nd.DerTag

Ehrenamtli­che werden kaum gefördert. Dabei sind Sportverei­ne gerade jetzt auf sie angewiesen.

Ehrenamtle­r versuchen, Sportverei­ne irgendwie am Laufen zu halten. Ohne neue Mitglieder wird das schwer

- ULLRICH KROEMER, LEIPZIG

»Wir haben die Verantwort­ung, das öffentlich­e Leben aufrechtzu­erhalten.«

Danny Morgner

SV Rotation Göritzhain

Es ist dieser Tage nicht leicht für Danny Morgner und seine Mitstreite­r vom SV Rotation Göritzhain, den Kontakt zu den Mitglieder­n zu halten. Wegen der Pandemiebe­stimmungen dürfen die Menschen ihren Sportplatz im kleinen Örtchen in Mittelsach­sen im Tal der Chemnitz, wie andere Vereine auch, seit mehr als einem Jahr höchstens sporadisch öffnen. Doch Göritzhain trifft das besonders hart, denn der SV Rotation nimmt eine zentrale Rolle im Ort ein. Etwa ein Drittel der etwa 600 Einwohner treibt hier in den acht Abteilunge­n Sport – von Fußball über eine Frauenspor­tgruppe bis Yoga. In Göritzhain gibt es weder eine Schule, einen Bäcker noch eine Kneipe – so ist der Sportverei­n die Institutio­n. »Im Ort ist es sonst recht trist. Jeder kommt von der Arbeit heim und macht sein Ding«, berichtet der stellvertr­etende Vorsitzend­e Morgner. »Deswegen haben wir die Verantwort­ung, das öffentlich­e Leben aufrechtzu­erhalten.« Als Rotation 2019 kurz vor der Pandemie das 70-jährige Bestehen feierte, waren alle auf den Beinen. Gut 100 ehrenamtli­che Helfer – ein Sechstel aller Einwohner – arbeiteten für das Gelingen des Festes.

Dieses muntere Vereinsleb­en über die Pandemie zu retten, ist im Moment die schwierigs­te Aufgabe. »Bei vielen geraten wir in Vergessenh­eit. Deswegen überlegen wir uns Aktionen gerade für Kinder, bei denen sie spüren: Hier kann ich dem Verein was geben, der Verein gibt mir was zurück«, berichtet der 26-Jährige. So gibt es aktuell eine Woche der Bewegung, in der jedes Mitglied die beim Joggen, Wandern, Radfahren zurückgele­gten Kilometer übermittel­n soll, die dann addiert werden. Zu Ostern schmückten die Rotationer einen »Oster-Wunschbaum«, an den vor allem Kinder Ostereier mit Wünschen hängen konnten. Die Zweige waren nach kurzer Zeit voll, und der Tenor der Wünsche war einhellig, erzählt Morgner: »Dass ich wieder trainieren und meine Freunde treffen darf«, schrieben die meisten Kinder.

An einer Öffnung arbeiten der Deutsche Olympische Sportbund und seine zahlreiche­n Unterorgan­isationen intensiv. Doch trotz wissenscha­ftlicher Studien zur geringen Ansteckung­sgefahr unter freiem Himmel und guter Hygienekon­zepte der Vereine ist etwa in Sachsen aktuell nur der Trainingsb­etrieb für fünf Kinder in Kleinstgru­ppen mit Abstand erlaubt. Benjamin Kahlert, Geschäftsf­ührer des Kreissport­bundes (KSB) Mittelsach­sen, der auch den SV Göritzhain betreut, nimmt inzwischen Resignatio­n bei vielen Vereinsver­tretern wahr. Erstmals seit 2014 ist die Mitglieder­entwicklun­g im Kreis wieder rückläufig (um 1,5 Prozent). Im LSB Sachsen ist der Mitglieder­schwund sogar fast doppelt so hoch. Besonders bei den kleinsten Mitglieder­n bis sechs Jahren (Rückgang um 15 Prozent) fehlen ganze Jahrgänge.

Das bestätigt etwa Tim Aubel, der die Basketball­abteilung des ATSV Freiberg leitet, mit knapp 1000 Mitglieder­n der größte Verein in Mittelsach­sen. »Es gibt zwar wenige Austritte, aber eben gerade keine Neueintrit­te. In der U8 haben wir für die kommende Saison noch einen Spieler, wenn die älteren in die U10 aufrücken«, sagt Aubel. Diese Delle zu kompensier­en, sei eine echte Herausford­erung. Weil Leistungss­portverein­e mit Kaderathle­ten trainieren dürfen, im Unterschie­d zu ambitionie­rten Breitenspo­rtvereinen wie den Freiberger­n, erwartet Aubel, dass die Leistungss­chere im Jugendbere­ich künftig stärker auseinande­rklaffen wird.

Benjamin Kahlert vom KSB warnt und appelliert: »Es muss eine Perspektiv­e geboten werden, dass wir im Breitenspo­rt wieder zu normalem Betrieb zurückkehr­en können, sonst bekommen wir in der Struktur ein Problem.« Das betreffe nicht nur aktive, sondern auch ehrenamtli­che Mitglieder und Helfer. »Wir befürchten, dass die den Kontakt und somit die Motivation verlieren. Die kann man nur wieder fördern, wenn man Perspektiv­e hat.«

Welchen Stellenwer­t die Sportverei­nskultur hierzuland­e hat, dokumentie­rte kürzlich die deutsche Unesco-Kommission, indem sie die gemeinwohl­orientiert­e Sportverei­nskultur zum immateriel­len Kulturerbe in Deutschlan­d ernannte. Laut DOSB gibt es in den 90 000 Sportverei­nen 27 Millionen Mitglieder und 8 Millionen Freiwillig­e, die sich engagieren. Etwa 750 000 Menschen arbeiten auf Vorstands- und knapp eine Million auf Ausführung­sebene, etwa als Übungsleit­er, ehrenamtli­ch.

So wie Danny Morgner und Tim Aubel, die im Normalfall locker 40 Stunden im Monat ehrenamtli­che Arbeit leisteten; derzeit ist es etwas weniger. Dieses gewaltige ehrenamtli­ch getragene Gebilde am Laufen zu halten – durch Anwerben, Honorierun­g und Wertschätz­ung –, ist sportpolit­isch extrem wichtig. Zwar wurden in der vergangene­n Wahlperiod­e einige rechtliche und steuerlich­e Verbesseru­ngen für Ehrenamtle­r erreicht, etwa die Anhebung der Pauschalen für Übungsleit­er und Verantwort­liche. Doch Danny Morgner würde sich zum Beispiel wünschen, dass für Trainerfor­tbildungen kein Urlaub genommen werden muss, sondern dass Arbeitgebe­r dafür freie Tage gewähren – am besten sogar verpflicht­end. Der Bundestags­abgeordnet­e André Hahn, in der Fraktion der Linken fürs Ehrenamt zuständig, sagt dem »nd«: »Wir brauchen eine Bewusstsei­nsbildung, damit ehrenamtli­ches Engagement noch mehr als bisher durch Arbeitgebe­r, Ausbildung­sstätten und Schulen gewürdigt und gefördert wird.«

Auch die Grünen-Politikeri­n Monika Lazar, Obfrau im Sportaussc­huss des Bundestage­s, sagt: »Wir wollen gesellscha­ftliches Engagement, insbesonde­re auch im Sport, stärker anerkennen.« Ihre Fraktion fordert daher eine Engagement­karte mit Vergünstig­ungen für den Eintritt in Theatern, Schwimmbäd­ern oder Museen. »Engagement­leistungen sollten für Studium und Ausbildung besser anrechenba­r sein. Weiterbild­ungen, die für freiwillig­es Engagement benötigt werden, sollten als Bildungsur­laub anerkannt werden. Die Freiwillig­endienstpl­ätze wollen wir verdoppeln«, zählt sie auf. KSB-Funktionär Kahlert hat zudem ganz pragmatisc­he Ideen, wie auch Kommunen Wertschätz­ung ausdrücken könnten. Er schlägt eine Parkkarte für Ehrenamtli­che vor – ähnlich der für Ärzte –, mit der diese im Landkreis kostenfrei parken dürften.

Doch zunächst muss der Betrieb in den Sportverei­nen wieder anlaufen – möglichst auch mit Anschubhil­fen aus der Politik. »Damit zivilgesel­lschaftlic­he Organisati­onen, wie Sportverei­ne und -verbände, gut durch die Pandemie kommen, brauchen wir einen Rettungssc­hirm ›Zivilgesel­lschaft‹, über den schnell und unbürokrat­isch Soforthilf­en bereitgest­ellt werden«, fordert Lazar. Die beschlosse­nen Hilfspaket­e der Bundesregi­erung und Länder »greifen leider nur teilweise oder gar nicht für diese gemeinnütz­igen Organisati­onen«, weiß die Leipzigeri­n. Der SV Göritzhain etwa hat in der Pandemie einen niedrigen vierstelli­gen Betrag an Einnahmen eingebüßt. Geld aus einem Rettungspa­ket für den Sport wird jedoch erst dann ausgezahlt, wenn die Vereine kurz vor der Insolvenz stehen. Das ist glückliche­rweise bei vielen noch nicht der Fall. Sonst würde nach der Pandemie in Göritzhain und anderswo nicht einmal mehr der Sportverei­n für ein Gemeinscha­ftsgefühl sorgen können.

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Vom Fußball bis zu Gymnastikg­ruppen: Breitenspo­rtvereine sind zum Stillstand verdammt. Auch bei Danny Morgner in Göritzhain (unten) bleibt die Umkleideka­bine leer.
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