Linke Rauchzeichen
Trotz Corona-Pandemie forderten in zahlreichen Städten Demonstranten Umverteilung und Solidarität
Berlin. Der diesjährige 1. Mai war geprägt von der anhaltenden Corona-Pandemie und der Forderung nach Solidarität. »Wir lassen nicht zu, dass Arbeitgeber die Pandemie als Vorwand für Jobabbau, Betriebsverlagerungen und Lohn-Dumping missbrauchen«, sagte der Chef des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Reiner Hoffmann, am Samstag anlässlich der zentralen MaiKundgebung in Hamburg. Corona dürfe auch keine Ausrede für fehlendes Geld beim Umbau zu einer digitalen und klimaneutralen Wirtschaft sein. Zukunftsgestaltung bedeute eben nicht, eisern zu sparen, sondern zu investieren.
Wegen der Corona-Beschränkungen hatte der DGB unter dem Motto »Solidarität ist Zukunft« wie im Vorjahr meist zu kleineren Veranstaltungen aufgerufen, etwa in Stuttgart. Im Internet gab es dazu ein Programm mit Reden, Diskussionen und Musik.
In mehreren Städten hatten unter Berücksichtigung der Corona-Regeln linke und linksradikale Gruppen zu Demonstrationen aufgerufen. Das bestimmende Thema war hier gesellschaftliche Umverteilung. Bei Protesten unter anderem in Frankfurt am Main, Hamburg und München kam es zu Auseinandersetzungen mit Polizisten, die Veranstalter beklagten Polizeigewalt. Extrem rechte
Gruppen und Parteien versuchten, sich trotz zahlreicher Verbotsverfügen unter anderem in Erfurt, Chemnitz und Plauen zu sammeln. Rund 1000 Anhänger der Querdenken-Bewegung demonstrierten in Weimar.
In Berlin zog derweil tagsüber ein mehrere Kilometer langer Fahrradkorso Interesse auf sich. Über 10 000 Menschen nahmen eine Sternfahrt zum Anlass, um vom Fahrradsattel aus für soziale Umverteilung und die Möglichkeit der Enteignung profitorientierter großer Wohnungskonzerne zu demonstrieren. Aufgerufen hatte ein breites mieten- und sozialpolitisches Bündnis. Hauptziel des Fahrradkorsos war der für seine Villen bekannte Ortsteil Grunewald im Westen der Stadt, im Anschluss ging es zurück über die Autobahn Richtung Neuköllner Hermannplatz, dem Startpunkt der »Revolutionären 1.-Mai-Demonstration«, die in diesem Jahr von einem migrantischen internationalistischen Block angeführt wurde. Zum Teil für Empörung sorgte von Anfang an, dass die Veranstalter israelfeindliche Parolen in ihrem Frontblock nicht unterbanden.
Die einzelnen Blöcke des rund 20 000 Teilnehmer zählenden Demonstrationszuges wurden kurz nach Beginn von der Polizei getrennt, bald darauf eskalierte die Situation.
Regierungskrise, Repression und eine erschöpfte soziale Bewegung prägten den 1. Mai in Chile. Linke Organisationen hoffen derweil auf die kommenden Wahlen, um Reformen voranzubringen.
»Piñera soll abtreten«, rufen die Menschen in Chile auf den Straßen. Sie gingen in der vergangenen Wochen mit einem Topf vor ihr Haus oder schlugen mit Steinen auf Metall. Die Unzufriedenheit gegenüber einer unzureichenden Sozialpolitik der Regierung kündigte in Chile den 1. Mai an.
Es war die positive Nachricht am 1. Mai: Barbara Figueroa, Präsidentin des Gewerkschaftsdachverbandes CUT, verkündete, dass die Einrichtung eines universellen Grundeinkommens für etwa 80 Prozent der chilenischen Bevölkerung in Sichtweite sei. Dies war der Höhepunkt bei ihrer Rede am 1. Mai, die die Folgen der wirtschaftlichen Krise im Zuge des Coronavirus als Hauptthema hatte. Bislang sei »die Krise von den Arbeiterinnen und Arbeitern bezahlt« worden. Die Einigung auf ein Grundkommen im Senat gegen den widerwilligen rechten Präsidenten Sebastián Piñera war nicht zuletzt dem Druck der Straße geschuldet.
Die letzte Aprilwoche war geprägt von Demonstrationen und Streiks in den Betrieben. Am Freitag fand ein eher symbolischer Generalstreik statt, der laut der Zentralgewerkschaft CUT der Auftakt zum 1. Mai war. Am Samstag selber gab es nur kleine Proteste.
Chiles Regierung verliert zunehmend an Unterstützung. Sie musste in der vergangenen Woche herbe Niederlagen einstecken.
Ein Grund dafür war, dass das Verfassungsgericht am vergangenen Dienstag eine Beschwerde von Piñera gegen eine dritte Rentenabhebung aus der individualisierten Rentenkasse abwies. Eine große Mehrheit des Parlaments verabschiedete Mitte April ein Gesetz, das erlaubt, dass alle Menschen bis zu zehn Prozent ihres Guthabens auf dem Rentenkonto abheben durften. Diese Art der Sozialpolitik war im vergangenen Jahr die effektivste Art und Weise, damit ein Großteil der Bevölkerung die derzeitige Wirtschaftskrise überstehen konnte.
Chiles Präsident kann mit effektiver Sozialpolitik wenig anfangen. Piñera hatte sich entgegen der Empfehlungen eigener Parteikolleg*innen den Abhebungen entgegengestellt. Der Entscheid des Verfassungsgerichts kam überraschend und bewies die politische Einsamkeit des Präsidenten.
Der Konflikt wurde von den seit Jahresbeginn größten Mobilisierungen der Arbeiter*innen begleitet. Vor dem Entscheid des Verfassungsgerichts legten die Hafenarbeiter*innen für zwei Tage alle chilenischen Häfen still und für den Freitag den 30. April wurde für einen Generalstreik mobilisiert. Der fiel nach der endgültigen Annahme der Rentenabhebung deutlich schwächer aus als erwartet. Am Morgen gab vereinzelt Barrikaden und Demonstrationen des Gesundheitspersonals. Chile hat seit Wochen aufgrund der Corona-Pandemie überfüllte Krankenhäuser, trotzdem lockert die Regierung derzeit den seit Ende März geltenden Lockdown. Die Arbeiter*innen beschweren sich über Überstunden, unbezahlte Löhne und fehlende Anerkennung von Seiten der Regierung.
Der Lockdown kommt in Chile mit allgemeinen Ausgangssperren daher. Dies ist auch der Grund, warum im Zentrum der Stadt keine Demonstrationen stattfanden. Eine kleine Gruppe an Gewerkschafter*innen versuchte am Freitag, dem Präsidenten einen offenen Brief zu überreichen, wurde allerdings vor dem Regierungsgebäude von der Polizei daran gehindert und für mehrere Stunden festgesetzt. Die Gewerkschafter*innen berichteten, dass sie bei der Festnahme von der Polizei geschlagen wurden.
Aufgrund der Regierungskrise traf sich die christdemokratische Senatspräsidentin, Yasna Provoste, am Freitag mit der Regierung und kündigte daraufhin in einem Treffen mit den Gewerkschaften die Einführung des universellen Grundeinkommens an, das bei mindestens 80 Prozent der Bevölkerung ankommen und bis Ende des Jahres gelten soll, um die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie wenigstens abzumildern.
In der Nacht auf Samstag kam es in verschiedenen Wohnvierteln in ganz Chile zu Protesten, einzelne Barrikaden wurden erreichtet. Auch hier wurde von Polizeigewalt und Festnahmen berichtet. Am 1. Mai gab es keine traditionellen Demonstrationen, einzig eine Fahrraddemonstration mit mehreren Hundert Teilnehmer*innen protestieren in den Morgenstunden vorm Haus des Arbeitsministers Patricio Melero. Der ultrarechte ExParlamentarier steht der ehemaligen Diktatur und dem Unternehmer*innenverband nahe.
Die Zentralgewerkschaft verffentlichte eine Rede über ihren Facebook-Kanal. Dort kündigte die Präsidentin Figueroa weitere Mobilisierungen an und rief dazu auf, dafür zu sorgen, dass im kommenden verfassunggebenden Prozess die Rechte der Arbeiter*innen berücksichtigt und in der Verfassung verankert werden.
Chile durchlebt seit nunmehr eineinhalb Jahren eine tiefe Regierungskrise, die durch die größte Protestwelle, die das Land je erlebt hat, ausgelöst wurde. Die Regierung reagierte mit massiver Gewalt und kündigte wenige Monate später einen verfassunggebenden Prozess an. Aufgrund der Coronapandemie wurden die Wahlen auf den 15. und 16. Mai zweimal verschoben.
Die Regierung schlittert mehr oder weniger planlos von Krise zu Krise. Mehrere nationale und internationale Klagen wurden wegen Menschenrechtsverletzungen aufgrund der Repression und einer fatalen Pandemiebekämpfung gegen den Präsidenten und einzelne Minister eingereicht. Eine von breiten Sektoren geforderte Absetzung Piñeras ist aufgrund einer fehlenden Mehrheit im Parlament und dem befürchteten Chaos bislang nicht zustande gekommen. Im November sollen die Präsidentschaftswahlen stattfinden, bei der erstmals seit der Rückkehr zur Demokratie ein Kommunist reale Chancen hat gewählt zu werden: Daniel Jadue. Der letzte Kommunist, der in Chile eine Präsidentschaftswahl gewann, hieß Salvador Allende.
Vor dem Entscheid des Verfassungsgerichts legten die Hafenarbeiter*innen für zwei Tage alle chilenischen Häfen still.