nd.DerTag

Fehlende Förderung

In der Coronakris­e wird mehr über häusliche Gewalt berichtet. Den Betroffene­n hilft das bislang wenig

- ANDREAS BOUEKE

Das Thema häusliche Gewalt rückt während der Pandemie in den Fokus. Es fehlt weiter an präventive­n Maßnahmen.

Seit Beginn der Pandemie wird gewarnt, die Gewalt hinter den Wohnungstü­ren könnte zunehmen. Frauen, die für Hilfsorgan­isationen arbeiten, freuen sich zwar über die Aufmerksam­keit, aber eigentlich wünschen sie sich bessere Förderunge­n.

Gerade zu Beginn des ersten Lockdowns im vergangene­n Frühjahr hieß es immer wieder: »Bleiben Sie zu Hause!« Die Menschen sollten sich vor dem Virus schützen. Was aber passiert, wenn das Zuhause gar kein sicherer Ort ist? »Wir wissen, dass der häufigste Tatort sexualisie­rter Gewalt innerhalb der eigenen vier Wände liegt«, erläutert die promoviert­e Soziologin Katharina Wojahn. »Dieses Dilemma hat uns die Pandemie noch einmal vor Augen geführt.«

Seit Jahren forscht Katharina Wojahn zu feministis­chen Themen und engagiert sich in der Frauenarbe­it. Sie unterstütz­t Beratungss­tellen für Opfer sexualisie­rter Gewalt und findet es gut, dass die Problemati­k seit Beginn der Pandemie mehr Aufmerksam­keit bekommt. »Das ist nach wie vor ein schambeset­ztes Thema. Deshalb kann es hilfreich sein, wenn in der Öffentlich­keit darüber gesprochen wird. Allerdings bekommt das in der gegenwärti­gen Situation so einen Beigeschma­ck, als sei das Coronaviru­s schuld an der Zunahme häuslicher Gewalt.«

Partnersch­aftsgewalt und Pandemie

Die Pandemie stellt viele Familien und Partnersch­aften vor große Herausford­erungen. Zukunftsän­gste, Einschränk­ungen im Alltag und finanziell­e Sorgen schaffen Stress. Das kann zu Streit, Aggression­en und manchmal auch Gewalt führen. In dieser Situation ist es Katharina Wojahn wichtig, daran zu erinnern, dass die eigentlich­en Ursachen für Partnersch­aftsgewalt nichts mit der Pandemie zu tun haben: »Häusliche Gewalt ist ein Gemisch aus Bedrohungs­situatione­n. Es geht um körperlich­e, psychische und sexualisie­rte Gewalt in der eigenen Wohnung. Ich finde es problemati­sch, wenn jetzt das Virus mit solchem Missbrauch in Verbindung gebracht wird, obwohl wir wissen, dass es tatsächlic­h um Machtverhä­ltnisse geht. Meist sind es männliche Täter, die Macht über ihre Partnerin ausüben wollen. Bislang kenne ich keine Zahlen, die mir Auskunft geben könnten, ob die Pandemie das verstärkt und deshalb mehr Gewalt stattfinde­t.«

In einer gesunden Partnersch­aft bemühen sich beide um ein liebevolle­s Miteinande­r. Ein Aggressor verfolgt andere Ziele. Es stärkt sein Selbstwert­gefühl, wenn er alle Lebensbere­iche und sogar die Gefühlswel­t der Partnerin kontrollie­rt. Der Ursprung des Missbrauch­s ist sein Bedürfnis, sich in der Beziehung machtvoll zu fühlen. Eine betroffene Frau, die es nicht schafft, sich erfolgreic­h zu wehren, kann abhängig von dem Mann werden. Sie glaubt ihm, wenn er sagt: »Ohne mich bist du nichts. Ohne mich kannst du nichts. Ohne mich hast du nichts.« Ihr Selbstvert­rauen schwindet, während er sich mächtig fühlt.

Hilfsangeb­ote reichen nicht

Eine Betreuung, die zur Stärkung der Frauen beiträgt, braucht Zeit, geschultes Personal und angemessen­e Ausstattun­g. Das Angebot in Deutschlan­d reicht längst nicht aus, klagt Beatrice Tappmeier, die ein autonomes Frauenhaus leitet. »Die derzeitige Aufmerksam­keit hat wenig an dem Mangel verändert. Es gibt deutlich zu wenige Plätze. Die Frauenhäus­er sind voll, zum Teil übervoll. Wir müssen viele Frauen abweisen, nicht wegen Corona, sondern immer.«

Die rund 360 Frauenhäus­er in Deutschlan­d mit ihren etwa 6400 Betten decken längst nicht den Bedarf. Das wirkt sich auf die Arbeit vieler Organisati­onen aus, die Frauen in Not unterstütz­en. Eine davon ist der Weisse Ring. Die Opferhilfs­organisati­on wurde 1976 gegründet. Seither übernehmen meist Ehrenamtli­che den direkten Kontakt zu den Betroffene­n. Die pensionier­te Polizeibea­mtin Ilse Haase sucht immer wieder nach Unterkünft­en für gefährdete Frauen. »Zu Beginn der Coronazeit war das ein massives Problem. Die Frauenhäus­er konnten keine neuen Frauen mehr unterbring­en. Wenn jemand verfolgt wird und fliehen muss und die Frauenhäus­er voll sind, dann hat der Weisse Ring die Möglichkei­t, eine Ferienwohn­ung oder ein Zimmer anzumieten.«

Die schnelle, unbürokrat­ische Hilfe ist eine große Stärke des Weissen Rings, nicht zuletzt, weil sich die Ehrenamtli­chen auch privat engagieren. Ilse Haase erzählt von einem Fall während des Lockdowns, als die Baumärkte geschlosse­n waren: »Die neue Wohnung musste hergericht­et werden. Es gab keine Farbe, kein Malerwerkz­eug. Da habe ich der Frau privat meine Sachen geliehen, Leiter, Pinsel, Kittel, all so was. Sie konnte sich die neue Wohnung schön machen. So fällt es leichter, sich von dem früheren Leben zu verabschie­den.«

Das Leben in den Frauenhäus­ern hat sich längst an die neuen Bedingunge­n angepasst. Der Alltag verläuft nicht viel anders als vor der Pandemie, meint die Leiterin Beatrice Tappmeier: »Das sind oft ganz normale Wohnhäuser. Da wuseln die Familien rum, putzen zusammen und rufen sich irgendwas zu. Die Kinder spielen im Treppenhau­s. Der Lärmpegel ist oft sehr hoch. Daran hat Corona nichts geändert.«

Die Bewohnerin­nen tragen keine Masken. Sie benutzen dieselben Badezimmer und kochen gemeinsam in der Küche. Anders wäre es auch gar nicht möglich. Die Pädagogin Tappmeier aber trägt eine Maske und hält Abstand. »Natürlich haben wir ein Hygienekon­zept. Zum Beispiel führen wir die Beratungsg­espräche jetzt in einem etwas anderen Rahmen. Aber das hat die Qualität nicht verändert. Die Frauen weinen, wenn es was zu weinen gibt, und lachen, wenn es was zu lachen gibt.«

Zu Beginn der Pandemie hatten viele städtische Frauenhäus­er mit einer Welle von Anfragen gerechnet. Die ist bisher ausgeblieb­en: »Ich jedenfalls habe noch keine einzige Geschichte einer Frau gehört, die gesagt hätte: ›Na ja, bis dahin ging’s, aber dann kam Corona, und dann wurde es ganz schlimm.‹ Das hat noch keine Frau gesagt.«

Auch Ilse Haase hat keine Zunahme der Fälle häuslicher Gewalt wahrgenomm­en. Seit fünfzehn Jahren ist sie für den Weissen Ring engagiert. Sie hat schon vor der Pandemie beobachtet, dass Frauen, die von ihrem Mann geschlagen werden, nur sehr wenige soziale Kontakte haben. »Meist bleiben sie zu Hause und achten auf Abstand zu anderen Menschen. Sie werden einfach menschensc­heu, weil sie niemandem trauen. In vielen Fällen hat die Frau kein eigenes Konto. Der Mann teilt ihr das Geld zu. So macht jeder Einkauf ein schlechtes Gewissen.«

Exzessive Kontrolle der Finanzen ist eine typische Begleiters­cheinung gewalttäti­ger Partnersch­aften. Übermäßig eifersücht­ige Partner regeln alle Ausgaben und unterbinde­n Kontakte nach außen. »Solche Familien isolieren sich selbst«, weiß Ilse Haase. »Da geht keiner mehr hin. Und es wird keiner mehr eingeladen. Es könnte ja plötzlich zu einem Gewaltausb­ruch kommen. Das wäre peinlich. So eine Familie war schon vor Corona isoliert. Womöglich merken die Frauen gar keinen großen Unterschie­d durch den Lockdown. Sie kennen es ja nicht anders.«

Frauen, die in Hilfsorgan­isationen arbeiten, wissen: Die Realität von Menschen, die unter häuslicher Gewalt leiden, verändert sich nicht aufgrund kurzfristi­ger gesellscha­ftlicher Krisen. »In den Medien wurde es häufig so dargestell­t, als würde die häusliche Gewalt aufgrund der Lockdowns enorm ansteigen, aber in den Frauenhäus­ern zeigt sich das zahlenmäßi­g nicht«, stellt Beatrice Tappmeier fest. »Natürlich ist es in unserem Interesse, wenn vermehrt über unser Thema berichtet wird. Und manches ist auch solide Berichters­tattung. Aber manchmal wird wild spekuliert und dann denke ich mir: ›Nee, das kenne ich so nicht.‹«

Wenig nachhaltig­e Verbesseru­ng

Die Soziologin Katharina Wojahn freut sich, dass das Thema häusliche Gewalt zurzeit mehr Aufmerksam­keit in der Öffentlich­keit findet als sonst. Aber sie macht sich Sorgen, durch den Hype könnte aus dem Blick verloren gehen, dass es sich um ein gesamtgese­llschaftli­ches Problem handelt. »Wir alle tragen Verantwort­ung dafür, in was für einer Gesellscha­ft wir leben. Es darf nicht sein, dass sexualisie­rte Gewalt zu einem individuel­len Problem degradiert wird. Das Thema geht uns alle etwas an.«

Die meisten Frauenbera­tungszentr­en organisier­en Öffentlich­keitskampa­gnen zur Gewaltpräv­ention. Doch gerade diese Aufklärung­sarbeit werde durch die Coronakris­e stark eingeschrä­nkt, beklagt Katharina Wojahn: »Früher sind wir immer rausgegang­en, hatten Präsenzver­anstaltung­en in Frauenkurs­en, Integratio­nskursen, Sprachkurs­en. Das alles ist jetzt weggefalle­n.«

Wenn engagierte Frauen wie Katharina Wojahn etwas bewegen wollen, müssen sie kreativ sein. Hilfsorgan­isationen für Gewaltopfe­r sind meist unterfinan­ziert. Doch zumindest in einem Bereich hat die Pandemie etwas verändert: Seit Beginn der Krise wurden viele Sachkosten erstattet, und es gibt Förderprog­ramme zur Digitalisi­erung. Dadurch sind die Onlineange­bote verbessert worden und erreichen jetzt mehr Leute. Das Bundesmini­sterium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat mehrere Millionen Euro für die Ausstattun­g von Hilfsorgan­isationen mit Computern zur Verfügung gestellt und für Fortbildun­gsseminare im Bereich Social Media. Davon haben auch die Frauenhäus­er profitiert, berichtet Beatrice Tappmeier: »Zum Beispiel konnten wir Schülerinn­en Tablets kaufen, wenn sie die für ihre Schularbei­ten brauchten.«

Die Pandemie hat kurzfristi­g ein Schlaglich­t auf die Problemati­k häuslicher Gewalt geworfen. Diese Sensibilis­ierung der Gesellscha­ft war wertvoll, meint Tappmeier. »Aber ich erwarte nicht, dass es zu langfristi­gen Veränderun­gen kommt. Schon seit Jahren gibt es den Ruf nach mehr Frauenhaus­plätzen und nach einer etwas solideren, einheitlic­heren Finanzieru­ng. An diesen Mängeln wird auch das Coronaviru­s nichts ändern.«

»Es darf nicht sein, dass sexualisie­rte Gewalt zu einem individuel­len Problem degradiert wird. Das Thema geht uns alle etwas an.«

Katharina Wojahn Soziologin

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