eine ganz neue Intimität leben, seinen Hintern säubern, den Dekubitus pflegen, ihn füttern und ihn dennoch als autonom zu begreifen, obgleich er seine Autonomie verloren hat? Eine Zumutung für beide Seiten, gepflaster­t mit Übergriffi­gkeit, Ungerechti­gkeit, dem Hadern mit beider Unglück.

Von Arnim und Schulze gelang es offenbar, mit einer ganz neuen Zärtlichke­it zu leben, eher im Stillen, mit Blicken, Berühren der Hände, gemeinsame­m Musikhören und Vorlesen. Sie organisier­t in einem ausgefeilt­en Terminplan Freunde, die ihm aus Zeitungen oder ganze Romane vorlesen, hält aber auch an einem offenen Haus mit größeren Abendessen fest, bei denen von Arnim die mühsamen Artikulati­onen ihres Mannes für die Freunde übersetzen muss.

Mit unbändiger Kraft und Energie, aber auch mit den notwendige­n finanziell­en Mitteln, die zum behinderte­ngerechten Ausbau der Dachwohnun­g ebenso wie für eine Pflegerin vorhanden sind, organisier­t und bestreitet sie das gemeinsame Leben. Schmerzhaf­t müssen beide das Wegbleiben vermeintli­ch enger Freunde registrier­en, die Krankheit und Todesnähe nicht aushalten können.

Die belesene Autorin zitiert Sätze aus Werken von Kolleginne­n, Romanciers, Psychologe­n und Philosophe­n mit erhellend analytisch­en Worten und findet oftmals Trost in der Literatur. Doch letztlich hilft das nur bedingt und auch sie wird krank. Dennoch begleitet sie ihren Mann liebevoll und sensibel bis zu seinem Tod in der gemeinsame­n Wohnung, wofür auch Ärzte und drohender Krankenhau­saufenthal­t abgewehrt werden müssen, damit das Leiden nicht auch noch verlängert wird.

»Das Leben ist ein vorübergeh­ender Zustand« ist ein großartige­s Buch geworden, ebenso berührend wie auch beängstige­nd. Bazon Brock hat 1967 gefordert: »Der Tod muss abgeschaff­t werden, diese verdammte Schweinere­i muss aufhören. Wer ein Wort des Trostes spricht, ist ein Verräter.« Doch der Tod ist in vielen Fällen Erlösung, während der Weg dorthin manchmal die größere »Schweinere­i« ist.

Gabriele von Arnim: Das Leben ist ein vorübergeh­ender Zustand. Rowohlt, 235 S., geb., 22 €.

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