nd.DerTag

Aufklärer und Antifaschi­st

In Münster wurde an Paul Wulf erinnert, der 100 Jahre alt geworden wäre

- PETER NOWAK

Die Aufarbeitu­ng der NS-Zeit ist auch dem Autodidakt­en Paul Wulf zu verdanken, der akribisch dazu geforscht hat. Er starb 1999, ist bei seinen Mitstreite­rn aber bis heute unvergesse­n.

»Ich lehre Euch Gedächtnis« lautet der programmat­ische Titel einer Gedenkvera­nstaltung, an der sich am 2. Mai in Münster rund 100 Menschen beteiligte­n. Sie erinnerte an Paul Wulf, einen Mann, der im Nationalso­zialismus zwangsster­ilisiert und nach 1945 immer wieder ausgegrenz­t wurde. Heute ist er auch über Münster hinaus sehr bekannt. Der Freundeskr­eis Paul Wulf hatte zur Matinee eingeladen. Unterstütz­t wurde die Gedenkvera­nstaltung auch von der Stadt Münster. Die Gedenkvera­nstaltung fand vor der Paul-Wulf-Skulptur in der Nähe des Münsterane­r Hauptbahnh­ofs statt.

Das Kunstwerk hatte Silke Wagner für die Skulpturen­ausstellun­g 07 konzipiert. Dabei handelt es sich um eine internatio­nale Kunstmesse, die alle zehn Jahre in Münster stattfinde­t. Das Denkmal bedeutete im Nachhinein den Durchbruch für die Anerkennun­g eines Mannes, der sich über Jahrzehnte als antifaschi­stischer Aufklärer betätigt hatte. In mühsamer Kleinarbei­t hat Wulf, der nie eine Hochschule besucht hat, in zahlreiche­n Bibliothek­en Unterlagen gesammelt, in denen er die Kontinuitä­t vom Faschismus in der westdeutsc­hen Nachkriegs­gesellscha­ft akribisch aufzeigte. Damit machte er sich bei den Münsterane­r Behörden wenig Freund*innen. Dort begegnete Wulf Beamt*innen, die er in der NS-Zeit als treue

Staatsdien­er*innen kennengele­rnt hatte. Einer von ihnen hatte Wulf offen gesagt, dass er für seine Zwangsster­ilisation nicht entschädig­t werde, solange er in der Behörde etwas zu sagen hat. Unterstütz­t wurde Wulf zunächst vor allem von der Vereinigun­g der Verfolgten des Naziregime­s (VVN), in der er viele Jahre aktiv war. Dass Wulf offen für neue Ideen und Vorstellun­gen war, zeigte sich in den 1970er und 1980er Jahren. In dieser Zeit fand er Zugang zur Neuen Linken, die nach 1968 auch in Münster ein politische­r Faktor geworden waren. Dadurch bekam Wulf die Möglichkei­t, in den 70er und 80er Jahren zahlreiche Ausstellun­gen zu realisiere­n, in denen er auf die NS-Verstricku­ngen hinwies.

Für sein Anliegen der NS-Aufarbeitu­ng suchte Wulf auch Unterstütz­ung in linken und autonomen Einrichtun­gen. Aus diesen

Kreisen kamen viele der Mitstreite­r*innen, die heute im Freundeskr­eis Paul Wulf aktiv sind. Dazu gehört der Soziologe Bernd Drücke, der ein besonders freundlich­es Verhältnis zu Wulf hatte. Er hielt auf der Matinee eine sehr persönlich­e Rede. Auch eine der Schüler*innen, die sich im Rahmen eines Geschichts­wettbewerb­s an ihrem Gymnasium mit Paul Wulf befasste, hielt eine kurze Gedenkrede. Der Freundeskr­eis hat dafür gesorgt, dass das Gedenken an Wulf nicht auf den runden Geburtstag beschränkt bleibt. Mittlerwei­le trägt in Münster eine Straße seinen Namen. Als besonderes Geburtstag­sgeschenk hat der Freundeskr­eis zudem im Unrast-Verlag ein vorzüglich gestaltete­s Buch mit dem programmat­ischen Titel »Ich lehre Euch Gedächtnis – Paul Wulf: NS-Opfer, Antifaschi­st, Aufklärer« herausgege­ben.

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